Ein Kühlschrankhersteller, der plötzlich Notebooks für Gamer baut? In Deutschland unvorstellbar – in einem stark auf Innovation und Selbstorganisation ausgerichteten Unternehmen wie Haier kein Problem. Der Innovationsberater Jürgen Stäudtner erklärt im Smarter-Service-Interview, wie so etwas funktioniert, welche Rolle Menschen dabei spielen und wie sich im Mittelstand Aufbruchstimmung erzeugen lässt.
– Teil 1 des Smarter Service Interviews mit Jürgen Stäudtner –
Herr Stäudtner, der deutsche Mittelstand behauptet, er sei ganz besonders innovativ. Trotzdem haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, neue Geschäftsmodelle zu starten und innovative Produkte und Services auf den Markt zu bringen. Was läuft da falsch?
Jürgen Stäudtner: Das Hauptproblem in Deutschland: Die wenigsten Unternehmenslenker haben verstanden, wie wichtig Innovation ist. Da gibt es hierzulande ein falsches Verständnis: Erstens glauben viele, ein Unternehmen wird dann finanziell erfolgreich, wenn die Geschäftsführung besonders sparsam ist. Bei Unternehmen dreht sich dann alles nur um Kostensenkung und Prozessoptimierung. Dabei gibt es keinen besseren Weg zum finanziellen Erfolg als innovativ zu sein.
Zweitens sind deutsche Unternehmen eher erfinderisch als innovativ. Vor allem mittelständische Unternehmen machen ihre Produkte immer besser. Sie halten ihre Nische, bekommen aber Probleme, wenn diese Nische plötzlich bedroht ist. Um innovativ zu sein, müssen Unternehmen aber komplett umdenken.
Ein gutes Beispiel ist der Werkzeughersteller Hilti aus Liechtenstein. Er verleiht seine Geräte über ein Webportal. Dort können Handwerker eintragen, welchen Bedarf sie haben und auch die Verträge über Leihgeräte schließen. Handwerker sind davon begeistert: Sie haben jetzt immer neue, hochwertige Geräte zur Verfügung, die dauerhaft funktionsbereit sind. Sie müssen sich aber nicht um Wartung oder Reparatur kümmern.
Welche Faktoren sind entscheidend für die Einführung von innovativen Geschäftsmodellen?
Ein entscheidender Faktor bei innovativen Geschäftsmodellen ist die Organisationsstruktur eines Unternehmens. Hier ist vor allem Selbstorganisation wichtig. Ein gutes Beispiel dafür ist der chinesische Hausgerätehersteller Haier. Er besteht aus tausenden von Mikrounternehmen (MU), in denen jeweils einige Dutzend Leute arbeiten. Jedes MU erfüllt eine bestimmte Aufgabe, etwa im Rahmen des Alltagsgeschäft. Doch viele MU sind auf der Suche nach innovativen Produkten und Services. Durch diese Form der Organisation und eine starke Konzentration auf Neuentwicklungen ist es Haier gelungen, einen deutlichen und wachsenden Teil seines Umsatzes außerhalb des angestammten Marktes zu machen.
Ein Beispiel: In einem MU entstand die Idee, ein spezielles Gaming-Notebook für den in China stark wachsenden Spielemarkt zu entwickeln. Die ersten, noch recht kleinen Produktionsreihen verkauften sich so gut, dass die Produktion ausgeweitet wurde. Das MU wurde unter den Namen Thunderobot ausgegründet, erhielt Risikokapital und ging schließlich an die chinesische Börse. Mit insgesamt 80 Mitarbeitern ist es die Nummer 1 im chinesischen Gaming-Markt und will nun weitere asiatische Märkte erobern. Inzwischen gibt es sogar Thunderobot-Ausgründungen, die in Teilmärkten wie Game-Streaming oder E-Sports aktiv sind.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Entwicklung ohne Selbstorganisation möglich gewesen wäre. In einem traditionellen Unternehmen wäre bereits die Idee abgewehrt worden.
Haier ist erfolgreich, aber radikal. Deutsche Mittelständler sind normalerweise vorsichtiger. Sie verändern nicht die ursprüngliche Organisation, sondern bauen zusätzliche Innovationseinheiten auf, etwa Innovation-Labs. Ist das der mittelständische Königsweg zur Innovation?
Da gibt es leider keine eindeutige Antwort, denn der Erfolg eines solchen Labs hängt von vielen Faktoren ab. Die Schaffung einer gesonderten Innovationseinheit ist zweischneidig. Der Vorteil: die Mitarbeiter können in Ruhe arbeiten, denn Änderungen haben immer ein gewisses Konfliktpotenzial. Der Nachteil ist, dass Geschäftsführer mit solchen Einheiten gerne die Verantwortung für Innovation delegieren.
Es sinnvoll, außerhalb des Unternehmens an Innovation zu arbeiten, wenn ein großes Konfliktpotential mit dem Stammgeschäft besteht. Wenn große Synergien mit dem Kernunternehmen gesehen werden, sollte man eher intern arbeiten.
Die Schwierigkeit ist, dass die meisten Innovationseinheiten früher oder später in das Korsett der klassischen Organisation gepresst werden. Sie müssen dann dieselben bürokratischen und finanziellen Vorgaben beachten und werden dadurch plötzlich wieder weniger innovativ – es fehlen einfach die Freiräume.
=> Teil 2 des Smarter Service Interviews mit Jürgen Stäudtner