Spatial Web: Das Internet geht in die Tiefe – und den Alltag

von Bernhard Steimel
29. Januar 2020
Spatial Web: Das Internet geht in die Tiefe – und den Alltag

Das Internet versteckt sich immer noch hinter dem Flachbildschirm, meint Dr. Pero Mićić, Managementberater und CEO der FutureManagementGroup AG. Er erwartet in Zukunft das Spatial Web, in dem eine weitere Dimension hinzukommt. Im Smarter-Service-Interview erklärt er, wie das nächste Web sich in unseren Alltag integriert und uns zum Beispiel erlaubt, durch die reale Welt zu laufen und alle wichtigen Informationen nicht auf dem Smartphone, sondern in die Realität eingeblendet zu bekommen.

– Teil 1 des Smarter Service Interviews mit Dr. Pero Mićić –

Herr Mićić, das Internet ist 50 Jahre alt, das World Wide Web 30. Das ist eine lange Zeit. Wie müssen sich Internet und Web verändern, um ihre Erfolgsgeschichte fortzusetzen? Oder zugespitzt ausgedrückt: Was ist kaputt im heutigen Internet?

Dr. Pero Mićić: Das Internet verbirgt sich immer noch hinter Bildschirmen. Wir glauben zwar, dass wir dort alles finden, doch in Wirklichkeit begleitet es uns noch nicht in unserem Alltag. Erste Ansätze sieht man bereits, beispielsweise die Navigation mit Google Maps per Smartphone. Ein zweites Manko ist das Fehlen gesicherter Informationen. Man sieht Funden im Web heute nicht an, ob sie auf Tatsachen beruhen. Diese beiden Dinge werden sich in den nächsten Jahren ändern. Die Lösung ist hier das Konzept des sogenannten Spatial Web.

Das heißt: räumliches Web. Was verbirgt sich dahinter?

Das aktuelle Internet ist flach, wie ein Monitor. Durch das Spatial Web wird es dreidimensional. Eine Möglichkeit der Zukunft: Wir müssen nicht mehr auf das Smartphone schauen, wenn wir navigieren. Wir sehen die Navigationsinfos direkt in das Sichtfeld eingeblendet, etwa mit Datenbrillen oder sogar Kontaktlinsen.

Das Spatial Web ist erst ganz am Anfang, aber es gibt bereits erste Anwendungen. Ein Beispiel: Apps für Mixed Reality blenden touristische Informationen im Sichtfeld ein. Ein weiteres Beispiel ist das Berliner Startup AVA, in das ich auch selbst investiert habe. Es entwickelt eine KI-App, die am aktuellen Standort einer Person die Sicherheitslage analysiert, einschätzt und für die nächsten Minuten prognostiziert. Dafür wertet sie beispielsweise die Bilder von Verkehrs- und Sicherheitskameras aus, aber auch den Geräuschpegel auf Plätzen, an Bahnhöfen und Flughäfen. Erkennt die App etwa auffällig viele rennende Menschen, wird die Sicherheitslage als gefährlich eingeschätzt.

Zum Spatial Web werden zahlreiche Technologien gehören, die bereits heute eine gewisse Bedeutung haben und in Zukunft zum entscheidenden Merkmal des Internet werden. Die Stichworte lauten KI, IoT, Blockchain, Sensorik, Datenbrillen, Edge Computing, Robotik oder 5G. In der Konsequenz wird das Internet immer mehr mit der Wirklichkeit verschmelzen, Mixed Reality integriert sich immer stärker in unserem Alltag.

Die Vorteile des Spatial Web sind enorm. So ist es zum Beispiel denkbar, dass für Meetings und Konferenzen keine Reisen mehr unternommen werden müssen. Stattdessen treffen sich die einzelnen Teilnehmer in einem virtuellen Raum, der aussieht wie ein echter Raum. Die Teilnehmer blenden sich über digitale Bildverarbeitung ein und mit einer Datenbrille oder smarten Kontaktlinsen können sie sich gegenseitig sehen. In der Wirklichkeit sitzen sie an ihrem Schreibtisch, in der virtuellen Welt um einen typischen Konferenztisch versammelt.

Das ist eine sehr durchgreifende digitale Transformation. Doch viele Unternehmen haben schon heute Schwierigkeiten, eine deutlich einfachere Transformation zu bewältigen. Wie lässt sich das zur Deckung bringen?

Die digitale Transformation ist letztlich eine Frage der menschlichen Psyche, nicht der Technik. Wir sind so gebaut, dass unsere Abneigung gegenüber Verlusten immer größer ist als unsere Freude an Gewinnen. Und je älter wir werden, desto größer wird diese Abneigung, desto kleiner wird die Risikobereitschaft. Darin liegt die eine starke Ursache aller Herausforderungen, denen Unternehmen gegenüberstehen.

Sie haben deshalb eine wesentliche Aufgabe: den Menschen ein attraktives Zukunftsbild vermitteln, das nicht so weit weg ist. Ihnen soll klar werden, dass ihr zukünftiges Ich sich nach Veränderungen wohl fühlen und sich darüber freuen wird, wenn sie diesen Weg mitgehen. Anders gesagt, müssen die Menschen ihre Angst vor dem Neuen verlieren.

Ich bin der festen Überzeugung, dass dies gelingen wird. Denn wenn ich mir die Geschichte anschaue, dann ist eigentlich immer folgendes passiert: Sobald viele Menschen etwas als Problem ansehen und davor Angst haben, entsteht auch eine Lösung. Im Falle der Angst vor Datenmissbrauch gibt es beispielsweise die Anonymisierung durch virtuelle private Netzwerke. Diese Möglichkeiten sind im Moment kompliziert und nicht jedem bekannt, aber grundsätzlich sind sie vorhanden und sie werden in Zukunft sicher noch verbessert und vereinfacht.

=> Teil 2 des Smarter Service Interviews mit Dr. Pero Mićić

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