Über die Kunst des Distanz-Managements

von Gunnar Sohn
3. April 2014
ÜBER DIE KUNST DES DISTANZ-MANAGEMENTS – HOME OFFICE-ARBEIT RICHTIG ORGANISIEREN

Home Office-Arbeit richtig organisieren

Dezentrale Arbeit ist in Deutschland immer noch ein Randthema und wird von einigen Mythen und Vorurteilen bepflastert. Auf der Arbeitgeberseite und auf der Arbeitnehmerseite. Bei den festangestellten Mitarbeitern gibt es die Befürchtung: „Wenn mich mein Chef nicht sieht, denkt er, dass ich nicht arbeite“. Wer nicht an seinem klassischen Arbeitsplatz sitzt, glaubt, dass seine Leistung von Vorgesetzten nicht wahrgenommen und wertgeschätzt wird.

„Die Tendenz, Beschäftigte lieber im Büro arbeiten zu lassen, ist auf der Arbeitgeberseite beeinflusst von der Tatsache, dass man Führung über Autorität und weniger über Confidence, also Vertrauen, realisiert. Das sind die beiden wichtigsten Angstaspekte: Zum einen die Frage aus Arbeitgebersicht, ob Mitarbeiter ohne Kontrolle überhaupt Ergebnisse leisten und zum anderen, ob Kontrolle außerhalb der Unternehmensgrenzen überhaupt möglich ist“, sagt Thomas Dehler, Geschäftsführer von Value5.

Die Furcht vor sozialer Isolation und der nicht konsequenten Abgrenzung von Arbeit und Freizeit kommen hinzu, wenn in der Öffentlichkeit über Work at Home-Konzepte disputiert wird. Wie viel Erfahrungswissen steckt wirklich hinter diesen Bedenken?

Zwei Gespräche mit Home Office-Mitarbeiterinnen ergeben ein ganz anderes Bild (Namen wurden von der Redaktion geändert). Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Melanie Stade überhaupt kein Problem:

„Ich bin gelernte Krankenschwester und habe zudem als Selbständige in der Gastronomie gearbeitet. Im Vergleich zu meinen führen Berufen, hatte noch nie so viel Freizeit wie jetzt. Es gibt klar geregelte Arbeitszeiten, die sich in Spätschichten und Frühschichten aufteilen. Ich kann mir die Termine so legen, wie ich sie brauche – etwa für Freizeitaktivitäten oder Arzttermine.“

Es gebe klar definierte Stunden, die man wöchentlich leistet.

„Eine Vermischung von Arbeit und Freizeit findet in unserem Unternehmen nicht statt“, so Stade.

Unter sozialer Isolation leidet sie schon gar nicht:

„Ich bin in einem Rock’n’Roll-Club aktiv, pflege meine Freundschaften, kann in meiner Freizeit soziale Kontakte viel besser organisieren und unternehme sehr viel mehr mit meiner Familie. Mit den Kollegen gibt es einen regen Austausch über Live-Chats, unsere Teamleiter organisieren Treffen und es gibt sogar Betriebsfeiern. Also auch über Home Office-Tätigkeiten funktioniert die Kommunikation mit Kollegen“, sagt Stade.

Arbeiten ohne Flurfunk

Allerdings sieht sie einen großen Unterschied zu klassischen Büro-Formationen: Im Home Office gebe es weniger Konkurrenzdruck, keinen Flurfunk und keine Mobbing-Aktivitäten. Zudem entfällt der Stress im Berufsverkehr:

„Ich war täglich mindestens eine Stunde unterwegs, obwohl ich Arbeitsstellen in meinem Wohnort hatte. Das Auto musste betankt und die Scheiben im Winter frei gekratzt werden, der Stau brachte den Puls nach oben und die Parkplatzsuche ist auch kein Vergnügen. Heute gehe ich in meiner Wohnung eine Tür weiter und bin direkt am Arbeitsplatz.”

Auf dem Konto für Home Office-Pluspunkte vermerkt sie mehr Ruhe und Ausgeglichenheit. Das Prinzip „Ich sitze im Büro, also arbeite“ hält Stade für nicht stichhaltig. Man könne an externen Arbeitsplätzen eine Menge Zeit verplempern, etwa in der Kaffeeküche oder eben schlichtweg mit Bürotratsch.

