Das Rennen zur Klimaneutralität ist eröffnet

von Bernhard Steimel
22. März 2022

Nur mit Innovation und Digitalisierung lässt sich der Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft bewältigen, lautet unsere These. Der Grund: Unternehmen sind mit einem gesellschaftlichen Bewusstseinswandel konfrontiert, der zu Verhaltensänderungen bei Konsumenten, Unternehmen und Investoren führt. Zudem steht Nachhaltigkeit im Zentrum neuer, europaweiter Regulierungen. Unternehmen müssen jetzt darauf reagieren und die nachhaltige Transformation starten.

 

Der Inhalt dieses Beitrags:

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem „Trendbook Nachhaltigkeit mit Digitalisierung“. Einen Überblick über den Inhalt gibt der Artikel Nachhaltigkeit mit Digitalisierung beschleunigen. Sie können das Trendbook außerdem direkt kostenlos herunterladen.

Gesellschaftlicher Bewusstseinswandel
führt zu Verhaltensänderung

Nachhaltigkeit ist ein gesellschaftlicher Trend, der sich in einer Verhaltensänderung der Verbraucher niederschlägt und zu geänderten Präferenzen von B2B-Kunden, Investoren und Mitarbeitern führt.

Konsumenten drängen auf klimafreundliche Lösungen

Für 68 Prozent der deutschen Verbraucher ist Nachhaltigkeit generell ein Kriterium beim Einkauf, mehr als 80 Prozent entscheiden sich häufig für Biolebensmittel. (Quelle)

Auf Unternehmensseite führen Nachhaltigkeitsstrategien dazu, dass auch Zulieferer in die Pflicht genommen werden. So verpflichtet das Gesundheitsunternehmen Fresenius alle seine Zulieferer zur Einhaltung eines Kodex über ethische, soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards.

Investoren lenken ihr Vermögen in nachhaltige Anlagen.

Nachhaltige oder ESG-Investments – ESG steht für Umwelt, Soziales und Governance – entwickeln sich derzeit dynamisch. Drei Viertel der Anlegerinnen und Anleger bevorzugen heute Fonds mit einer besseren CO2-Bilanz – und erhoffen sich davon auch bessere Renditen. (Quelle)

Der größte Handlungsdruck entsteht durch institutionelle Anleger, die auf Nachhaltigkeit setzen, wie beispielsweise der weltweit größte Finanzinvestor BlackRock. Das Unternehmen hat klare Richtlinien etabliert, um Nachhaltigkeit in die Investitionsentscheidungen einzubauen. Der Investor berücksichtigt ESG-Kriterien bei der Bewertung potenzieller Investments. So haben Vertreter des Investors im Jahr 2020 auf den Hauptversammlungen von Unternehmen mangelnde Nachhaltigkeit kritisiert und gegen den Jahresbericht gestimmt.

Hier entsteht der stärkste Druck, da Investoren immer Alternativen finden werden.

Der Druck durch Investoren steigt

Mitarbeiter fordern Nachhaltigkeit und Mobilitätskonzepte

Die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit kommt nicht zuletzt aus den Unternehmen selbst. Immer mehr Beschäftigte möchten, dass ihr Arbeitgeber nachhaltig agiert.

Allerdings agieren sie ähnlich wie Verbraucher ambivalent: Die Zustimmung bröckelt, je direkter die Menschen selbst von diesem Anliegen betroffen sind. (Quelle)

Wegen der steigenden Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Bewerbern haben Unternehmen ohne Nachhaltigkeitsstrategie teils Schwierigkeiten, Personal zu bekommen. Dies verstärkt den Fachkräftemangel durch die demographische Entwicklung.

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Regulierung sorgt für sofortigen Handlungsbedarf im Mittelstand

Die aktuellen Regulierungen der EU, deutsche Gesetze (Lieferkettengesetz) und die Ausrichtung auf die Kreislaufwirtschaft erzeugen bei den Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern bereits in diesem Jahr Handlungsbedarf, denn die aktuellen Maßnahmen reichen nicht aus, um eine CO2-Halbierung bis 2030 zu erreichen.

