Drei Bierdeckel-Tipps für die digitale Transformation

von Bernhard Steimel
8. Mai 2017
Wer Geschäftsmodellinnovation betreibt, muss am Organisationsmodell arbeiten

Smarter Service Talk Teil 4 mit Dr. Roman Friedrich, Geschäftsführer von Strategy& Deutschland.

Herr Friedrich, Smart Products und Services sind per se immer eine Kombination aus physikalischem Produkt und Cloud-Services in Verbindung mit Sensorik – Stichwort „Internet der Dinge“. Daraus ergibt sich eine Vielzahl an Herausforderungen, die ein Unternehmen, das bislang Maschinen produziert hat, gar nicht kannte. Und bei nutzungsbasierten Geschäftsmodellen muss das Unternehmen laufend nutzungsbasiert Rechnungen stellen können. Wie kann dieser Schritt gelingen? Welche neuen Fähigkeiten sind notwendig, wobei Fähigkeiten sowohl Technologie als auch Expertise sein können?

Unternehmen müssen von der Produktionslogik zu einer Dienste- und Abrechnungslogik kommen. General Electrics beispielsweise erwirtschaftet mittlerweile sechs Milliarden Dollar über seine Internet-of-Things-Platform. Das Kerngeschäft läuft weiter, aber GE hat die Transformation zum digitalen Unternehmen hinbekommen. Ein Unternehmen muss das alles natürlich nicht selbst tun, sondern es kann sich seiner Partner bedienen und auf ein External Microsystem zurückgreifen. Es geht aber auch umgekehrt, dass ein Dienstleister in einem neuartigen Industrie 4.0-Use Case gegebenenfalls eine größere Rolle spielt. Er könnte in der Wahrnehmung des Kunden dann derjenige sein, der nicht nur die laufenden Rechnungen stellt, sondern der auch die Analytics-Leistung anbietet.

In einer neuen, erweiterten Wertschöpfungskette gibt es viele Elemente: Produktion, Vertrieb, Service, Rechnungstellung und Datenanalysen zum Beispiel. Entsprechend der unterschiedlichen Kompetenzen gibt es auch verschiedene Player. Ein Manufacturing-Unternehmen kann Kompetenzen per Dienstleistungsvertrag einkaufen, es kann Firmen akquirieren oder einfach Kooperationen vereinbaren. Wie gesagt führen all diese Optionen zu einer anderen Verteilung der Wertschöpfung. Die Konsequenz ist, dass die primäre Wertschöpfung von früher in den Hintergrund tritt.

Noch einmal das Beispiel Auto: In unserer Wahrnehmung ist es natürlich das Hauptprodukt. Das wird sich jedoch ändern. In Zukunft kann es sein, dass ein ITK-Unternehmen, das die Daten des Autos analysiert und verwertet, für den Verbraucher wichtiger sein wird als der eigentliche Produzent. Wir müssen also aufhören, in etablierten Industriestrukturen zu denken. Digitalisierung verlangt, dass wir in Eco-Systemen denken.

Als Berater diskutieren Sie sicher auch die Make-or-Buy-Frage mit der Geschäftsführung. Viele größere Unternehmen wollen die Datenanalyse selbst in die Hand nehmen, auch wenn dies möglicherweise weltweit eine Engpass-Ressource ist. Was raten Sie diesen Unternehmen?

Die Dynamik der Entwicklung führt zu wirklich dramatischen Engpässen. Ich meine, dass die Option des organischen Aufbaus zu kurz greift, und mit organischem Aufbau meine ich Trainings, Weiterentwicklungen und das inkrementelle Hiring entsprechender Ressourcen. Neben Datenanalyse geht es übrigens auch um Digital-Design-Kompetenzen und generell um Digital Natives, die verstehen, wie man Digital Prototyping betreibt. Meine Hauptempfehlung lautet, unbedingt über Akquisitionen nachzudenken. Das ist der anorganische Weg, der sehr viel effektiver ist.

Wie lauten Ihre „Bierdeckel“-Tipps: Was sollte ein Unternehmen auf dem Weg in die digitale Transformation auf den Radar nehmen, wenn es sich mit Smart Services beschäftigt?

Buzzwords wie Smart Services und digitale Transformation sind für viele Manager noch immer nebulös. Meine erste Empfehlung ist: Unternehmen müssen sich Gedanken darüber machen, was sie mit einer digitalen Strategie erreichen wollen. Sollen die Geschäftsmodelle disruptiv komplett neu gestaltet werden? Oder will man digitale Transformation einsetzen, um effizienter zu werden? Beim Stichwort „Industrie 4.0“ ist dies übrigens sehr häufig der Fall. Oder will man digitale Transformation mit dem Ziel betreiben, über eine höhere Kundenzufriedenheit und mehr Interaktionen mit den Kunden das Geschäft zu verbessern? Das sind drei vollkommen verschiedene Ziele mit den unterschiedlichen Werttreibern Wachstum, Effizienz und Kundenzufriedenheit.

Sprechen Sie von einem Ziele-System mit eventuell einem dominierenden Ziel? Oder muss sich das Unternehmen für A, B oder C entscheiden?

In der Realität wird es ein Ziele-System sein. Um es aber bierdeckelartig zu formulieren, sage ich: Wir beginnen mit der Priorisierung. Der digitale Elefant ist zu komplex, um ihn auf einmal zu schlucken, er muss zerteilt werden. In der Realität müssen viele Aspekte beachtet werden, aber für die Belegschaft im Unternehmen muss klar sein, wofür die Firma steht. Das darf nicht durch zu viele digitale Projekte verwässert werden. Diese Klarheit verlange ich meinen Kunden ab. Und es versteht sich von selbst, dass die Kundenzufriedenheit nicht vernachlässigt werden darf, wenn ein neues digitales Geschäftsmodell etabliert wird. Das Hauptproblem bei der digitalen Transformation ist häufig der zu geringe Druck, mit dem Veränderungen vorangetrieben werden. Die Optimierungszeit beträgt nicht zehn Jahre, sondern ein, höchstens zwei Jahre. Das Unternehmen muss sich in eine bestimmte Richtung klar, schnell und kohärent bewegen.

Punkt zwei: Organisation follows strategy. Wenn ich weiß, was ich erreichen will, muss ich meine entsprechende Organisationsstruktur wählen. Soll ein komplett neues, disruptives Geschäftsmodell entwickelt werden, sieht die Struktur natürlich anders aus, als wenn das Produkt digital optimiert und effizienter geliefert werden soll. Bei Letzterem beispielsweise geht es um DevOps-Themen.

Das dritte Thema zielt auf Leadership: Die digitale Transformation kann nicht delegiert werden nach dem Motto „Jetzt macht mal!“. Das Top-Management als Ganzes muss dafür sorgen, dass bei der Umsetzung der digitalen Transformationsstrategie keine Gefangenen gemacht werden. Oft geht es dann auch um Personalentscheidungen: Hat das Unternehmen die richtigen Mitarbeiter und – wenn nicht – wo findet es diese?

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