Hinter die Motivkulissen schauen!
Smarter Service Talk mit Markus Roder, Teil 3
Die Angst vor Entmännlichung ist Weiberfastnacht sicherlich ein echtes Thema! Aber Spaß beiseite, gerade in Innovations- und Positionierungsprozessen ist es notwendig, unterschiedliche Wissensquellen anzuzapfen und mögliche „blind spots“ auszuschalten. Social Media Monitoring kann Gruppendiskussion und tiefenpsychologischen Verfahren ergänzen, um die wahren Gründe für Kaufentscheidungen zu verstehen, die bei herkömmlichen Methoden hinter den Motiv-Kulissen verborgen bleiben. Und Markus Roder hat hierzu ein paar sehr schöne Tipps parat:
Bernhard Steimel: Was bedeutet „Zuhören und Helfen“ – eine Ihrer Regeln, wie man Kundenbegeisterung bzw. Kundenengagement erzielen kann?
Markus Roder: „Zuhören und Helfen“ ist die simpelste, die Kick-off-Regel. Sie rekrutiert sich einfach aus der Tatsache, dass Social Media nicht zuerst ein Element des Push- oder Broadcast-Marketing ist, sondern eines des interaktiven Marketings. Das heißt, beide Seiten dürfen und sollen reden und idealerweise sollte der Marketer zuerst einmal seinen Mund halten und die Ohren aufsperren und herausbekommen, was der Konsument möchte. Und das kann er in dem Fall tatsächlich ganz ohne Hochrechnung und ganz ohne Fokusgruppen, sondern einfach indem er dem Konsumenten zuhört.
Das Helfen ist eigentlich die zweite Ableitung. Dabei geht es darum, dieses typische Machtgefüge, das ja ohnehin in der Erwartung der Konsumenten bereits aufgebrochen ist, auch für sich selbst aufzubrechen und zu sagen:
„Ich muss jetzt nicht durch drei Abteilungen gehen und alle Prozesse im Unternehmen ändern, um diesem einen Konsumenten zu helfen, sondern ich tue das unbürokratisch, einfach direkt. Und wenn ich ein Problem festgestellt habe, dann gehe ich auf das Problem ein und versuche, es an Ort und Stelle zu lösen. Und wenn ich das institutionalisiert erledigen kann, dann wird das auch Einfluss auf mein Markenbild beim Konsumenten haben und über dieses wahrgenommene Markenbild auch auf Markentreue, Umsatz und Share-of-Mind.
Bernhard Steimel: Eine weitere Regel: „Nicht nur zuhören, wenn man gefragt wird.“ Was bedeutet das?
Markus Roder: Das ist im Endeffekt eine Erweiterung der Geschichte. Wenn ich per Big-Seed-Marketing eine Kampagne lostrete, dann kann ich mich auf meinen Hintern setzen und warten. Die Leute, die diese Kampagne toll finden werden schon zu meiner Website oder zu meinem Facebook-Kanal kommen und mir dort Fragen stellen. Das ist zu kurz gedacht. Die meisten Konsumenten sind durchaus interessiert, aber auch nicht so interessiert, dass sie das tun werden. Üblicherweise hat man Konversionsraten im einstelligen Bereich. Was passiert denn mit Leuten, die nicht konvertieren? Die sind nicht alle verloren, sondern die unterhalten sich meist mir ihren Freunden über solche Inhalte. Und das heißt, ich muss auch dort zuhören, wo ich nicht persönlich repräsentiert bin. Es müssen also ordentliche Social Media Monitoring Tools aufgesetzt und beobachtet werden, wo Unterhaltungen worüber stattfinden. Und wenn es dort tatsächlich Probleme gibt, die Leute untereinander diskutieren, ebenfalls Lösungshilfen anbieten.
Das hat Lufthansa USA beispielsweise einmal sehr gut gemacht. Während des Fluglotsenstreiks wurde beobachtet, wer macht sich Sorgen darüber, weil sein Flug ausfällt – egal, ob er das jetzt auf der Lufthansa-Facebook- oder Twitter-Seite kundgetan hat oder in Diskussionen anderswo. Diese Leute wurden direkt angesprochen und es wurde ihnen mitgeteilt, ob der Flug ausfällt oder nicht. Lufthansa hat daraufhin über 40.000 positive Rückmeldungen bekommen, dass der Service wesentlich besser sei, als bei anderen Fluglinien, wie sich ja unter anderem an dieser Aktion, die sie gerade eben gefahren haben, zeige.