Ohne drastische Maßnahmen wird die CO2-Halbierung bis 2030 nicht gelingen

Der Ausstoß von Treibhausgasen kennt weltweit seit Jahrzehnten nur eine Richtung: aufwärts. Die Abbildung zeigt, dass die bisherigen Maßnahmen („Paris Commitments”) mehr als unzureichend sind und bestenfalls zu einer Seitwärtsentwicklung führen. Doch das Ziel der Begrenzung des Anstiegs der Durchschnittstemperatur bis 2050 um zwei Grad, ist nur mit enormen Anstrengungen zu erreichen.

Für das wirtschaftlich und gesellschaftlich gebotene 1,5-Prozent-Ziel gilt dies umso mehr. So müssen die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent abgesenkt werden, um den 1,5-Grad-Pfad einzuhalten. Für Deutschland bedeutet dies: Die Wirtschaft muss insgesamt die Äquivalente von etwa 372 Millionen Tonnen CO2 durch entsprechende Maßnahmen einsparen.

Bis 2030 müssen die Emissionen halbiert werden

Die Nachhaltigkeitsregulierung wird auf den Mittelstand ausgeweitet

Die Regulierungen der EU und in Deutschland zwingen die Unternehmen zur Anpassung. So fordert die EU Corporate Sustainability Directive ab 2023 eine Nachhaltigkeitsberichterstattung, die für Unternehmen ab 250 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro Umsatz oder 20 Millionen Euro Bilanzsumme gilt. Dadurch werden anders als in der bisherigen Gesetzeslage auch kapitalmarktorientierte Mittelständler und Familienunternehmen einbezogen. Deutlich wird das am Anstieg der Berichtspflicht: Waren bisher lediglich 550 Unternehmen zu gesonderten Nachhaltigkeitsberichten verpflichtet, sind es ab 2023 etwa 15.000.

Eine wichtige Neuerung: Der Nachhaltigkeitsbericht muss Bestandteil des allgemeinen Lageberichts sein und darf nicht getrennt veröffentlicht werden. Außerdem reicht die Veröffentlichung als PDF oder Druckwerk nicht, er muss den Behörden in digitaler Form im ESEF-Datenformat zugänglich gemacht werden.

In seinem Inhalt muss der Bericht einer doppelten Wesentlichkeitsperspektive („Double Materiality“) folgen. Unternehmen müssen also erstens die Auswirkung von Nachhaltigkeitsaspekten auf die wirtschaftliche Lage festhalten und zweitens die Auswirkungen des Geschäftsbetriebs auf Nachhaltigkeitsaspekte verdeutlichen. Zudem fordert die neue Richtlinie Angaben zu Nachhaltigkeitszielen, der Rolle von Vorstand und Aufsichtsrat, nachteiligen Wirkungen des Unternehmens und nicht bilanzierten immateriellen Ressourcen.

Das 1,5-Grad-Ziel ist ohne drastische Maßnahmen nicht zu schaffen

Parallel zur neuen Richtlinie hat die EU auch eine eigene Taxonomie eingeführt, die Kriterien für ökologisch nachhaltiges Wirtschaften festlegt. Ziel dieser Taxonomie ist es, Kapitalflüsse in ökologisch nachhaltige Aktivitäten zu lenken. Vor allem Banken und andere institutionelle Anleger werden in Zukunft diese EU-Taxonomie für ihre Aktivitäten zugrunde legen. Sie muss zudem in der CSR-Berichterstattung beachtet werden.

Der Circular Economy Action Plan und die Sustainable Product Initiative fordern eine stärker nachhaltige Produktion und etablieren dafür den Digitalen Produktpass (DPP). Er enthält Informationen über Herkunft, Zusammensetzung, Reparatur- und Demontagemöglichkeiten eines Produktes sowie über die Handhabung am Ende seiner Lebensdauer.

Zudem verpflichtet das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Unternehmen zur Achtung von Menschenrechte durch die Umsetzung definierter Sorgfaltspflichten. Dazu gehört unter anderem die Einrichtung eines Risikomanagements, um die Risiken von Menschenrechtsverletzungen und Schädigungen der Umwelt zu identifizieren, zu vermeiden oder zu verringern.

