Wo ist die Service Intelligence?

von Gunnar Sohn
8. Januar 2013
Wo ist die Service Intelligence?

Über Vernetzungstrends im Kundendienst.

Vom Fachdienst Call Center Experts bin ich gefragt worden, welche Kommunikationsmedien in diesem Jahr am häufigsten für Verkauf und Kundenservice genutzt werden. Gefordert wurde eine Reihenfolge, die ich aber nicht lieferte. Hier nur der Auszug meiner Antwort auf die erste Frage von insgesamt drei Fragen:

Festnetztelefonie war gestern. So lautet die provokante Überschrift der NZZ. Das Schweizer Blatt beruft sich auf Zahlen des Bundesamts für Kommunikation (Bakom). 51,9 Prozent der Gesprächsminuten erfolgten im vergangenen Jahr über das Festnetz, 48,1 Prozent über das Handy. 1999 sah dieses Verhältnis noch gänzlich anders aus, als nur jede zehnte Gesprächsminute mit dem mobilen Telefon getätigt worden war. In Deutschland sieht der Trend ähnlich aus. Beachtlich ist vor allem der Anstieg der mobilen Internetnutzung, der von Geräten mit den Betriebssystemen von Apple und Google nach oben getrieben wird. Das hat auch Auswirkungen auf die Service-Kommunikation. Telefonate werden irrelevanter, vernetzte Dienste via Apps und Browser sind die Gewinner. An jedem Kontaktpunkt zum Unternehmen erlebt der Kunde das gleiche Service-Angebot – das ist aktuell natürlich nur eine Illusion. Wer hier jetzt mal seinen Geist in Bewegung setzt und entsprechende Angebote entwickelt, wird sich mit Siebenmeilen-Stiefeln von der Konkurrenz absetzen.

Eine Reihenfolge in der vernetzten Service-Ökonomie erledigt sich. Unter der Haube des Kundendienstes verrichten unterschiedliche Applikationen ihre Arbeit und nutzen den Zeitvorteil für die personalisierte Analyse der Kundenwünsche.

Soweit die etwas überarbeitete Version meiner ersten Antwort. Was spielt sich aber nun konkret in der Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden ab? Im Buch „Nerd Attack“ von Spiegel-Redakteur Christian Stöcker fand ich weitere Argumente über den Nutzen der asynchronen Kommunikation. Das ist ja schon mehrfach von mir thematisiert worden. Siehe auch: Vom Nutzen der asynchronen Kommunikation.

Das Telefon stehe, wenngleich die Erinnerung daran schon langsam verblasst (siehe die Zahlen oben), für kommunikative Verknappung, so Stöcker. Aber schon die E-Mail sorgte dafür, dass Kommunikation erstmals kein Kosten- und Verknappsungsfaktor mehr war.

„Außerdem hatte sie noch einen weiteren unschlagbaren Vorteil: Sie erlaubte asynchrone, aber schnelle Kommunikation. Bis dahin gab es nur zwei Arten von persönlichem Kontakt: direkt und synchron, von Angesicht zu Angesicht oder per Telefon und allzu asynchron, per Post. Außer man hatte eine Sekretärin (seltener einen Sekretär) zur Verfügung, die Nachrichten verzögert weitergeben konnte“, schreibt Stöcker.

Erst E-Mails erlaubten symmetrische, garantiert asynchrone Kommunikation.

„Wer schreibt, muss keine Angst haben, dass jemand den Hörer abnimmt. Das ist im Geschäftsleben ebenso praktisch wie in der Liebe. Als die Handys alltäglich wurden, erreichte die symmetrisch-asynchrone Kommunikation auch Menschen, die das Internet noch nicht nutzten. Eine SMS zu schicken gilt als weniger aufdringlich, als direkt anzurufen, bis heute. Schließlich lässt man dem Angesprochenen die Wahl, ob und wann er reagieren möchte. Außerdem waren Handys die tragbaren Vorstufen zu den großen Social Networks von heute“, meint der Buchautor.

Das habe dafür gesorgt, dass Kommunikation heute differenzierter und feiner auf die aktuelle Situation abgestimmt werden kann als je zuvor in der Geschichte. Für die Service-Kommunikation ist das eine einmalige Gelegenheit, den Zeitvorteil der asynchronen Kommunikation für maßgeschneiderte Dienste zu nutzen.