Und das meine ich mit implizitem Markenbild. Und das meine ich mit dem, was an Neuropsychologie dahintersteckt: Wenn ich ein Markenversprechen mache, dann muss dieses Versprechen auch erlebbar sein. Und zwar erlebbar sowohl mit dem bewussten, also die Aussagen, die ich im Marketing mache, als auch mit dem unbewussten Teil der Wahrnehmung, dass heißt, das, was ich den Leuten dann tatsächlich glaube oder abnehme.
Lufthansa hat einfach beim Service „above and beyond the call of duty“ performt, wie es in Amerika heißen würde. Und das sind genau die Dinge, die das Markenbild des Premium-Carriers dann auch neuropsychologisch bestärken.
Bernhard Steimel: Warum ist es so wichtig, die Motive zu erkennen?
Markus Roder: Henry Ford hat mal gesagt: „Wenn ich nur meinen Kunden zugehört hätte, dann hätte ich schnellere Pferde bauen müssen.“ Das Problem mit Kunden ist, dass sie häufig nicht ganz genau wissen, was sie möchten. Sie wissen, dass sie mit irgendetwas unzufrieden sind und sie wissen, dass es irgendwo Verbesserungspotential gibt, aber es ist immer noch die Aufgabe der Marke, sich 1. selbst zu definieren und 2. eine Innovation abzuliefern.
Und da sind wir wieder bei der Firma Apple, die Sie vorhin erwähnt haben. Ich glaube, einer der großen und genialen Charakterzüge von Steve Jobs, neben den vielen schlechten, die er auch hatte, war, dass er tatsächlich besser wusste, was die Leute wollen. Man kann ganz viele Dinge bauen – ein iPad mit der doppelten Auflösung und Vernetzung usw. – und verzettelt sich dann ganz schnell. Und im Endeffekt sind die Leute damit weniger zufrieden. Da muss man erkennen – und hier kommt jetzt das Motiv ins Spiel – was steht eigentlich hinter diesem Wunsch.
Typisches Beispiel: Hätte die Firma PHILIPS darauf gehört, was die Leute in den USA im Bereich Intimrasur wollen, dann hätte sie den US-Männern keine Intimrasierer anbieten dürfen. Die haben nämlich gesagt: „Wir möchten keine Intimrasierer. Das ist nur etwas für verweichlichte Menschen, das ist nichts für harte Kerle, für Machos.“
Das angenommene Motiv dahinter war Entmännlichung. Dem hat PHILIPS ein anderes Motiv entgegengesetzt, indem sie sagten: „Wenn du Intimrasur betreibst, dann sieht dein Schniedel einen Inch länger aus.“ Und das ist genau das Gegenteil. Man hat erkannt, das Motiv, was die Leute eigentlich bewegt, war, männlich zu sein. Und das hat man ihnen gegeben, anstatt darauf zu hören, was sie tatsächlich äußern.
Bernhard Steimel: Wenn man hinter diese Motivkulissen schauen will, ist es dann nicht sinnvoll, die Leute ethnografisch zu begleiten, um zu verstehen, was der eigentliche Bedarf ist?
Markus Roder: Das was hinter der Ethnografie steht, ist ja eigentlich, den Leuten zuzuschauen: Welche Workarounds haben sie sich zu diesem Thema überlegt? Und aus den Workarounds kann man häufig auf das dahinterstehende neuropsychologische Motivsystem schließen.
Manchmal kann man das direkt tun. Bei PHILIPS z.B. wusste man sofort, da steht dieser Bereich Entmännlichung, De-Machoisierung dahinter. Das konnte man direkt sehen. Bei anderen Dingen kann man es nicht so direkt sehen. Wenn man z.B. ein Retailer ist und feststellen möchte, warum die Leute nicht zu bestimmten Regalplatzierungen greifen. Das hängt eben meist nicht mit solchen ganz offensichtlichen Systemen zusammen, sondern man muss zunächst schauen, wo greifen sie denn stattdessen hin. Welche Workarounds machen sie sich im Einkaufswagen? Wie organisieren sie ihre Einkaufswagen? Und was passt vielleicht bei mir nicht? Und dann kommt man auf das entsprechende Motiv. Gleiches gilt für Feedback im Social Media Bereich. Häufig ist es nicht ganz einfach, Motive daraus zu lesen. Bei bestimmten Konsumentengruppen muss man einfach schauen, was posten die, wo posten die noch und welchem Muster entspricht das Ganze.
*** Ende ***
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