Pawlowsche Hunde, egozentrische Führungskräfte und der digitale Kulturschock

von Gunnar Sohn
14. Februar 2014
Pawlowsche Hunde, egozentrische Führungskräfte und der digitale Kulturschock

Führungskräfte scheitern nicht am mangelnden Fachwissen, bemerkt der frühere Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger im Interview mit dem Stifterverband. Sie scheitern an Egozentrik, an fehlender Selbstreflexion, überzogenen Versprechungen, die man nicht einhalten kann und an geistigem Silodenken.

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Sattelberger ist davon überzeugt, dass viele Menschen teamorientiert sind und in ihren Unternehmen auch teamorientiert arbeiten. Die Anreizmechanismen, die interne Organisation, die Steuerungssysteme und Vergütungsvorgaben setzen die falschen Impulse. Strukturen und fragwürdige Steuerungslogiken wie bei den Bonitätsregeln von Banken und Versicherungen prägen das Verhalten viel stärker als die persönliche Disposition. Man agiert in den Organisationen eher wie ein Pawlowscher Hund.

Wenn diese autoritären und egozentrischen Organisationsprinzipien auf die anarchischen und unlogischen Strukturen des Internets prallen, lernen die überheblichen Egozentriker sehr schnell, dass die alten Mechanismen nicht mehr funktionieren. Hier liegt wohl der Kern des Problems beim Umgang mit der digitalen Transformation. Es liegt nicht am Unverständnis gegenüber technologischen Veränderungen. Die Organisationssysteme in Konzernen und vielen mittelständischen Unternehmen sind in der digitalen Sphäre nicht mehr tragfähig. Unternehmen wollen in ihrer Außenkommunikation gerne als eine einheitliche Entität wahrgenommen werden – auch im Netz:

„Genau das funktioniert nicht mehr, auch wenn man strikte Social Media-Guidlines formuliert oder Regeln festlegt, wer in der Außenwelt etwas sagen darf und was er sagen darf. Auch hier versucht man, das Ganze in Kontrollstrukturen einzugliedern, damit krampfhaft das Bild einer einheitlichen Entität gewahrt wird. Das kostet unglaublich viel Energie und funktioniert am Ende doch nicht“, sagt Kontrollverlust-Blogger Michael Seemann.

Man sollte versuchen, sich in losen und standardisierten Netzwerken zu organisieren. In Agenturen werde das schon kräftig ausprobiert. Als Beispiel nennt Seemann die Zentrale Intelligenz Agentur von Kathrin Passig und Holm Friebe.

„Da geht noch mehr. Es verlagert sich immer mehr in amorphe Strukturen, die Arbeitsdienstleistungen austauschen und sich jedes Mal neu organisieren. Uneinheitliche und dezentrale Organisationen lassen sich sehr viel besser durch das neue Spiel des Kontrollverlustes leiten“, so der Rat von Seemann.

Die Souveränität in diesem Szenario liegt ohnehin immer mehr beim Konsumenten, erläutert Thomas Dehler, Geschäftsführer vom Berliner Dienstleister Value5. Er diktiert das Tempo, er organisiert sich über Cloud-Anwendungen, er bestimmt das Geschehen in der Beratung, er gibt vor, wie Produkte und Dienste gestaltet werden müssen.

Folgt man den Untersuchungen von Professor Rupert Hasenzagl, so überwiegen in klassischen Management-Kulturen immer noch trügerische Rationalitätsphantasien. Entsprechend mangelhaft ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion ausgeprägt. Wichtig wäre mehr Freiraum für Kreativität und die Zulassung von Regelverletzungen, um Optionen für Neuerungen entfalten zu können.

Der Mittelstandsberater Klemens Kalverkamp geht in seinem Buch „Das Management der Marktführer von morgen“ noch einige Schritte weiter. Mit dem beginnenden Informationszeitalter hätten sich die Unternehmen schon längst von den autoritär-militaristischen und tayloristischen Organisationsformen des alten Industriekapitalismus verabschieden müssen. Dieses Erbgut sei immer noch sehr lebendig, wenn ständig von „Verkaufsfront“, „Rabattschlacht“ oder „Kriegskasse“ gesprochen wird und Mitarbeiter als „Truppen“ ins Feld geführt werden.

Entscheidend sei es jetzt, das brachliegende Potenzial der kollaborativen Intelligenz in Unternehmen auszuschöpfen. Vernetzte Organisationsformen mit dezentraler Entscheidungsfindung seien das Gebot der Stunde. Dazu müsse sich in der gesamten Wirtschaft eine neue Form des Miteinanders herausbilden. Funktioniert das Ganze nach einem Plan, den schlaue Köpfe innerhalb und außerhalb des Unternehmens aushecken? Das klappt selten. In der medialen Welt schon gar nicht:

„Alle Thesen und Prognosen, die wir in der Vergangenheit aufgestellt haben, sind nicht in Erfüllung gegangen. Nichts von dem, was wir prognostiziert haben, ist wahr. Nur eine einzige These ist übrig geblieben und die lautet: Alle Thesen im digitalen Journalismus sind falsch”, sagt Zeit Online-Chefredakteur Jochen Wegner.

Sein Credo: Durchwursteln!

Oder etwas vornehmer ausgedrückt: Man sollte sich als Beobachter des Zufalls bewähren. Gelegenheiten erkennen, statt einer Schimäre der rationalen Entscheidung hinterherzulaufen. Ein Unternehmer ist für den Ökonomen Israel Kirzner ein Häscher des Okkasionellen – ein Chancenverwerter. Occasio ist die Göttin der Gelegenheit mit einem nach vorne fallenden Haarschopf, an dem man sie zu ergreifen hat; wer diesen Augenblick verpennt, hat keine zweite Chance, denn von hinten ist die Dame kahl.

Deshalb bleibe ich bei meinem Rat: Repression verdünnen und mehr Anarchie wagen: Auch in Unternehmen! Das gilt übrigens auch für die Ratgeber der digitalen Transformation. Oder anders ausgedrückt: Eat your own dogfood!


Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf: Ich sag mal.

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