Der Fall Unilever.

von Bernhard Steimel
10. Februar 2012
Der Fall Unilever

Social Media Marketing ist eine kommerzielle Zweckveranstaltung, nicht nur eine Kunstform

Ein Interview mit Markus Roder, Word-of-Mouth-Marketing-Spezialist und freier Berater (Teil II)

Aktuell sorgt der  „Fall Unilever“ für Aufruhr in der Social Media-Szene, da der FMCG-Riese öffentlich bekannt gab, die Social Media-Ausgaben zugunsten von Word-Of-Mouth zu kürzen. Sicherlich ein Indiz dafür, dass im Jahr 2012 die Probezeit für Social Media-Investitionen abgelaufen ist und die „Show me the money“-Phase beginnt. Wer den zweiten Teil des Interviews mit Markus Roder liest, erfährt wie man erfolgreich klassisches Word-of-Mouth-Marketing mit Social Media verknüpft.


Ich würde Sie als „Word-of-Mouth-Marketing-Spezialisten“ bezeichnen wollen – auch auf Grund der Erfahrungen, die Sie in den letzten Jahren gesammelt haben. Was bringt Word-of-Mouth Marketing aus Ihrer Sicht?

MARKUS RODER: Es gibt eine große wissenschaftliche Historie über Word-of-Mouth und die damit zusammenhängenden sekundären Effekte  und wie sich diese tatsächlich auf die bottom line eines Unternehmens niederschlagen.

Das hat nicht erst in der Ära von Social Media angefangen, sondern das fing eigentlich schon in den 30er Jahren mit den Drug Studies von Pullman, Mansell und Katz an, die untersucht haben, wie sich Ärzte gegenseitig neue Medikamente weiterempfehlen. Und sie stellten fest, dass diese Empfehlungseffekte unter den Ärzten eigentlich einen höheren Effekt hatten als die Marketingausgaben, die Pharmaunternehmen für die Besuche der Ärzte direkt tätigten. Zwischen den 40er und 60er Jahren ging es dann weiter z.B. mit dem Two-Step-Flow-Modell von Lazarsfeld.

Diese Modelle sind auch heute noch weitgehend relevant. Dummerweise werden sie aber häufig übersehen. Weil Soziale Netzwerke so ungeheuer populär sind, glauben viele Leute, dass Word-of-Mouth in diesen Netzwerken auf jeden Fall auch angestoßen werden muss. Ich glaube eher, dass das Umgekehrte der Fall sein muss: Man muss als Unternehmen in diesen Sozialen Netzwerken zwar erreichbar sein. Eine gute Methode Word-of-Mouth anzustoßen aber bleibt weiterhin tatsächlich klassische Werbung und klassische PR.

Das heißt, der Effekt, dass eine Diskussion irgendwo im Social Media Universum auf einmal Wellen schlägt, ist eher sekundär. Primär ist, dass man zunächst einmal über die klassischen Medien einen Virus infiziert?

MARKUS RODER: Ich würde nicht sagen, dass es sekundär ist.

Mein Lieblingsmodell ist das Big Seed-Modell von Duncan Watts. Nachdem Malcolm Gladwell mit seinem Buch „The Tipping Point“ herausgekommen ist, hat jeder versucht, diese kleinen Viren bei ganz einflussreichen und extrem umrissenen Gruppen zu platzieren. Manchmal funktioniert das tatsächlich, aber eben leider in den seltensten Fällen. Es ist wirklich nur in eng umrissenen und in special-interest-dominierten Märkten der Fall, dass man eine Gruppe von 100 einflussreichen Leuten mit einer Information versorgen und sich dann vergleichsweise sicher sein kann, dass diese Information die nächsten 100.000 Leute erreicht.

Üblicherweise ist es eine sinnvollere Strategie, mehrere hunderttausend Leute mit einer Information zu versorgen, die sich dann verzehnfacht, statt vermillionenfacht.  Das ist, was Duncan Watts mit „Big-Seed-Marketing“ beschreibt: Einer relativ großen Gruppe die Diskussionsanstöße einzupflanzen.

Ich glaube aber nicht, dass das mit „primär“ und „sekundär“ beschrieben werden kann. Es ist vielmehr so, dass man beides tun muss. Man muss auf der einen Seite mit möglichst reichweitenstarken Methoden versuchen, ein bestimmtes Thema auf die Tagesordnung der Öffentlichkeit zu setzen. Und man muss auf der anderen Seite stark beobachten, wo gehen jetzt die Diskussionen los, wenn sie losgehen. Und dann tatsächlich kleinen einflussreichen Gruppen, die vielleicht auch mal genau das Gegenteil von dem sagen, was man möchte, eine Diskussionsalternative anbieten: „Ihr diskutiert untereinander XYZ. Wir sind das Unternehmen, das diese Diskussion eigentlich angestoßen hat. Wir sehen aber eigentlich eher ABC. Möchtet ihr nicht darauf auch mal eingehen?“ Also, sowohl die Ansprechbarkeit als auch das Monitoring – das aktive Eingehen auf die Diskussion – sind für mich gleich wichtig.

Können Sie mir ein Beispiel nennen, eine Kampagne, von der Sie sagen, die illustriert das gut bzw. die gibt eine erfolgreiche Bedienung der Mechanik wieder?

