Digitale Verblendung: Cargo-Kulte statt echter Transformation

von Gastautorin/Gastautor
6. Oktober 2016
Statt echter Digitalisierung lieber drei Cargo-Kulte!

Warum die digitale Transformation nicht zum Manager Ritual verkommen darf

Obwohl Mahner wie Thomas Sattelberger für unsere Zukunftsfähigkeit eine konsequente Digitale Transformation einfordern, bleiben wir hinter den Zielen zurück. Skepsis oder sogenannte Cargo-Kulte prägen noch zu sehr die Realität. Um Cargo-Kulte, die Simulation von echtem Wandel, geht es in diesem Beitrag. Drei der Cargo-Kulte des Digitalen und eine Alternative werden vorgestellt.

1. Kult-Figur Dueck und die Cargo-Kulte

Die re:publica ohne die Kultfiguren Sascha Lobo und Professor Gunter Dueck wäre keine re:publica mit großer Strahlkraft, sondern nur ein Bloggertreffen.

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Dieses Jahr klärte Dueck über Cargo-Kulte des Managements auf. Was aber sind Cargo-Kulte? Hier lassen sich mindestens drei Verständnispfade differenzieren.

Wikipedia (De) beschreibt Cargo-Kulte zunächst mehr schlecht als recht wie folgt:

Ein Cargo-Kult … ist eine millenaristische, politische, religiöse Bewegung aus Melanesien. Die Gläubigen leben von der Erwartung der durch symbolische Ersatzhandlungen herbeigeführten Wiederkehr der Ahnen, die westliche Waren mit sich bringen sollten. Es gab und gibt verschiedene Cargo-Kulte. … Gelegentlich wird im englischen Sprachraum der Ausdruck „Cargo-Kult“ für oberflächliche Nachahmung äußerlicher Handlungsweisen erfolgreicher Menschen in Erwartung von Reichtum und Ansehen verwendet. … Als Cargo-Kult-Wissenschaft bezeichnete der Physiker Richard Feynman eine syntaktisch richtige, aber ansonsten sinnlose Arbeitsweise im Wissenschaftsbetrieb oder bei der Softwareentwicklung. Die Entsprechung in hierarchischen Systemen wird als Cargo-Kult-Management bezeichnet. Auch hier stehen formal richtige Vorgehensweise und zur Schau getragene Umtriebigkeit zur realen Wirkungslosigkeit des Handelns in einem (teilweise bizarren) Gegensatz.

Kompakter als Wikipedia, aber auch mit der Tendenz zum Birdism erklärt ein Video des History-Channels auf Youtube, wie aus dem Begriff Cargo = Frachtgut während des Zweiten Weltkriegs ein anthropologischer Begriff wurde. Als amerikanische Truppen in entfernten Gebieten im Pazifik ihre Cargo-Logistik organisierten, leiteten Ur-Einwohner danach daraus einen Kult ab und erhofften mit simulierten „Cargo-Handlungen“ den gleichen Effekt wie zuvor zu erzielen, als amerikanische Frachtflugzeuge sie mit Nahrungsmitteln versorgten.

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Genau dieses naive Hoffen auf reale Effekte, obwohl man die dafür wirklich notwendigen Aktivitäten nur simuliert oder nur in unzureichenden Ansätzen realisiert, zeigt Dueck auch für das Management auf und entlarvt auf sympathische Weise das Absurde unserer modernen Zeiten.

Ein Beispiel Duecks: Das Leuchtturm-Projekt. In der Krise ist der Leuchtturm der ideale Cargo-Kult, um einen Wandel vorzugeben und ihn zugleich in der Breite zu vermeiden. Statt die Mühe einer umfassenden Transformation zu wagen, schafft man oft nur ein Ventil, eine Pseudo-Aktivität, die beruhigt.

Statt echter Digitalisierung lieber drei Cargo-Kulte!