„Das fällt bei mir weg. Ich nutze die Arbeitszeit effektiver, um die Projektziele zu erreichen.“

Bandbreite ist immer noch der größte Stolperstein

Ein Problem sieht sie bei der mangelhaften Bandbreite in ihrer Region. Hier sollte die Kommune schnellstens Abhilfe schaffen, um die Netzwerkverbindungen, die für Home Office-Tätigkeiten notwendig sind, zu verbessern.

„Das ist zur Zeit der größte Stolperstein.“

Positiv ist auch die Home Office-Bilanz bei Franziska Paschke.

„Ich genieße es, dass ich tagsüber mehr Zeit für Freizeitaktivitäten habe und Dinge erledigen kann, für die ich früher Urlaub nehmen musste. Etwa für die Betreuung meiner pflegebedürftigen Mutter.”

Die Abgrenzung von Arbeit und Freizeit sei überhaupt nicht schwierig.

„Ich weiß immer sehr genau, wann und viele Tage pro Woche Home Office-Arbeit gemacht wird. Danach richte ich meine Freizeit aus.“

Keine Konkurrenz mit Büro-Modepüppchen

Das gehe sehr flexibel im Gegensatz zu ihren früheren Arbeitsverhältnissen. Netto bleibe definitiv mehr Zeit für private Belange übrig. Früher waren es rund zwei Stunden, die Paschke für den Hin- und Rückweg im Auto verbrachte. Da sie mit ihren 55 Jahren mit den Büro-Modepüppchen nicht mehr mithalten könne, bleibt ihr dieser Konkurrenzdruck in den eigenen vier Wänden erspart. Es zähle nur ihre Leistung und nicht das Aussehen.

Zwei Meinungen, die zwar nicht repräsentativ sind, aber dennoch als Indikator für die Vorteile dezentraler Arbeit gewertet werden können.

„In unserer Firma haben wir frühzeitig Strategien entwickelt, um die Mitarbeiter nicht einem Allways on-Stress auszusetzen. Um dieser Gefahr aus dem Weg zu gehen, adressieren wir genau dieses Thema quartalsweise: Und zwar mit Umfragen in der Belegschaft der Festangestellten und räumlich verteilt Beschäftigen. Bisher wurde diese Befürchtung bei uns nicht bestätigt, da wir über ein rotierendes Schichtsystem verfügen, das ganz genau den Einsatz in seiner jeweiligen Art und Weise ankündigt und auch befristet. Darüber hinaus beläuft sich die zusätzliche Arbeitsleistung, die ein Mitarbeiter im Spitzen- oder Bedarfsfall erbringt, auf Eigenmotivation und eigener Opt-in-Entscheidung“, erläutert Dehler.

In der Praxis gebe jeder Mitarbeiter im Vorfeld seiner Beschäftigung an, dass er einen gewissen „Kann-Arbeitszeiten-Korridor” hat.

„Während dieser Periode kann er Arbeit verrichten, wenn wir ihn kurzfristig oder außer Plan benötigen. Dann entscheidet er, ob er auf diese Art von Alarmierung positiv reagiert oder den Alarm einfach vorbeiziehen lässt. Reagiert jemand positiv auf den zusätzlichen Arbeitsbedarf, sammeln wir natürlich Intensivierungs-Vermerke ein. Denn die Flexibilität eines Angestellten wird bei uns immer als treibende Kraft betrachtet und somit auch belohnt“, sagt Dehler.

Was viele Unternehmen noch lernen müsse, sei das Distanz-Management.

„Man braucht nur auf die Analysen des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation zu schauen“, betont Dehler.

Arbeit werde immer mehr standort- und länderübergreifend organisiert, was wesentliche Anstrengungen zur Etablierung des kommunikativen Rahmens, der Orientierung und der Rückmeldung in virtuellen Teams erforderlich macht. Kommunikation müsse professionalisiert werden und die Kommunikationsfähigkeit noch viel mehr ins Zentrum des Trainings von Mitarbeitern und Führungskräften rücken. „Führung auf Distanz” werde immer mehr Regel denn Ausnahme sein.


Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf: www.ne-na.de – Nachrichten im Netz-Dschungel.

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