Im Smarter Service Talk gibt Thomas Reitstetter, verantwortlich für die gesamten kundenseitigen Serviceleistungen, Einblick in die Servicestrategie beim BAUR-Versand.
VOICE Community: Herr Reitstetter, beschreiben Sie doch bitte kurz Ihren Aufgabenbereich beim BAUR Versand.
Thomas Reitstetter: Mein Team und ich verantworten die kundenwirksamen Serviceleistungen des Hauses BAUR.
VOICE Community: Welche Themen stehen denn bei Ihrem Kundenservice im Moment ganz oben auf der Agenda und warum?
Thomas Reitstetter: Wir haben eine Servicestrategie entwickelt, die sich sehr stark an unserer Unternehmensvision ausrichtet. Derzeit befindet sich BAUR auf dem Weg weg von einem Universal-Distanzhändler hin zu einem so genannten fokussierten Distanzhändler.
VOICE Community: Können Sie das näher erklären?
Thomas Reitstetter: Der Universalist verkauft im Prinzip alles, aber im Rahmen unserer Sortimentsstrategie haben wir uns als Unternehmen BAUR auf die drei Kernsortimente Mode, Schuhe und Möbel konzentriert. Und dabei steht natürlich ganz stark die große Expansion im E-Commerce im Vordergrund, womit wir mittlerweile den Löwenanteil unserer Umsätze erzielen.
Was ganz oben steht im Rahmen dieser Vision, sind Markenkernwerte für BAUR. BAUR steht für Qualität, Wertigkeit, aber auch für Service. Also Qualität und Service sind neben den Kernsortimenten Mode, Schuhe und Möbel die Pfeiler, auf denen die Strategie des Hauses steht und beruht. Im Rahmen der Service-Vision stehen vor allem die zielgruppenorientierten Serviceleistungen, marktkonforme und exzellente Grundleistungen, aber auch die Unternehmensphilosophie und die Kulturwerte im Vordergrund, nämlich: Nähe, Freundlichkeit, Wärme und überlegene Beratungsleistungen.
Wir haben im Rahmen des Serviceprojekts ein sehr umfangreiches Maßnahmenpaket entwickelt. BAUR hat begriffen, dass man sich in einem saturierten Markt auf den Service als Mittel der Marktdifferenzierung konzentrieren muss. Und das ist eigentlich auch der Top-Punkt unserer Agenda: Wir wollen unseren Service so ausbauen, dass wir aus der jetzt schon vorhandenen Loyalität unserer Kunden schöpfen und Serviceleistungen als differenzierendes Merkmal unserer Marke anbieten.
VOICE Community: Auf einem Kundenkongress wurde vor kurzem eine Statistik aus der Finanzbranche präsentiert, die besagte, dass für die Customer Experience bei Banken zwei Drittel der Faktoren im Bereich Betreuung und Beratung liegen. Gibt es ähnliche Untersuchungen auch für den Versandhandel? Können Sie das bestätigen oder würden Sie diese Vermutung unterstützen?
Thomas Reitstetter: Wir haben einen vierstufigen Stufenplan für unser Serviceprojekt. Maßnahmen, die wir gerade umsetzen und die Schwerpunkte in der Servicestrategie heißen Beratung und Individualisierung. Da ist eindeutig eine Parallele.
Wir wollen uns verstärkt mit Serviceleistungen differenzieren und eine exzellente Beratungsleistung bieten, mit hoher fachlicher und Entscheidungskompetenz bzw. sehr gut gemachten Online-Beratungs-Tools, die den Kunden bei der Produktauswahl helfen.
VOICE Community: Sie hatten mich ja so zusagen mit der Nachricht überrascht: „Ich habe den wirtschaftlichen Nachweis der Kundenzufriedenheit!“ Können Sie uns erläutern, was Sie damit gemeint haben?
Thomas Reitstetter: Natürlich Wir haben sehr umfangreiche kritische Erfolgsfaktoren für alle Serviceziele und die operativen Ziele gesetzt. Wir haben eine Kontinuität geschaffen im Hause, das heißt auch dedizierte Verantwortlichkeiten etc. Und wir haben umfangreiche Programme, um auch die hausinterne Service-Orientierung der Mitarbeiter zu fördern.
Deshalb haben wir ein Tool eingeführt, das wir Weiterempfehlungs-Monitor nennen. Es basiert auf einer telefonischen Kundenbefragung von aktiven Kunden, die wir monatlich durchführen und in der wir insbesondere auf die Themen Weiterempfehlung, Wiederkaufbereitschaft und die Zufriedenheit der Kunden eingehen.