Bild 1: Cargo-Kultisches aus dem Management (Dueck , Youtube)

2. Drei Cargo-Kulte der Digitalen Transformation

Solche cargo-kultischen Handlungen verhindern auch bei der jetzt so wichtigen Digitalen Transformation den notwendigen gesamtheitlichen Wandel, weil man sich allgemeinen Cargo-Kulten anschließt anstatt sich wirklich radikal zu fragen, was für das eigene Unternehmen die Zukunftsfähigkeit sicherstellt, und dann entsprechend zu handeln. Man pilgert zu Digitalen Veranstaltungen oder digital gebrandmarkte Veranstaltungen oder ins Silicon Valley, man lässt sich Endzeit- oder Zukunftsszenarien aufzeigen und gründet dann intern einen Arbeitskreis.

Um nicht missverstanden zu werden: Jede dieser Maßnahmen kann als ein Baustein extrem hilfreich sein, aber nur dann, wenn sie nicht als digitale Tranquilizer und der Selbst- und Fremdtäuschung dienen, sondern am Ende tatsächlich in dem notwendigen Wandel und der notwendigen Konsequenz münden.

Etwas genauer seien drei Kulte beispielhaft reflektiert:

CULT I: „Schnellboote“ vs. Fokus auf Gesamtorganisation

Der Duecksche Leuchtturm heißt bei der Digitalen Transformation internes oder externes Schnellboot oder Startup oder Inkubator. Statt den eigenen Tanker wieder auf Fahrt zu bringen, schafft man eine kleine Insel, die nicht weiter wehtut und lebt seinen digitalen Cargo-Kult dort aus. Das sorgt am Ende im Worst Case dafür, dass das flotte Schnellboot überlebt, der Tanker aber untergeht, wenn der Transfer der Transformation nicht gelingt. Haufe-Vordenker Randolf Jessl und Dr. Jürgen Meffert von McKinsey kritisieren daher diesen besonders populären Cargo-Kult (hier und hier).

Am Ende gibt es – s. dort – keine Alternative dazu, den auch Tanker selbst zu transformieren, um so die eigenen Assets für die Zukunft zu sichern und digital zu hebeln. Schnellboote und eigene / fremde Startups können dabei vor allem wichtige Beschleuniger sein! Als Ersatzhandlungen sind sie hingegen eher schädlich. Manchmal kann – wie von Thomas Sattelberger im Fall von VW – die Zerschlagung des Tankers und seine Transformation in eine Plattform vieler Schnellboote eine Alternative sein. Dann sind Schnellboote aber nicht Externalisierung eigener Untätigkeit, sondern wirklich essentielle Grundlogik für die notwendige Gesamttransformation.

CULT II „Digitaler Zuckerguss“ vs. Wertschöpfungstransformation

Aber selbst wenn nicht die Flucht in die Nebenbaustelle erfolgt, sondern tatsächlich die eigene Organisation im Fokus steht, bieten sich kreative Potenziale für Cargo-Kulte. Statt die Wertschöpfung z.B. im Marketing und Vertrieb wirklich fundamental neu zu organisieren und sie auf die zukünftige kunden- und service-orientierte, kollaborative Netzwerk- und Plattform-Ökonomie auszurichten, kann man mit ein bisschen Facebook-Engagement und Social-Listening- und Big-Data-Projekten für einen beruhigenden Zuckerguss sorgen, der Transformation nur oberflächlich simuliert. Hauptsache man setzt auf alle Buzzwords Den Untergang wird das nicht verhindern, aber man fühlt sich gut. Der Autor des Beitrags hat die Zuckerguss-Logik schon früher heftig kritisiert. Wir müssen also weg von der „Technologie“ hin zur neuen Logik, weg vom Zuckerguss hin zur echten Transformation in Richtung neuer Wertlogik.

Statt echter Digitalisierung lieber drei Cargo-Kulte!