Das Gesetz gilt ab 2023 zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000, ab 2024 auch für Unternehmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern im Inland. Im Unterschied zum Vorgängergesetz sind bei Verstößen empfindliche Bußgelder von 100.000 bis 800.000 Euro vorgesehen. Bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro kann ein Bußgeld von zwei Prozent des Jahresumsatzes oder acht Millionen Euro verhängt werden. Zum Jahresumsatz werden alle dazugehörenden Gesellschaften hinzugerechnet.

Aus dieser neuen rechtlichen Lage entstehen zahlreiche Herausforderungen für mittelständische Unternehmen. Sie müssen neue Strukturen schaffen, um die neuen Berichtspflichten zu erfüllen.

Scope 3 ist die größte Herausforderung für die Unternehmen

Berichtspflichten sind komplex und das Ermitteln der CO2-Werte ist nicht trivial

Dekarbonisierung und nachhaltige Entwicklung eines Unternehmens haben eine grundlegende Schwierigkeit: Die Unternehmen müssen nicht nur Scope 1 (Direkte Emissionen), sondern auch Scope 2 (Indirekte Emissionen von Versorgern) und Scope 3 (Indirekte Emissionen in der Wertschöpfungs-/Lieferkette) berücksichtigen. Bei Letzteren sind die CO2-Werte nicht so leicht zu ermitteln.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Klebstoffspezialist Tesa, der als Chemie-Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit sehr stark in der Öffentlichkeit  steht. Das Unternehmen leistet für acht der insgesamt 17 UN-Nachhaltigkeitsziele einen Beitrag. Es stellt die Maßnahmen und ihre bisherigen Ergebnisse in seinem Nachhaltigkeitsbericht dar.

Nur mit Innovation lässt sich Klimaneutralität erreichen

Die Nachhaltigkeitsziele erfordern die Entwicklung neuer und besserer Technologien. Bestehende Technologien können lediglich etwa 65 Prozent der für das Netto-Null-Ziel erforderlichen Emissionen reduzieren. Die letzten 30 Prozent lassen sich nur mit neuen Technologien erreichen, die zum Teil noch nicht kommerziell skalierbar sind und den Aufschlag einer Umweltprämie (Green Premium) erfordern. Der geschätzte Investitionsbedarf dafür liegt bei 100 bis 150.000.000 US-Dollar in den nächsten 30 Jahren. (Quelle)

Für den Nachhaltigkeitsexperten Prof. Dr. Michael Braungart ist der richtige Weg, Innovationen zu entwickeln, die kein Abfallproblem haben, keine Giftstoffe enthalten und viele andere Dinge. Unternehmen sollten langlebige und problemlos reparaturfähige Produkte entwickeln, die dann nicht verkauft, sondern in einem Servicemodell vermietet werden, Wartung inklusive. Anschließend gehen sie dann rückstandsfrei in biologische oder technische Kreisläufe ein. Dies gelte für alle Branchen, vor allem für Schlüsselbranchen wie dem Maschinenbau oder der Autoindustrie.

„In zehn bis 15 Jahren gibt es keinen Maschinenbau mehr in Deutschland, wenn die Unternehmen nicht auf serviceorientierte, digitale Geschäftsmodelle umsteigen. Diese Geschäftsmodelle sind die eigentliche Innovation. Doch das digitale Denken in As-a-Service-Modellen ist noch nicht überall vorhanden.“

Startups sind auf dem Weg, die Welt zu retten

Hierbei sind Startups besonders aktiv: In Deutschland gibt es mehr als 6.000 Startups im Bereich Umwelt- und Klimaschutz. Einige sind bereits weltweit erfolgreich. So finden sich acht deutsche Startups auf der Topliste Global CleanTech 100. Sie entwickeln nachhaltige Produkte und Services für eine Vielzahl an Einsatzfeldern und setzen dabei auf digitale Geschäftsmodelle.

Einwegbecher mit Pfand
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Das Startup Recup bietet ein deutschlandweites Pfandsystem für Einwegbecher (Coffee-to-go) und -schalen (Salatbars). Es wird bereits von 16.000 Systempartnern eingesetzt.

Die unternehmensübergreifende Initiative R-Cycle wurde von der Reifenhäuser Gruppe gegründet. Sie ist in der Kreislaufwirtschaft aktiv und bietet die Rückverfolgung von Kunststoffverpackungen. R-Cycle verwirklicht einen digitalen Produktpass. Er dokumentiert Verpackungseigenschaften während der Produktion und stellt diese Daten zur Verbesserung des Sortierprozesses am Ende des Lebenszyklus zur Verfügung.

