Serviceexzellenz: So wird man hausgemachte Bürokratie schleunigst los

von Anne M. Schüller
15. Juni 2020
Serviceexzellenz: So wird man hausgemachte Bürokratie schleunigst los

Kundenzentrierung steht bei vielen Unternehmen weit vorn, zumindest auf dem Papier. Doch fragt man die Kunden, zeigt sich sehr oft ein anderes Bild. Wünschenswert guter Service wird auf vielerlei Weise durch hausgemachte Bürokratie boykottiert. Wie man ihr zu Leibe rückt, zeigt dieser Beitrag.

Die Corona-Krise zwingt viele Unternehmen dazu, sich neu aufzustellen, um fit für die Zukunft zu werden. Das betrifft nicht nur die Geschäftsmodelle, sondern auch den Service.Wer durchstarten will, muss sich radikal auf die Seite des Kunden stellen. Und alles, was nicht dem direkten Kundenwohl dient, muss konsequent abgebaut werden.

Leider agieren viele Unternehmen nach wie vor effizienzgetrieben und selbstfokussiert. Tunlichst sollen sich die Kunden in die jeweils vorgedachten Abläufe fügen, umständliche Formalien akzeptieren und im Takt ihrer altersschwachen Software ticken. Heißt: Die Klientel soll ackern, damit man selbst nicht so viel Arbeit hat.

Wirklich kundenorientiert ist aber nur der, der sämtliche Ärgernisse vom Kunden zum Anbieter verschiebt, sodass nur noch positive Erlebnisse übrigbleiben. Denn jede Unannehmlichkeit vertreibt die Kunden heutzutage ruckzuck. Außerdem kann jede Störung in der Wertschöpfungskette zu einem Einfallstor für Disruptoren werden. Die Studie „The Workforce View in Europe“, an der knapp 10.000 Arbeitnehmer in acht europäischen Ländern teilnahmen, hat zudem gezeigt, dass mit knapp 20 Prozent ineffiziente Systeme und Prozesse die Hauptursache für mangelnde Produktivität am Arbeitsplatz sind. Veraltete Technologie folgt mit 19 Prozent auf Platz zwei.

Das Hauptproblem für Ärger mit Kunden ist Bürokratie

Die Reise in die Zukunft gelingt nur mit leichtem Gepäck, weil die Märkte, wie die Hasen, immer neue Haken schlagen. Für Irrläufe im internen Vorschriftengeflecht hat niemand Zeit. Regeln, Standards und Normen von früher lähmen das Vorankommen, frustrieren die Mitarbeiter und verärgern die Kunden. Alles, was eine Organisation langsam macht, muss schleunigst weg. Und alles, was sie schnell macht, muss her.

Denn je schwerfälliger eine Organisation, desto anfälliger ist sie für Überholmanöver. Doch klassische Managementformationen sind die meiste Zeit damit beschäftigt, sich selbst zu organisieren. Prozessbesessenheit und Reportingmanie sind eine kolossale Verschwendung von Zeit, Geld und Talenten, die sich niemand mehr leisten kann.

Bürokratie macht ein Unternehmen träge und dumm, weil alles einem vordefinierten Weg folgen muss und in starren Verfahrensweisen versinkt. Standards erzeugen zudem Isomorphie: Alles gleicht sich immer mehr an. Doch nur das Besondere, Faszinierende, Bemerkenswerte hat eine Zukunft. Bei Vergleichbarem hingegen entscheidet allein der Preis. Dann soll es wenigstens billig sein. Für die Bilanz ist das verheerend.

Ein Bürokratieabbauprogramm „Minus50“ ist sinnvoll

Im Eilschritt die Zukunft erreichen zu können bedeutet zuallererst: rigide Strukturen lockern, Altlasten entsorgen und Hürden entfernen, um flotter laufen zu können. Die Schnelligkeitslücke muss eiligst geschlossen werden. 50 Prozent weniger Bürokratie, Administration, Regelwerke, Statusberichte, Formulare und Genehmigungsverfahren sind dabei eine vernünftige Zielzahl. „Minus50“ nenne ich dieses Programm.

Weshalb Minus50? Einleuchtende Vorgaben sichern ein notwendiges qualitatives Leistungsniveau. Und sie helfen, böse Fehler zu vermeiden. Solche Prozesse sind kluge Prozesse. Die bleiben natürlich. Dumme Prozesse hingegen verplempern wertvolle Zeit. Zudem sorgt Bürokratie für Selbstvermehrung. Jeder Ausrutscher hat eine weitere Regel zur Folge. Am Ende wird das Ganze derart komplex, dass alles wie in einem Panzer erstarrt und jeder zum Leidwesen der Kunden nur noch „Dienst nach Vorschrift“ tut.

Ein ausuferndes Berichtswesen verleitet auch dazu, sich von den Kunden abwenden zu können, nach dem Motto: „Würde nicht so viel Zeit mit Status Reviews verschwendet, hätte ich mehr Zeit zum Verkaufen.“ Und jeden Freitag ist Märchenstunde: Der Wochenbericht muss geschrieben werden. „Irgendwann habe ich den einfach nicht mehr abgegeben – und niemand hat ihn vermisst“, erzählt mir ein Vertriebsmitarbeiter.

Crossfunktionaler Einsatztrupp auf Bürokratiemonsterjagd

Ein Bürokratie-Transformationsteam kann sich um überholte Abläufe quer durch das ganze Unternehmen kümmern. Zum Beispiel so: „Bisher dauert die Abwicklung von x eine Woche. Wie schaffen wir das in einem Tag?“ Oder so: „Bisher brauchte die Dokumentation von Vorgang y zehn Seiten. Wie gelingt das in zehn Sätzen?“ So kann man Verfahren digitalisieren, Komplexität reduzieren, Tempo machen, mithilfe agiler Tools die Effizienz nachdrücklich steigern und deutlich mehr Wertschöpfung erzielen.