„Man kann mit entsprechenden Systemen der Künstlichen Intelligenz die zur Bearbeitung der Kundenanfrage benötigten Daten und Informationen perfekt ermitteln und auswerten. Während der Kunde am Telefon warten muss, bis der Servicemitarbeiter den Status seines Auftrags umständlich in verfügbaren Backend-Systemen eruiert, können Kundenwünsche über die asynchrone Kommunikation über die so genannte Dunkelverarbeitung in einem viel höheren Automatisierungsgrad erfüllt werden“, erläutert Andreas Klug von der Kölner Softwarefirma Ityx.

In der Endbearbeitung liegen dem Mitarbeiter bereits alle wichtigen Informationen vor: Bestellnummer und Bestellstatus, Link zum Auftragssystem, Link zu den Kundendaten.

Ein weiterer Vorteil des Trends zur asynchronen und verschrifteten Kommunikation sei der Gewinn an Transparenz:

„Im Schnitt sind rund 70 Prozent aller Kundenfragen sogenannte ‚wiederkehrende Ereignisse‘. Die Fragen werden mehrmals täglich gestellt. Häufig erhalten die Kunden am Telefon aber unterschiedliche Antworten – je nach dem in welcher Art sie ihre Fragen stellen und welcher Servicemitarbeiter gerade antwortet. In der asynchronen oder unsichtbaren Servicekommunikation gibt es diese Qualitätsschwankungen nicht so extrem. Die Antworten sind konsistenter.“

Um die Netzwerkeffekte für wiederkehrende Serviceanfragen zu nutzen, ist allerdings eine Kultur für Open Services vonnöten. Offenheit und Partizipation scheuen die Service-Anbieter wie der Teufel das Weihwasser.

„Unternehmen sehen Kritik naturgemäß lieber in den dafür vorgesehenen Beschwerdekanälen, wo sie für die Außenwelt unsichtbar bleiben. Bei Twitter hingegen ist die Kritik öffentlich und lässt sich auch nicht einfach löschen wie zum Beispiel auf Facebook-Unternehmensseiten. Verbraucher haben damit einen Hebel, Unternehmen zu einer Reaktion zu bewegen“, so Kathrin Passig in einem Beitrag für das Buch „Die Kunst des Zwitscherns“ (erschienen im Residenz Verlag).

Selbst wenn man als Kunde Antworten im Social Web erwartet, wird man förmlich genötigt, eine Hotline anzurufen oder sich von einer Hotline anrufen zu lassen. Eine entsprechende Disputation hatte ich ja mit E-Plus.

Mit dieser vorherrschenden Mentalität zur Abschottung brauchen die Unternehmen auch nicht von Big Data zu faseln. Wer sich dem Zugang zur Netzöffentlichkeit verschließt, kann auch die Früchte der Netzeffekte nicht ernten.

Vernetzte und offene Services verlangen ein völlig neues Denken, neue Technologien und den Einsatz von Systemen der Künstlichen Intelligenz, die weit über die Call Center-Kompetenzen hinausgehen. Nennen wir das Ganze doch Service Intelligence. Die findet man allerdings nicht so sehr bei Call Center-Unternehmen, sondern im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Oder im neu aufgelegten Opus „Denkwerkzeuge der Höchstleister“ von Gerhard Wohland und Matthias Wiemeyer.

http://www.youtube.com/watch?v=NEDPDGgNSus?rel=0

Sie beschäftigen sich mit der „neuen Künstlichen Intelligenz“. Sie baut digitale Strukturen auf, die denen des Gehirns so ähnlich seien, dass sie, nach Training in geeigneter Umgebung, ähnlich operieren wie ein Gehirn. Hohe Rechenleistung werde genutzt, um komplexe Systeme so ausreichend nachzuahmen, dass wirtschaftlich nutzbare Leistung entsteht. Nachzulesen auf Seite 132 des Wohland-Wiemeyer-Bandes.

Bin gespannt, welche Anbieter diese Service Intelligence aufs Gleis bringen.

Wer schon entsprechende Beispiele kennt, ist herzlich zu Interviews eingeladen.


Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf Ich sag mal – Nachrichten zu Technik, Informationstechnologie, Telekommunikation, Künstliche Intelligenz, Management, Umwelt und Internet.

1 Kommentar

gsohn 8. Januar 2013 - 10:28

Reblogged this on Vernetzt Euch! und kommentierte:

Thema werden wir in einem der nächsten Blogger Camp-Sessions aufgreifen.

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