Reinfräsen statt reinschleichen: Das Marketing als Vorreiter in der agilen Transformation?

von Bernhard Steimel
28. Mai 2018
Reinfräsen statt reinschleichen: Das Marketing als Vorreiter in der agilen Transformation?

Das größte Hindernis auf dem Weg zur digitalen Transformation ist das mittlere Management in den Unternehmen. Es scheut das Risiko, den Aufwand und die Unsicherheit von Veränderungen. Die Widerstände aus dem mittleren Management sorgen dafür, dass sich Veränderungen nicht in der notwendigen Geschwindigkeit umsetzen lassen. Nur sehr wenige Unternehmen haben die Zeit, die Veränderungen organisch umzusetzen, also jeden einzelnen Mitarbeiter im Unternehmen mitzunehmen und an den Veränderungen zu beteiligen.

Den größten Veränderungsdruck hat das Marketing, da hier die gesamte Kommunikation des Unternehmens bewältigt werden muss. Die Marketingfunktion in einem Unternehmen muss deutlich schneller als andere Bereiche reagieren. In der Praxis stellt sich das Marketing den Veränderungen hin zu einer agilen Organisation früher als andere Funktionsbereiche in den Unter- nehmen. Es ist häufig Vorreiter für die digitale Transformation und wird dadurch zu einem Inkubator für die Veränderung.

„Ich denke nicht, dass die digitale Transformation in der Breite anfangen kann. Dies würde zu überstarken Widerständen führen und die Entwicklung hemmen. Das Marketing kann hier eine Pilotfunktion übernehmen.“ (Interview mit Michael Buck, Convidera)

Allerdings dürfen Unternehmen nicht zu vorsichtig agieren. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass ein „Hineinschleichen“ nicht funktioniert. Da die Zeit angesichts der Marktentwicklung drängt, ist hier eher ein „Reinfräsen“ (Thomas Sattelberger) notwendig. Es ist nicht ausreichend, beispielsweise nur Einzelpersonen oder kleinere Teams aus der normalen Organisation herauszulösen und in agilen Methoden zu schulen. Die Situation für diese Personen ist dann folgende: Sie haben als einzige in der Organisation die Aufgabe, sich zu verändern und auf eine andere Art und Weise zu arbeiten. Das kann nicht funktionieren. So genannte Inkubator-Modelle haben eine viel höhere Chance, die notwendige Veränderungsgeschwindigkeit zu erreichen.

Das Unternehmen muss zunächst Mitarbeiter identifizieren, die veränderungswillig und digital affin sind oder zumindest bereit sind, einen experimentellen Weg zu gehen. Diese Mitarbeiter werden nun aus der normalen Organisation und dem Tagesgeschäft des Unternehmens herausgenommen. Außerdem sollten sie räumlich oder eventuell sogar geographisch vom eigentlichen Unternehmen getrennt werden. Sie werden nun mit einer Organisation zusammengebracht, die bereits digital und agil ist, beispielsweise eine Digitalberatung. Sie werden durch die Experten sehr intensiv auf digitale Prozesse vorbereitet. Dadurch erhalten die Mitarbeiter den Freiraum, sich zu entwickeln, etwas Neues zu lernen und digitales Know-how zu bekommen.

Für einen Inkubator ist eine räumliche Trennung zwar sinnvoll, es ist aber ratsam, Unternehmen voneinander lernen zu lassen. Aus diesem Grunde hat die Digitalberatung Convidera in Köln einen eigenen Campus aufgebaut, der Unternehmen beherbergt, die an digitalen Geschäftsmodellen arbeiten.

„Dadurch arbeiten die Unternehmen nicht isoliert. Sie stehen im ständigen Austausch mit unseren Experten und können – unter Berücksichtigung von Datenschutz und Firmenge- heimnissen – auch von den Erfahrungen anderer profitieren, die in denselben Veränderungsprozessen stecken.“ (Interview mit Michael Buck, Convidera)

Die Ankündigung des Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche, in absehbarer Zeit etwa zehn bis 20 Prozent der Mitarbeiter in eine agile „Schwarmorganisation“ zu überführen, beschreibt einen notwendigen Weg, den die Unternehmen gehen müssen. Die Daimler AG wird wissen, dass ergänzend hierzu Inkubatoren weiterhin notwendig sind. Die Initiative von Dieter Zetsche setzt ein Zeichen. Jemand muss vorangehen, damit die anderen folgen können. Auch Karl Neumann, der Vorstandsvorsitzende von Opel Deutschland, profiliert sich als digitaler Vorreiter.

„Es sind aber leider viel zu wenige Vorstände, die in dieser Hinsicht ein echtes Vorbild sind. In den USA gibt es tatsächlich Unternehmen, die sich radikal verändern. Was deut- sche Unternehmen machen, geht noch lange nicht weit genug. Es sollten sich mehr Firmen trauen, Inkubator-Modelle auszuprobieren und sich auf den Weg zu machen. Eine Pilgerfahrt nach Silicon Valley reicht nicht.“ (Interview mit Michael Buck, Convidera)


Ein Auszug aus dem neuen Praxisleitfaden „Internet der Dinge“, der kostenlos zum Download zur Verfügung steht.

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