Oha, Sie meinen, die einzelnen Abteilungen sollen sich selbst darum kümmern? Genau das wird nicht klappen. Ausufernde Verfahrensweisen und Vorschriftenberge sind Selbsterhaltungsmechanismen. Sie untermauern die Wichtigkeit und dienen der Bedeutungserhöhung. Durch einen Verwaltungsapparat, der letztlich vom Kunden bezahlt werden muss, und eine aufgeblähte Vorgaben- und Steuerungsadministration schaffen sich viele Bereiche überhaupt erst eine Existenzberechtigung.

Für die, die Entschlackungsprogramme in Angriff nehmen, hier gleich ein Tipp: Fangen Sie im Einkauf, in der juristischen Abteilung und im Controlling an. Da wird man besonders schnell fündig. Zum Beispiel habe ich im Vorfeld eines Vortrags einmal ein fünfseitiges (!) Pamphlet erhalten, dass sich Vertraulichkeitserklärung nannte. Dass ich Vertrauliches nichts weitergebe, ist eh klar. Ist ein Schriftstück unumgänglich, kann man das in wenigen einfachen Sätzen sagen, die auch ein Nichtjurist prima versteht.

Gemeinsames Entrümpeln durch „Kill a stupid rule“

„Kill a stupid rule“ wurde ursprünglich von US-Banker Vernon Hill entwickelt. Seine Ausgangsfrage lautete so: „Kill a stupid rule! Von welchen untauglichen Standards, Regeln und Verfahren und von welchem administrativen Unsinn sollten wir uns schnellstmöglich trennen?“ Bringen Sie diese Frage doch mal ins Abteilungsmeeting.

Bitten Sie dann die Anwesenden, sich zu zweit zusammenzusetzen und innerhalb von zehn Minuten so viele „stupid rules“ wie nur möglich zu finden, auf Haftzettel oder Moderatorenkärtchen zu schreiben und an eine umgedrehte Pinnwand zu heften. Sie werden sich wundern, wie da die Funken sprühen und was so alles zusammenkommt.

Ist die Sammlung komplett, wird eine Priorisierung vorgenommen. Danach machen sich Dreier-Teams an die Arbeit, um „stupid rules“ ganz zu streichen oder durch neue, agilere Vorgehensweisen zu ersetzen. Zum Start fängt man am besten dort an, wo sich schnell was bewegen lässt. Dies ist schon allein deshalb sehr hilfreich, weil erste Erfolgserlebnisse im Unternehmen via Storytelling schnell die Runde machen können.

Neben überflüssigem Papierkram, antiquierten Routinen, lästigen Arbeitsabläufen, unnötigen Verfahren, bremsenden Vorschriften und sonstigen Bürokratiemonstern kann man sich bei dieser Gelegenheit auch von vielen weiteren Monstern trennen:

  • Schreibstil-, Textbaustein- und Floskelmonster
  • Kundenvergraulungsmonster
  • Meeting-, Powerpoint- und eMail-Monster

Die Mitarbeiter wissen übrigens sehr oft längst, was dazu nötig ist, wenn man sie nur endlich selbstständig machen ließe.

Konsequenter Bürokratieabbau bringt hohe Kostenersparnis

Einmal hatte ich mit einer Firma zu tun, da meinten die Manager, Bürokratie käme bei ihnen kaum vor. Doch dann stellte sich raus: Für jede (!) Entscheidung, die mit einer Geldausgabe verbunden war, brauchte es die Unterschrift eines Vorgesetzten. Die „blinden Flecken“ sind in manchen Organisationen wirklich riesig. Was das am Ende alles kostet und wie viel Zeit das unnötigerweise verschlingt, wird aber nie je beziffert.

In einem anderen Fall brauchten Anschaffungen ab 100 Euro die Unterschrift des nächsthöheren Vorgesetzten. Hierfür war aufwendig ein Formular auszufüllen. Dann ging der Chef zwei Wochen in Urlaub, danach türmte sich bei ihm die Arbeit. Als endlich grünes Licht kam, war der Kunde, für dessen Auftrag dieses Teil notwendig war, weg. Er konnte nicht länger warten. Neben den Kosten für die interne Prozessabwicklung belief sich der entgangene Umsatz auf 10.000 Euro.

Bevor man sich also um Neues kümmert, müssen die Altlasten weg. Erst muss gejätet werden, damit die junge Saat aufgehen kann. Das würde auch jeder Gärtner so machen. Alles Unkraut, das die jungen Triebe am Wachsen hindert, räumt er zunächst beiseite. Mithilfe der Kunst des klugen Weglassens ist ein dicker Batzen Kostenersparnis locker drin. Dabei wird nicht nur wertvolle Arbeitszeit eingespart, es werden auch bedeutende Mittel frei, um den Service zu optimieren und sich fit die Zukunft zu machen.


Über die Autorin

Anne M. Schüller

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk Xing zum Spitzenwriter 2018 gekürt. Ihr aktuelles Buch „Die Orbit-Organisation“ wurde Finalist beim International Book Award 2019. Zudem wurde sie mit dem Best Business Book Award 2019 ausgezeichnet. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus. Kontakt: www.anneschueller.de

Das Buch zum Thema – auch als Hörbuch erhältlich

Cover_Die-Orbit-Organisation-3D

Anne M. Schüller, Alex T. Steffen

Die Orbit-Organisation. In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft

Gabal Verlag 2019, 312 Seiten, 34,90 Euro ISBN: 978-3869368993

Finalist beim International Book Award

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