VOICE Community: Wer führt die Befragungen durch? Machen Sie das selber oder übernimmt das ein Institut?
Thomas Reitstetter: Das übernimmt ein Institut. Zur Auswertung geht das Ganze an einen Dienstleister. Damit können wir dann wiederum sämtliche betriebswirtschaftlichen Daten anreichern, die wir in unserer Kundendatenbank speichern – wie Umsätze, Kundenwerte, Wiederkaufverhalten, Retourenquoten.
Wir haben also eine lange Reihe, innerhalb derer wir feststellen können: Wie verändert sich im Laufe der Zeit das Einkaufsverhalten eines Kunden, der uns weiterempfiehlt oder eines unzufriedenen Kunden. So können wir die Differenz bilden und wir können sagen: Wenn wir es schaffen, noch fünf Prozent unserer Kunden mehr beim Erstkauf völlig zufrieden zu stellen und mit unseren Leistungen zu überzeugen, dann führt das nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne, zu einem messbaren wirtschaftlichen Vor- oder Nachteil.
VOICE Community: Das heißt, Sie können dann auch hochrechnen und sagen: Also fünf Prozentpunkte im Bereich des Weiterempfehlungs-Indexes bringen uns potenziell soundsoviel mehr Umsatz?
Thomas Reitstetter: Wir können das hochrechnen. Aber es geht nicht nur um den Umsatz. Mit dem Kunden, der uns weiterempfiehlt, der so zusagen eine latente Weiterempfehlungsbereitschaft in die Tat umsetzt, indem er vielleicht im Bereich des Social Commerce in einem Shop-Bewertungs-Portal eine positive Rezension über das Einkaufserlebnis mit BAUR schreibt. Das hat Lesungen und Nennungen im Social-Media-Kanal, die dann wieder zu einer besseren Reputation der Marke führen. Und das ist ein Schneeballeffekt, den wir gerne ausnutzen möchten.
VOICE Community: Messen Sie das eigentlich? Sie sagten ja, das Verfahren basiert auf Telefonbefragung. Halten Sie den Radar auch auf die sozialen Medien, Stichwort Social Media Monitoring?
Thomas Reitstetter: Absolut. Wir befinden uns bei dem Thema Social Media Monitoring und Reputation Management gerade in einer Pilot- und Testphase, in der wir das Thema ganz intensiv bearbeiten und versuchen, im Umkehrschluss den Sekundäreffekt der Weiterempfehlungsbereitschaft zu messen. Also wir wissen, wie viele Nennungen wir haben. Wir wissen, wie viele Lesungen die Nennungen haben, und wir rechnen hoch, was dann der Impact auf unseren Markenwert ist.
VOICE Community: Das heißt also, die Testphase ist auch dazu da, nachher festzulegen, mit welchem Tool das Social Media Monitoring durchgeführt werden soll?
Thomas Reitstetter: Genau. Am Thema Monitoring arbeiten wir bereits aktiv, und bei der Sentiment-Analyse sind wir im Gespräch mit einer Firma die sich mit dem Bereich Semantik und der semantischen Analyse beschäftigen, aber auch damit, ob eine Äußerung eine positive oder negative Färbung hat. Für Barack Obama und andere Größen, die z.B. ihre Chancen auf einen Wahlerfolg messen wollten, haben die beispielsweise so etwas gemacht. Das kann man natürlich auch sehr gut auf eine Marke übertragen: Einerseits auf das Gerede über die Marke, die Reputation, andererseits aber auch auf Trends. Wir sind Händler und uns interessiert natürlich unsere eigene Marke, aber auch die Handelsmarken, die wir vertreten und mögliche Früherkennung von modischen Trends usw.
VOICE Community: Das klingt sehr spannend. Wenn wir zurück auf unser Kernthema kommen, ist natürlich immer die Frage nach dem Vorher-Nachher. Sie haben ja schon erläutert: Wenn man eine Strategie fährt, die auf Servicequalität setzt, das heißt den Kunden über Service und Dienstleistung zu begeistern, dann kostet das zunächst einmal Geld. Jetzt aber haben Sie quasi den wirtschaftlichen Nachweis: Sie können zumindest in einer Geschäftsführungsrunde auch anhand von Metriken erläutern, wie sich die Kundenzufriedenheit und die Weiterempfehlungsquote verändert. Hat das Ihre Position im Management verändert?