Bild 2: Sattelberger zum deutschen Dilemma (Thomas Sattelberger)

CULT III: „Effizienzfetisch“ vs. neue Mehrwerte

Zuletzt gibt es natürlich die „Macher“, die tatsächlich die eigene Wertschöpfung fundamental neu organisieren. Leider ist die Deutschland 3.0 AG so sozialisiert, dass „Machern“ vor allem eines einfällt: Effizienz und Automatisierung! Mahner wie Dr. Detlef Bleise, ehemals Chef von RWE Consulting, kritisieren besonders engagiert diesen Irrweg und fordern stattdessen den Fokus auf Mehrwerte 4.0.

Natürlich bringt die Reduktion von Head Counts eine direkte bzw. schnelle Kostenersparnis und in einer von analysten- und medien-getriebenen Welt ist das ein Ventil, das Vorstände über ihre Zeit rettet. Eine wirkliche nachhaltige Alternative stellt die Effizienz-Strategie in vielen Fällen aber nicht da. Sie simuliert Zukunft und optimiert in Wirklichkeit nur linear die Vergangenheit.

Eingequetscht im Sattelburger (nach Thomas Sattelberger, s. Bild 2), also eingequetscht zwischen den kalifornischen Gründern und der Effizienznation China, werden wir so aber scheitern. Effizienz kann China bald viel besser!

3. Die Alternative: eine dreifache „Skalierung“

Was ist die Alternative? Wir müssen – im Sinne Churchills „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede – in allen Dimensionen nicht nur cargo-kultische Pseudoschritte gehen, sondern eine echte Transformation realisieren wie es Bild 3 darstellt.

Statt echter Digitalisierung lieber drei Cargo-Kulte!

Bild 3: Drei Dimensionen Transformation (Autor)

Wie aber gelingt dieser Pfad, vor allem das Bewältigen der damit verbundenen enormen Komplexität? Hier haben Beratungen verschiedene Modelle zum Vorgehen und zur Priorisierung vorgeschlagen. Detecon z.B. nutzt den digitalen Navigator, um die Komplexität der Transformation zu bewältigen. s. dort.

Dr. Jürgen Meffert und McKinsey schlagen im Rahmen von Digital@Scale neun Schritte vor, um den Wandel zu meistern. Die Basis bildet die Transformation in ein technologie-basiertes Unternehmen (s. Schritt 1). Die Komplexität wird dann vor allem kundenzentriert (Schritt 2) bewältigt, indem nacheinander die einzelnen Kontakt- bzw. Berührungspunkte mit dem Kunden und die damit verbundenen Kundenreisen als Ausgangspunkt gewählt werden (s. u.). Cross-funktionale Teams bilden ähnlich wie bei Bleises Center of Integration die Transformationsbasis (Schritt 3). Mehr dazu hier und hier.

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Bild 4: Neun Schritte für Digitale Transformation (McKinsey, s. hier)

Was Mefferts Botschaft Digital @Scale auf jeden Fall deutlich macht: Digitale Cargo-Kulte werden uns nicht helfen. Wirkliches Nachdenken und Anstrengen wie auch eine konsequente Skalierung der Digitalisierung sind alternativlos. Je früher wir das erkennen, desto besser.


Unser Gastautor

Winfried Felser Winfried Felser, Geschäftsführer NetSkill Solutions, ist seit 2000 Betreiber der Competence Site, einem Kompetenz-Netzwerk mit mehreren Tausend Experten aus Wissenschaft und Praxis zu den Themenbereich Management, IT und Technik. Er ist zudem Herausgeber des Competence Reports und der Competence Books Themen wie BPM, MES, CRM, BI, HR-Software, Talent Management, Industrie 4.0, Enterprise 2.0 und Intralogistik sowie Autor für die Huffington Post, LinkedIn Pulse, The European, Absatzwirtschaft und andere Fachmedien. Zuvor hat der Preisträger des Bundeswettbewerbs Multimedia von 1999 (Bundesministerium für Wirtschaft) als Unternehmensberater und später als stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Anwendungszentrums für Logistikorientierte Betriebswirtschaft in Paderborn Unternehmen dabei unterstützt, neue Technologien für den Wandel von Produkten und Wertschöpfungsprozessen zu nutzen.

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