Twin Transformer sind Vorreiter der nachhaltig digitalen Transformation.

Im deutschen Mittelstand gibt es Unternehmen mit einer Doppelstrategie. Diese „Twin Transformer“ sind Vorreiter sowohl bei der Digitalisierung als auch bei der Nachhaltigkeit. Durch diese Kombination entstehen neue Wertschöpfungsquellen und die entsprechenden Unternehmen zeigen eine deutlich bessere Geschäftsentwicklung. (Quelle)

So produziert der Mittelständler Beulco Systeme für eine effiziente, sichere und transparente Trinkwasserversorgung. Mit einer IoT-Lösung ermöglicht Beulco eine höhere Transparenz und Kontrolle im Wassernetz und eröffnet somit neue Möglichkeiten für die Netzsteuerung.

Das weltweit führende Bahntechnik-Unternehmen Vossloh nutzt eine digitale Ferninspektionslösung für die Inbetriebnahme von Weichen und Kreuzungen. Sie basiert auf Datenbrillen, die mit dem IoT verbunden sind. Sie erlauben Videokonferenzen, bei denen Techniker direkten Einblick in die Geräte haben. Auf wenig nachhaltige Reisen wird dabei verzichtet.

Nachhaltig bauen
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Das deutsche Startup Building Material Scout ist eine Ausgründung von Drees & Sommer. Es bietet eine Service-Plattform für nachhaltige Bauprodukte. Sie hilft allen am Bau beteiligten Akteuren zu einem einfachen Zugang zu nachhaltigen Materialien und Bauprodukten.

Wandel in der Unternehmensführung: Vom Shareholder zum Stakeholder Value

Angesichts der gestiegenen Umweltanforderungen entsteht ein aggressiver Wettbewerb zur Umstellung auf Net Zero. Deutschlands Führungskräfte berichten von einem „Race to Zero“, keiner möchte später als der Wettbewerb die Dekarbonisierung vollenden. Keiner will der Letzte sein. Noch sind viele Unternehmen eher Getriebene als Treiber, doch langsam zeigt sich ein Wandel in der Unternehmenskultur und der Unternehmensführung. Ein allmählicher Wechsel vom Shareholder zum Stakeholder Value ist die Folge des gesellschaftlichen Bewusstseinswandels. Inzwischen halten neun von zehn Führungskräfte Nachhaltigkeit für genauso wichtig wie die Digitalisierung. Unternehmen, die sich zur Nachhaltigkeit verpflichten, unterstützen das Unternehmenswachstum und gewinnen als Arbeitgeber an Attraktivität. Sie können Bewerbern und Mitarbeitern ein Sinnangebot machen, das sich im Unternehmenszweck („Purpose“) zeigt.

„Wer kein klares Datum nennt, bis wann er klimaneutral wirtschaftet, wird – zugespitzt formuliert – an die Wand genagelt.“

Viele Unternehmen haben bereits Nachhaltigkeit intern verankert – und in der gesamten Wertschöpfungskette. Der Autohersteller Daimler macht seinen Zulieferern konkrete Vorgaben und überprüft auch deren Einhaltung. So werden der CO2-Fußabdruck oder andere Aspekte von Nachhaltigkeit das Kriterium für ein Listing von Lieferanten sowie die Auftragsvergabe.

Große Unternehmen wie Schaeffler haben ein Sustainability Committee gegründet, das beim Vorstand angesiedelt ist. Die Überzeugung dahinter: „Das Thema Nachhaltigkeit kann man nicht delegieren. Ziele und Maßnahmen müssen von oben vorgelebt werden“, sagt CEO Klaus Rosenfeld. Die Deutsche Telekom ergänzt ihre Nachhaltigkeitsgremien mit externen Experten, sodass andere Perspektiven als die reine Binnensicht des Unternehmens berücksichtigt werden. (Quelle)

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Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehen nach unserer Auffassung Hand in Hand. Welchen Stellenwert hat dieses Tandem bei Ihnen? Kennen Sie die CO2-Bilanz Ihres Unternehmens? Schreiben Sie uns oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

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