Thomas Reitstetter: Ich bin mit meinem Team jetzt dem Vorsitzenden der Geschäftsführung unterstellt. Wir haben auch schon sehr große Erfolge erzielt, wurden beispielsweise vor kurzem als zweitbester Online-Shop vom Deutschen Institut für Servicequalität ausgezeichnet. Wir haben ebenfalls auf Anhieb eine Top-Ten-Platzierung in dem branchenübergreifenden renommierten Wettbewerb „Deutschlands kundenorientiertester Dienstleister“ erzielen können.
VOICE Community: Haben Sie Ihres Erachtens auch clevere, smarte Kundenservices, die Sie als besonders innovativ im Branchenvergleich zu anderen Versandhäusern sehen?
Thomas Reitstetter: Wir haben im Rahmen unserer Services einiges, wo wir einfach schneller und gezielter agieren können als mancher Wettbewerber.
Wir sehen aber das Servicepaket aus einer Gesamtsicht und nicht mehr aus der isolierten Sicht einer Einzelleistung, die dann kosten-, kundenbeteiligungs- und abwicklungstechnisch optimiert wird.
Wir hinterfragen das Preismodell: Ab wann bewirkt eine Subventionierung von Servicekosten einen Umsatzsprung? Mit welcher Erfüllungsquote und welchen qualitativen Standards können wir da ran?
Und etwas wirklich Innovatives? Da würde ich zum Beispiel den Blick in Richtung Online-Shop richten, wo wir sehr viel innovieren und pilotieren. Wir haben eine kostenfreie Rückruffunktion im Shop eingebaut. Das sind Dinge, die so im Online- und Versandhandel noch nicht allgemein üblich sind. Da sind wir schon Innovator.
VOICE Community: Glauben Sie, dass Sie schon ein konsistentes Service-Erlebnis über alle Kanäle hinweg bieten, oder ist das aus Ihrer Sicht noch eine Baustelle?
Thomas Reitstetter: Es gibt immer etwas zu tun, und wir verbessern uns kontinuierlich.
VOICE Community: Wo liegen denn da die Herausforderungen?
Thomas Reitstetter: Das kanalübergreifende einheitliche Service-Erlebnis ist eine der Maßnahmen, die aus unserem Service-Projekt heraus entstanden sind.
Wir wissen, dass das Thema Emotionen eine eminent wichtige Rolle bei der Vermarktung von Serviceleistungen spielt. Und da tut sich der Versandhandel im Moment noch schwer. Oftmals hat man in den Katalogen am Ende eine Seite mit „Kleingedrucktem“, wo Sie die Konditionen finden. Wir glauben, dass wir den Kunden eine echte Vorteilskommunikation bieten können. Und die werden wir dann auch mit dem entsprechenden Bildmaterial ausstatten und mit lockeren und frischen Texten.
Dass wir beim Institut für Servicequalität gerade im Bereich des E-Mail-Managements – also bei Kundenanfragen per E-Mail – haushoch gewonnen haben und in dieser Disziplin auch weit vor anderen Unternehmen wie Amazon gelandet sind, ist eigentlich der Tatsache geschuldet, dass wir gerade im Bereich der E-Mail schon im letzten Jahr sehr große Fortschritte gemacht haben.
Wir begegnen dem Kunden auf Augenhöhe und sprechen seine Sprache. Da gibt es keine gestelzten Formulierungen sondern das wird sehr persönlich. Wir haben uns stark von diesen Textbausteinen, die keiner mehr lesen mag, entfernt. Das ist eine Eins-zu-Eins-Kommunikation und der Kunde spürt, dass er ernst genommen wird, und honoriert das mit guten Bewertungen.
VOICE Community: Es gibt ja Leute und Unternehmen wie Ideo, die sagen, User Centered Design ist im Prinzip auf alles übertragbar, auch auf das Thema Service-Entwicklung bis hin zur Veränderung von Kulturwerten im Unternehmen. Was mir dabei untergekommen ist – und darauf wird sich meine Frage ausrichten – dass Empathie ein ganz wichtiger Punkt ist. Wenn das Top-Management oder die Fachabteilungsleiter so zusagen mit den eigenen Kunden leiden und selber nachempfinden, was der Kunde empfindet, dann wird in den Köpfen ein Prozess in Gang gesetzt, der dazu führt, dass man sich auch besser mit dem Konkreten „Wie können wir das jetzt für uns nutzbar machen?“ auseinandersetzt.
