Die Königsdisziplin der digitalen Transformation

von Bernhard Steimel
31. Oktober 2019
Die Königsdisziplin der digitalen Transformation

– Teil 2 des Smarter Service Interviews mit Roman Friedrich, Partner & Managing Director BCG –

Herr Friedrich, kommen wir auf die schon genannten drei Themen zu sprechen: digitales Kundenerlebnis, das Produkt als Service denken und die Agilität in den Operations steigern. In einigen Unternehmen gibt es auf Führungsebene bereits ein Bewusstsein insbesondere für die Verbesserung des Kundenerlebnisses. Wie kann man den Impuls des Neu-Denkens einleiten? Wie können Dinge für den Nutzer einfacher, schneller und bequemer werden?

Roman Friedrich: Hier sind wir als Beraterzunft relativ weit und haben akzeptiert, dass uns die Design-Thinking-Ansätze weiterhelfen. Gerade in Deutschland haben wir in der Vergangenheit sehr stark das Ingenieur-getriebene Denken gepflegt, wo wir über Produkt-Features und technische Fähigkeiten nachgedacht haben. Dabei haben wir vernachlässigt, was man heute unter Kundenorientierung oder Use-Case-Orientierung oder Design-Thinking versteht.

Es gibt mittlerweile genug Beispiele, wo jeder sieht, jawohl, es ist ein großer Vorteil, wenn man diese Perspektive ganz systematisch anwendet. Also immer aus der User-Perspektive gedacht, immer Trial-an-Error, man macht ein Minimum-Viable-Product-Proposition, testet die und lernt sofort aus dem Markt heraus, was funktioniert. Das entspricht eben nicht der Ingenieurs-Denke, wo man im Kämmerlein immer optimiert, optimiert, optimiert und dann später feststellt, es wurde etwas optimiert, was dem Markt eigentlich nicht entspricht, sondern war mir als Ingenieur gut gefällt.

Ich habe gute Beispiele, wo man auch visuell nachdenken kann, wie ein Produkt zuvor getrieben war von dieser Denke und es komplett anders aussieht, wenn Design-Thinking-Philosophie angewendet wird. Und ich behaupte, hier gibt es mittlerweile wenig Dissens.

Sprechen wir über die Königsdisziplin, das ist die Frage, welche Produkte und Services ein Unternehmen in der digitalen Welt entwickeln kann und was es von seinem Kerngeschäft mitnehmen kann. Ist es nicht so, dass sich viele Unternehmen schwertun, das Produkt als Service zu denken?

Selbst als Berater tut man sich schwer, wenn man es immer neu machen muss. Wenn man es sieht, weiß man, klar, es macht Sinn. Wo man ansetzen kann, da gibt es sicherlich gewisse Denkstrukturen. Gerade im B-to-B-Bereich ist es offensichtlich: Statt eine Turbine zu verkaufen, verkaufe ich „Turbine-as-a-Service“ oder statt eines Anhängers verkaufe ich Ladefläche. Das Muster ist sozusagen bekannt.

Im B-to-C-Bereich ist es eigentlich auch bekannt. Da ist es im Grunde genommen eine „For-free“-Mentalität, und ich habe als Monetarisierungsmodell eigentlich immer den Wert der Daten für Werbetreibende. Meines Erachtens ist das ein sehr enger Rahmen. Es wird noch ganz viele Möglichkeiten geben, wo man Produkte durch Services ersetzen kann, was diesen Rahmen sprengt.

Man muss das so konkret machen, dass es wirklich für das entsprechende Produkt passt. Da fehlt mir ehrlich gesagt noch ein klarer Mechanismus oder eine klare Methode jenseits des Konzeptes, wo ich sagen kann, da komme ich zwangsläufig zu einem guten Ansatz. Es gibt lediglich eine kreative Leistung, die ich instrumentalisieren kann. Wir nehmen da gerne „Strategic Intuition“ als Methode aus ähnlich gelagerten Problemen der Vergangenheit und fangen an, das neu zusammenzusetzen.

Das kann ich methodisch sehr sauber machen und eine kreative Leistung erzwingen, indem ich quasi aus einem morphologischen Kasten alle Möglichkeiten aufzeige. Am Ende gibt es immer noch ein finales kreatives Element. Nachdem ich mir das fünf Jahre angeschaut habe, habe ich folgenden Eindruck: Wir kennen die Strukturen, in denen wir uns bewegen müssen, jedes Produkt muss sozusagen in einen Service gewandelt werden. Das muss man von Fall zu Fall neu denken.

