Die Gnade der späten Geburt oder wenn das Erbe zur Last wird
Marken geben Orientierung, ein Weg, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den Informationsmüll auszusortieren. Sie stellen Codes dar, die unsere Intuition ansprechen, ähnlich wie der Frühzeitmensch in der Savanne Wasserquellen anhand von Akazien entdecken konnte. Marken sind die größte Reduktion von Komplexität, sie schaffen Vertrauen.
Doch das Konsumentenvertrauen in Großunternehmen und Konzerne erodiert und damit auch das Vertrauen in die bekannten Marken klassischer Prägung. Banken können ein Lied davon singen. Die Werbung der Commerzbank zum Beispiel zeigt, wie Marken-Erbe zum Ballast für die Glaubwürdigkeit wird. Immer mehr nimmt der soziale Filter mit Ratings, Reviews und den Empfehlungen von Freunden die Rolle der Akazien in der digitalen Welt ein.
Springwise berichtet in seinem letzten Trendreport von einem neuen Typus von Marken, die mit weißer Weste geboren werden. Sie werden durch das im Netz artikulierte Vertrauen von Konsumentenmeinungen weiter getragen und erlangen so auch die Aufmerksamkeit anderer vernetzter Konsumenten, die auf der Suche nach dem Neuen sind.
Die Lust auf Neues – warum Neu jetzt auch besser bedeutet
Viele Marken stammen aus einer Zeit, in der die Marke dem Kunden die Welt erklärte und die Interpretationshoheit beim Absender der Nachricht lag. Dietmar Dahmen hat in seinem Vortrag „Die Marke spricht, der Prosument spricht mehr“ eindrucksvoll erklärt, warum dieses Kräfteverhältnis immer mehr außer Kraft gesetzt wird.
Ein anderer Aspekt ist die gestiegene Innovationsgeschwindigkeit durch die gesunkenen Markteintrittsbarrieren in einer zunehmend digital vernetzen Wirtschaft: „Brands and individuals from all corners of the world are now working around the clock to dream up and launch endless new products and services“.
Bekannte Marken sehen alt aus, im Vergleich zu neuen hippen Produkten und Services, die Ausdruck eines latent artikulierten Bedürfnis nach neuen Lösungen sind. Der Erfinder von Google Glass erklärte kürzlich in einem Interview mit mashable, dass seine Konzentrationsprobleme bei Vorlesungen ihn auf die Idee gebracht haben, einen als Brille tragbaren Computer zu entwickeln.
Unmittelbar Vertrauen schöpfen – a brand as a friend
Marken haben in der Vergangenheit Jahre benötigt, um das Konsumentenvertrauen zu erlangen. Die bekanntesten und wertvollsten Marken der Welt existieren vielfach seit mehreren Jahrzehnten. Das durchschnittliche Alter der Top100-Brands liegt bei 68 Jahren! Wir sind mit ihnen groß geworden.
Vier treibende Kräfte führen laut Springwise dazu, dass vernetzte Kunden unmittelbar Vertrauen zu neuen Marken mit weißer Weste fassen und sie in manchen Fällen sogar den alten Weggefährten vorziehen:
- Durch die Vernetzungsdichte in der digitalen Welt verbreiten sich Empfehlungen – auch zu den neusten Produkten – schneller. Damit fasst man auch schneller Vertrauen und das gefühlte Risiko, eine falsche Entscheidung zu treffen, tritt in den Hintergrund.
- Neue Marken sind oftmals Kind des neuen Zeitgeists. Sie sind clean und tragen nicht das schwere Erbe der Vergangenheit mit sich herum.
- Der neue Typus „weißer“ Marken ist einfach zu verstehen und macht das Leben leichter. Sie sind also im besten Sinne Smarter Services. Viele Produkte der alten Welt machen uns das Leben durch überbordende Komplexität eher schwer.
- Cleane Marken erhalten Vorschuss-Lorbeeren. Sie müssen sich das Vertrauen nicht mühsam über Jahre erarbeiten, sondern sie enthalten das Versprechen, auch in Zukunft vertrauenswürdig zu agieren und sich an den unausgesprochenen Codex zu halten, nicht ausschließlich den Interessen der Kapitelgeber zu dienen.
Open Brands – Transparenz als Preis der Glaubwürdigkeit
Steve Jobs alter Spruch „Control the Message“ hat für diese neue Generation an Marken ausgesorgt. Wenn Glaubwürdigkeit nach der Einlösung des Wirkungsversprechens das höchste Gut ist, dann wissen die Macher dieser neuen Marken, den Dialog auch mit kritischen Nutzer öffentlich zu führen. Transparenz in den Produktions- und Betriebsprozessen ist der Preis der Glaubwürdigkeit.
Wie auch etablierte Marken die Open Brand-Prinzipien nutzen können
Auch in den nächsten Jahren wird die Konsum-Welt von etablierten Marken dominiert werden. Die Massenmedien haben noch nicht ausgedient. Auch wenn ihre Wirksamkeit sinkt, spielen sie doch eine wichtige Rolle bei Big-Seed Strategien neuer Prägung.
Jedoch bekommen immer mehr etablierte Marken die mediale Machtverschiebung vom Anbieter zum Nachfrager und die damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen zu spüren.
Prof. Kruse hat es in seinem denkwürdigen Auftritt vor der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags sehr eindringlich auf den Punkt gebracht: Wer sich die „kreisende Erregung im Netzwerk“ zunutze machen will, muss ein Gefühl für die Resonanzmuster erlangen.
Die Open Brand-Prinzipen lassen sich nicht nur von agilen Start-Ups anwenden, sondern sollten als Teil der Digitalen Transformation des Nutzenversprechens angegangen werden:
- Lernen Sie von „cleanen Marken“ und machen Sie die Erkenntnis relevant für Ihr Business, um Chancen frühzeitig zu erkennen, zu bewerten und sie erfolgreich für die Zukunft Ihres Geschäft nutzbar zu machen.
- Machen Sie es einfach! „Mach’s einfach“ sollte Teil jeder Initiative sein, die die Marke mit neuer Energie versorgen. Machen Sie sich auf die Suche nach verstecker Komplexität.
- Übernehmen Sie Verantwortung, arbeiten Sie nachweislich nachhaltig und seien Sie transparent, um Glaubwürdigkeit für Ihr Engagement aufzubauen.
- Suchen Sie den Dialog und seien Sie hilfreich und auch bei kritischen Meinungen offen und fair. Empathie ist nicht unbedingt die Stärke der meisten Marketiers, aber sie wird zukünftig ein wichtiger Erfolgsfaktor.
- Wenn Sie den Eindruck haben, Ihr Unternehmen ist zu groß, die Strukturen zu verkrustet, dann schaffen Sie sich eine Test- und Lernplattform und investieren sie in Start-Ups, die in Ihrer Produkt-Kategorie clean sind. Fahren Sie nach USA. Jeden Tag kann eine technologische Innovation die Spielregeln ändern. Bleiben Sie wachsam. Einfach mal lossegeln, es gibt noch viele grüne Inseln da draußen zu entdecken.
Die Smarter Service Redaktion hat ein paar Beispiele für Marken zusammengestellt, die dem Profil der „Marken mit weißer Weste“ ganz oder in Teilen entsprechen.
Stimmen Sie uns zu? Oder welchen Marken begegnen Sie mit Vorschuss-Lorbeeren?
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