Thomas Reitstetter: Ja, absolut. Wir haben schon nächste Woche wieder einen Termin, an dem wir Kunden zu uns an den runden Tisch einladen. Dann geht es um das Thema Warenqualität. Mit dabei sind das Top-Management und die Bereichsleiter aus verschiedenen Einkaufsbereichen, die sich dort konstruktiv mit den Kunden auseinandersetzen. Das wird bei uns sehr wertgeschätzt.
VOICE Community: Es gibt ein Beispiel von GM in Amerika: Dort ließ sich das Top-Management jede Saison die neuesten Autos auf einem dafür entworfenen Parcours präsentieren. Gezeigt wurden dem Management dabei natürlich nur die besten Fahrzeuge, nicht aber die, die beim Händler um die Ecke auch tatsächlich zur Auslieferung kamen. Es gibt also sehr viele Manager, die ihre eigenen Produkte und Prozesse gar nicht wirklich kennen, die nicht selber in den Laden gehen, um sich dort quasi anonym bedienen zu lassen.
Thomas Reitstetter: Das kann ich für BAUR so nicht nachvollziehen. Denn das Thema Beschwerde-Management z. B. nehmen wir todernst. Und auch unsere Geschäftsführung sieht sich als integralen Bestandteil dieses Beschwerde-Managements.
Auch unsere Bereichsleiter schätzen den Kundenkontakt sehr. Wir als Abteilung Service & Kunde tragen die verschiedenen Anliegen – Warum haben Kunden sich beschwert? Warum haben Kunden die Kundenbetreuung kontaktiert? – auch wieder zurück an die Fachbereiche.
VOICE Community: Die Herausforderungen im Detail – da waren wir vorhin stehengeblieben, bevor wir ein wenig abgeschweift sind – worin liegen die?
Thomas Reitstetter: Die große Herausforderung liegt darin, die Methodik der hundertprozentigen Kundenorientierung auf andere Servicebereiche zu übertragen. Das ist dann im Prinzip Kernschwerpunkt unserer Arbeit.
VOICE Community: Okay, abschließend noch eine Frage: Was hat sich geändert? Gibt es eine neue Wertigkeit des Themas Kundenservice?
Thomas Reitstetter: Ich meine, die Wertigkeit kommt nicht zuletzt dadurch zum Tragen, dass es eine Stabsabteilung mit dedizierter Verantwortung im Hause gibt.
Das heißt dann im Umkehrschluss auch, dass das Thema Service in wichtigen Entscheidungsgremien im Hause partizipiert. Wir steuern nach messbaren Zielen und kontrollieren unsere KPIs regelmäßig und die werden von der Geschäftsführung intensiv beobachtet.
VOICE Community: Es gibt da den Satz „Customer service – the new marketing!“ Stimmt das für Ihr Unternehmen?
Thomas Reitstetter: Sie sind mit diesem Satz absolut auf meiner Wellenlänge. Ich finde das auch richtig und wichtig. Allerdings erfordert die emotionale Auslobung von Services auch wieder die Instrumente der klassischen Werbung.
Wenn man den klassischen Versandhandel an sich betrachtet, tun sich einige schwer, bei der Wahl der Handelsware tatsächlich Unterschiede zu generieren. Auch beim Preis sind viele relativ unflexibel. Über Preisvergleichsseiten wird man immer wieder auch ähnliche Preise finden.
Das heißt tatsächlich, dass die Chance zur Marktdifferenzierung und zur Kundenbindung und Loyalität in dem Schwerpunktbereich Service liegt. Und wir wissen, dass sich auch das Kundenverhalten in den letzten Jahren geändert hat. Dass die Akzeptanz für Werbemittel aus der klassischen Werbung beispielsweise immer geringer wird: Kataloge und gedruckte Werbemittel verschwinden immer schneller
Aber es gibt neue Formen, inspirativ und bedarfsweckend an den Kunden heranzutreten. Wenn man das in Summe betrachtet, gibt es im Marketing-Mix einen beachtlichen Anteil von Werbemitteln und Maßnahmen, die in ihrer Kosten-Umsatz-Relation einfach nicht mehr profitabel sind. Und unser Ziel ist es, den nichtprofitablen Anteil von Marketing und Werbeausgaben in attraktive kundenwirksame, aber auch kundenfreundliche Serviceleistungen umzuwandeln. Man spricht hier von Opportunität.
VOICE Community: Herr Reitstetter, vielen Dank für das Gespräch.
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