Es gibt ein Konzept, den Y-Combinator, bei dem es sich um das Angebot „Disrupt-me-as-a-Service“ handelt. Das heißt, als mittelständisches Unternehmen lädt man Start-ups ein, die schon in dem Themenfeld, in dem man sich bewegt, erste Entwicklungen machen, um gegen das eigene Geschäftsmodell zu treten – in der Hoffnung, dass man über diesen Prozess neue Geschäftsmodelle identifiziert.

Ja, dies bieten bereits mehrere Firmen an und auf diese Weise können Unternehmen unabhängig von der Fachkenntnis der Industrie eine gewisse disruptive Erfahrung sammeln. Vielen etablierten Unternehmen fehlt das, weil es im täglichen Betrieb nicht nötig ist und man über Jahrzehnte das Geschäft nicht disruptiv betrieben hat, sondern eher linear oder inkrementell.

Wenn untersucht würde, welchen strategischen Fokus Digitalisierungsprojekte haben, würde sich auch jetzt im Jahr 2019 zeigen, dass die meisten eher als Effizienzprojekte gestartet sind und dass es dann erst um Agilität in den Operations geht. Was ja nichts Schamhaftes ist.

Genau, dies ist ein vergleichsweise sicherer Werthebel. Das Risiko, einen Fehlschlag zu erleiden, ist bei dieser Fokussierung geringer. Es passt sehr gut zur klassischen DNA und ist trotzdem von der Wertsteigerung her signifikant. Zu Beginn meiner Digital-Karriere habe ich in das in den drei Säulen, von denen ich sprach – Kundenorientierung, Operations/Efficiency und New Products and Services –über alle Industrien hinweg quantifiziert. Ich habe festgestellt, dass der Operations-Hebel der größte gewesen ist.

Wenn Unternehmen ihre vielfältigen manuellen Abläufe auf eine digitale Plattform legen, sind das gigantische Werte – in allen Industrien, die wir haben. Es ist wirklich nichts Schamhaftes, sondern es ist der sehr fette Spatz in der Hand im Vergleich zur potenziellen dürren Taube auf dem Dach. Dies muss jedes Unternehmen tun. Wer nicht überlegt, wie er digitale Technologien für sein Kerngeschäft einsetzt, der begeht einen fahrlässigen Managementfehler, den weder der Aufsichtsrat noch die Shareholder akzeptieren.

Ein anderer Interviewpartner, der den Wirkungszusammenhang zwischen den drei Säulen für sein Unternehmen analysiert hatte, sagte, er müsse die Agilität in den Operations steigern, um neue Produkte und Services zu entwickeln, die das Kundenerlebnis transformieren. Das war seine Formel.

Es gibt diesbezüglich sogar empirische Evidenz. Da sind wir bei unserer MIT-Studie, die wir mit unterstützt haben. Sie hat immer zwei Achsen betrachtet: einerseits die „Operations“-Achse, und andererseits die „Customer-Service-and-Customer-Experience“-Achse. So deutlich sagt es das MIT zwar nicht, aber ich habe es in meinen Projekten erfahren, und es ist genau so, wie Sie gerade sagten: Es ist ein No-Regret-Move, sich auf der „Operations“-Achse digital zu verbessern. Dadurch ermögliche ich sofort bessere Kundenorientierung und bessere Dienstleistungen.

Ich schaffe das digitale Fundament, um darauf digitale Innovationen aufzusetzen. Mache ich das nicht, sitzt jede digitale Innovation auf einem brüchigen Fundament. Ich habe beispielsweise nicht die richtigen Daten zur Verfügung, die ich nur aus einer digitalen Value-Chain raushole. Deswegen ist es ein No-Regret-Move. Man muss digitale Operations-Optimierung machen und ermöglicht sich dadurch, andere digitale Wertschöpfungen zu erschließen.

Ein Fazit lautet also: Digitalisierung als Effizienzprojekt lohnt sich immer …

… der Rest ist Kür.

=> Teil 1 und Teil 3 des Smarter Service Interviews mit Roman Friedrich

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