MARKUS RODER: Spontan fällt mir dazu die Vodafone-Kampagne „Es ist deine Zeit“ ein. Ursprünglich sehr gut umgesetzt vom Grundgedanken her, danach leider im Desaster degeneriert. Am Anfang hat Vodafone alles richtig gemacht: Erstwissereffekte wurden mitgenommen. Sie haben mit einer kleinen Gruppe gestartet, haben Leute zum Dreh ihrer Spots eingeladen, haben Blogger engagiert. Und dann wurde eine Big-Seed-Strategie gefahren: Sie haben angefangen, vergleichsweise hohe Media-Ausgaben zu tätigen, das ganze auf Plakate usw. zu bringen. Dann ist das Ganze aber dummerweise in ein Desaster degeneriert, weil sie nicht die richtigen Leute zum beantworten der Fragen eingesetzt haben. Da, wo es dann interessant wurde, nämlich auf der Pressekonferenz, die hunderttausende gespannt Wartende verfolgt haben, da waren dann halt Leute, die von Social Media ganz wenig Ahnung hatten und die mit ganz vielen Worthülsen gearbeitet haben. Und damit ist die Kampagne dann ins Wasser gefallen.

Eine Kampagne, die tatsächlich komplett sehr gut funktioniert hat ist die Old Spice-Kampagne aus den USA, die ebenfalls mit Erstwisser-Potentialen angefangen hat und dann ebenfalls in die Big-Seed-Strategie gewechselt ist. Dann von dort aus aber auch wieder Anreize gesetzt hat, den Leuten, die sich angesprochen gefühlt haben, die Möglichkeit zu bieten, selbst auf Social Media Kanälen zum Star zu werden, in dem sie diesem Old Spice Guy diverse Fragen gestellt haben. Das war hervorragend. Hat auch messbar einen sehr guten ROI gebracht. Und das bei einer Marke, die vorher eigentlich einen negativen Trend hatte.

Bei vielen ist das Jahr 2012 das Jahr, in dem viele Marketing-Verantwortliche sagen: „Show me the money!“ – Zeig mir, wo wir mit Social Media eigentlich Geld verdienen. Das wird vielleicht den einen oder anderen Social Media Manager auch nervös machen. Was würden Sie denen denn an die Hand geben?

MARKUS RODER: Erst einmal würde ich sagen: Lasst euch nicht nervös machen! Eigentlich sollte das Thema „show me the money“ schon ganz am Anfang gestanden haben. Ich weiß, es dauert immer ein bisschen. Man muss immer erst investieren, bis sich ein erstes Ergebnis zeigt. Aber meiner Ansicht nach ist es in unserem Geschäft – Werbung, Marketing, Präferenzbildung – nie weise und nie ratsam in Instrumente zu investieren, von denen man nicht glaubt, dass sie irgendwann einen Einfluss auf die tatsächliche bottom line haben.

Werbung ist eine kommerzielle Zweckveranstaltung und nicht nur eine Kunstform. Wenn man bisher nicht geglaubt hat, dass eine Investition einen Einfluss auf die Entwicklung der Marktanteile, des Umsatzes und der Kundentreue hat, dann hätte man sie gleich lassen sollen.

Ich glaube allerdings, dass sich durchaus zeigen lässt, dass Social Media Instrumente, Word-of-Mouth-Marketing im allgemeinen, einen großen Einfluss auf die bottom line haben. Wenn man unter dem Zwang steht „show me the money“, dann muss man, wie mit jedem anderen Instrument auch, einfach Testszenarien aufsetzen, die zeigen: Wenn ich eine Kampagne mache, die dieses Element beinhaltet, dann ist die Kampagne erfolgreicher als wenn dieses Element nicht beinhaltet ist. Das tut man üblicherweise, in dem man A/B- oder ABX-Tests durchführt oder Social Media Elemente zeitlich vom Rest der Kampagne trennt.

Mein Vorschlag an dieser Stelle lautet dann immer: Fahrt eine Big-Seed-Strategie und macht eine Auffangstrategie im Social Media Bereich, die etwas später ankommt. Und definiere die richtigen KPIs, um zu schauen, was passiert eigentlich, wenn Element X on the air ist, was passiert, wenn Element Y on the air ist. Dabei zeigt sich eigentlich immer wieder, dass Kampagnen, die Social Media Unterstützung haben oder die gar auf Social Media basieren mindestens gleich gute ROIs, meistens hingegen deutlich bessere ROIs haben.

Es ist ja auch kein Geheimnis, dass beispielsweise beim Effie 2010 Ritter Sport mit der Olympia-Kampagne gewonnen hat. Und das unter anderem deswegen, weil die Werbeeffizienz, sprich das Verhältnis aus eingesetztem Geld zu erhaltenem Resultat, im Vergleich zum Durchschnitt bei Ritter Sport um 12 Prozent besser war als bei den üblichen Werbeanstrengungen.

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Denkzettel für Social Media-Experten: Anfeuern statt vollquatschen! | Smart Service 13. Februar 2013 - 8:33

[…] So funktioniert auch die Olympia-Kampagne von Ritter Sport. […]

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