Die klassische Trennung in Produkte und Dienstleistungen, in tangible und nicht-tangible Produkte hat ausgedient. Services und Produkte verschmelzen. Das „Produkt“ aus der Sicht eines Kunden lässt sich oft gar nicht mehr auseinander dividieren.
Mein iPhone ist ein Produkt im klassischen Sinne, das aber erst durch die Kombination mit einem Service – sprich iTunes – wirklich nützlich und sinnvoll ist. Diese Verschmelzung findet in nahezu allen Lebensbereichen statt. Dabei werden wir sprichwörtlich von täglich neuen Apps, Services, Produkten und Dienstleistungen überrollt. Alle buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Unternehmen wollen neue Produkte mit neuen Funktionen verkaufen oder bestehende Kunden besser an sich binden.
Nicht selten jedoch erzeugen die Unternehmen dabei digitalen Stress. Unsere Aufmerksamkeit wird immer mehr fragmentiert: TV, Facebook Updates, E-Mails, Telefonate. Zeit ist ein sehr begrenzter Faktor. Wer es nicht schafft, die Aufmerksamkeit der Kunden zu erhalten und stattdessen den Zeithaushalt überstrapaziert, verliert.
Services alleine – oder in der Vernetzung mit Produkten – machen den Kunden noch nicht glücklich und zufrieden. Den Kunden an die Hand nehmen, sich als Butler, Kindermädchen oder Lotse zu verstehen, ist die neue Aufgabe, die bewältigt werden muss.
Stellen Sie sich als Verantwortlichem doch einfach die folgenden Fragen:
- Wie viel Zeit muss ein Kunde investieren, bis er die gewünschten Informationen findet, er einen Prozess durchlaufen und abschließen kann?
- Wie viele Zeitfresser lassen sich bei der Nutzung Ihres Produktes, Ihrer Dienstleistung eliminieren?
- Kann man den Prozess einfacher gestalten?
- Welche unausgesprochenen Probleme des Kunden lassen sich aus dem Weg räumen?
- Welche pro-aktiven Leistungen können dem Kunden nützen?
Eine der Haupttriebfedern für die Entwicklung smarter Services ist die zunehmende Überforderung der Kunden mit neuen Technologien und Services. Ein iPhone 5S oder ein iPad ist bei weitem nicht selbsterklärend. Mittlerweile hat es so viele Funktionen, dass selbst technik-affine Kunden mitunter nicht wissen, wie sie etwas einstellen oder konfigurieren müssen.
Die Flut an Neuerungen – nur im Bereich der Smartphones – erschlägt den Kunden. Gut gedachte Produkte, Services und Dienstleistungen sind nur dann gut, wenn sie vom Kunden auch auf Anhieb verstanden und genutzt werden können und wenn sie den Zeithaushalt schonen, einen Nutzwert bieten und unauffällig im Hintergrund agieren, bis zu dem Zeitpunkt, wo sie erforderlich sind.
Womit wir bei der entscheidenden Frage sind: Was ist eigentlich smart? Was definiert einen „Smarten Service“? Ein Smarter Service erkennt oder versteht den Kunden und seine aktuelle Situation, in der er sich befindet. Ein Smarter Service agiert also kontextbezogen und im Idealfall präventiv.
Smart ist nicht gleich Smart
Nicht alles, was heute an Produkten, Systemen etc. miteinander vernetzt und gekoppelt wird, ist smart. Im App-Store von Google oder Apple sind tausendfach Apps vertreten, die in Marketingabteilungen nach dem Motto: „Alle Mitbewerber haben eine App.“ oder „Da dürfen wir nicht hintenanstehen.“ entstanden sind.
Fast alle Automobilhersteller bieten eine App, mit der ich den nächsten Händler finden, einen Servicetermin per E-Mail vereinbaren oder das Bußgeld ausrechnen kann, wenn ich bei Rot über die Ampel gefahren bin. Richtig pfiffig und smart ist das noch nicht. Wenn ich z.B. einen smart besitze und fahre, dann wäre es für mich nützlich zu wissen, wo ich in der Stadt einen Parkplatz finde. Ein smart benötigt kaum Platz zum Parken und kann auch an Stellen abgestellt werden, die für ein „normales“ Auto zu klein sind. Ich brauche also eine App, die mir sagt, wo sich die kleinen Parkplätze in der Stadt befinden. smart spots liefert genau das für smart-Besitzer in San Francisco – ein kleines Helferlein, dass dem Produkt smart einen weiteren Nutzen hinzufügt.
Richtig smart und zu Ende gedacht ist das neue Amazon Kindle mit seiner Mayday-Funktion. Mayday – der SOS Ruf eines Kunden, der sich auf der Internet Seite „verlaufen“ hat und nicht weiß, wie er seine letzten getätigten Bestellungen einsehen oder ein bestimmtes Produkt nicht finden kann.
Mayday ist eine direkt aufgebaute Videochat-Funktion, bei der per Knopfdruck ein Amazon-Mitarbeiter in einem eingeblendeten Fenster erscheint. Der Mitarbeiter kann mit dem Kunden sprechen und ihn gleichzeitig als Scout zur richtigen Seite führen, die relevanten Informationen per Stift einkreisen, visuell das Gesuchte sichtbar machen. Mayday schläft sozusagen bis zum Zeitpunkt an dem der Kunde Hilfe benötigt. Dann ist der Service allerdings sofort verfügbar. Kein Rückruf, kein Kanalwechsel. Das Lotsen durch die Seite geschieht, als ob ein guter Freund neben mir sitzt und mir durch Zeigen, Navigieren und Erklären hilft. Genauso müssen smarte Services gestaltet werden.
Für Kunden zählt in Zeiten von ständigen Produktneuerungen, hohem Geräuschpegel in Marketing und Werbung vor allem eines: Effizienz im Kundenservice. Wenn ein Kunde schon einen Service in Anspruch nehmen muss, dann bitte so, dass ein möglichst geringer Aufwand dabei entsteht. Personalisierung und Freundlichkeit sind zweitrangig. Schon im Jahr 2011 untersuchte CEB welche Faktoren für die Loyalität eines Kunden die Haupttreiber sind.
Viele Marketing-Verantwortliche gewinnen die ernüchternde Erkenntnis: Den Kunden positiv zu überraschen, ihn im Service zu entzücken, wirkt weit weniger als Loyalitätstreiber als eine Reduzierung des Aufwandes. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erklärt sich die Mayday-Funktion im neuen Kindle als Best-Practice Beispiel für einen smarten Service umso besser.
Je einfacher und bequemer es für den Kunden ist sein Geschäft zu tätigen, umso höher die Loyalität. Smarte Services müssen sich also vorrangig um die Gedankenwelt eines Kunden kümmern, während er ein Produkt nutzt und bedient: Was geht im Kopf eines smart-Besitzers vor, wenn er in die Stadt fährt? Was bewegt ihn? Welche Herausforderungen oder Ärgernisse können auftauchen? Löse ich diese Probleme unauffällig, schnell und ohne großen Aufwand, hilft ein smarter Service die Bindung an das Produkt und das Unternehmen zu erhöhen.
Produkte und Dienstleistungen nutzen, statt kaufen und besitzen
Spannt man den Bogen etwas weiter, dann bedeutet „Smarter Service“ auch, dass man die klassischen Muster, wie wir Produkte anschaffen und nutzen, in Frage stellen muss. Bislang kauft oder least die überwiegende Mehrheit in Deutschland ein Auto. Wozu ein Auto kaufen, das ich nur an wenigen Tagen oder Stunden im Jahr benutze? Wenn ein Auto zu 70 Prozent in der Garage steht, kostet es Geld, ohne dass es dafür einen wirklichen Gegenwert bietet. Ein Auto zu nutzen, dann wenn man es braucht, ohne es zu besitzen, ist auch eine Variante eines smarten Services. Uber oder car2go sind Beispiele für das Aufbrechen der klassischen Denkmuster.
Eine App, Geolokalisierung, elektronische Zahlungsfunktionalitäten – wenn man die Komponenten richtig und benutzerfreundlich miteinander verbindet und vernetzt, entsteht ein smarter Service.
Klingt einfach, einen smarten Service ins Leben zu rufen, ist es aber nicht. Es reicht nicht, ein paar kluge Programmierer zu beauftragen. Smarter Service bedingt einen interdisziplinären Ansatz. Services müssen designt werden, nicht programmiert. Es braucht Analysten und Marktforscher, die verstehen, wie Kunden ticken, welche Wege sie gehen, ein Produkt zu kaufen und zu nutzen. Es braucht Designer, die wissen, wie man die Produkt- und Dienstleistungsnutzung strukturieren und gestalten muss. Es braucht Prozess-Spezialisten, die wissen, welche Geschäftsprozesse betroffen sind und wie diese ineinander fließen. Und es braucht Programmierer und Umsetzer, die dieses Services entsprechend den Vorgaben umsetzen können.