Michael Lewrick: „Exponentielles Wachstum durch digitale Business-Ökosysteme“

von Bernhard Steimel
19. Januar 2023

Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen, die sie nur mit einer aktiven Gestaltung oder Partizipation in Business Ökosystemen bewältigen können, sagt Michael Lewrick (PhD), Autor des Buchs „Business Ökosystem Design“, Experte auf dem Gebiet der Digitalen Transformation und dem Management von Innovationen.

Business-Ökosysteme sind schon länger in der Diskussion, erhalten aber nur langsam eine größere Bedeutung. Sollten sich Unternehmen jetzt damit beschäftigen?

Ja, unbedingt, denn genau jetzt ist die beste Zeit dafür. Eigentlich hätten wir schon vor Jahren damit anfangen sollen, über die neuen Möglichkeiten von Ökosystemen in der Geschäftswelt nachzudenken. Zum einen bieten solche Business-Ökosysteme die Möglichkeit, neue Wertversprechen mit anderen Akteuren im Markt zu entwickeln und schließlich neue Wachstumsmöglichkeiten zu erschließen.

Andererseits haben wir große gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen, die ganze Lieferketten ist ins Wanken geraten. Zugleich gibt es hohe Erwartungen und Ziele an das Thema Nachhaltigkeit. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie wir unsere Wirtschaft so aufstellen, dass wir zukunftsfähig sind, anders mit unseren Ressourcen umgehen und mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten, um das möglich zu machen.

Unternehmen möchten in den nächsten fünf bis zehn Jahren CO2-neutral werden. Für die meisten ist das erst mal ein großer Kostenblock und erfordert hohe Investitionen. Im Moment haben wir die große Chance, mit dem Business Ökosystem Design-Ansatz zu demonstrieren, dass Nachhaltigkeit auch die Möglichkeit, bietet neue Geschäftsmodelle zu realisieren.

"Im Moment haben wir die große Chance, mit dem Ansatz des Business Ökosystem Designs zu demonstrieren, dass Nachhaltigkeit auch die Möglichkeit bietet, neue Geschäftsmodelle zu realisieren.“

Was muss ich als Entscheider in einem Unternehmen über Business-Ökosysteme wissen? Haben viele Unternehmen schon erste Ansätze dazu?

Business-Ökosysteme entstehen nicht von selbst. Es braucht einen Initiator, der aufgrund von neuen Kundenbedürfnissen ein Angebot formuliert, dass von verschiedenen Akteuren im System gemeinschaftlich bereitgestellt wird. Hierbei handelt sich nicht um zentrale Plattformen, die auf Basis bereits bekannter Kundenerlebnisketten ihr Angebot weiterentwickeln. Im Business-Ökosystem-Design schauen wir uns die „Ökosystem-Journey“ des Kunden an, also all die potenziellen Interaktionen, die es bräuchte, um ein bislang nichtexistierendes Angebot am Markt zu erhalten.

Beim Business-Ökosystem-Design geht es also um komplett neue Bedürfnisse, die bislang noch unbekannt sind und erst im Verlauf der Gestaltung eines solchen Ökosystems deutlich werden.

Ein typisches Feld dafür ist der Tourismus. Viele Kunden wollen mehr als nur verreisen. Sie haben im Vorfeld vielleicht das Bedürfnis, sich zu informieren und sich mit Leuten auszutauschen und später die Erfahrungen zu teilen. Und damit wird es spannend. Denn diese Interaktionen ergeben Datenpunkte, die einem Unternehmen helfen können, ihre Ökosysteme weiterzuentwickeln.

Entwicklung eines Business-Ökosystems

Ökosysteme sind viel transparenter, offener und dynamischer als herkömmliche Geschäftsmodelle und bieten große Chancen zur Effizienzsteigerung.

So hat sich beispielsweise im Gesundheitssystem herausgestellt, dass jeder Digitalisierungsschritt die Kosten nach oben treibt, da Intermediäre entstehen. Der Ökosystem-Ansatz bringt dagegen neue Ideen hervor, wie Datenaustausch organisiert, Medikation gedacht und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren effizienter wird.

Aber auch für die aktuellen Herausforderungen von Energieknappheit und dem Wunsch nach Co2 Neutralität kann die Gestaltung von Business Ökosysteme eine intelligente Lösung in einem dynamischen Umfeld sein. Wie können Ressourcen, nachhaltige Anlagen, Lageinfrastruktur bis hin zum Recycling gemeinschaftlich gelöst werden, so dass alle Akteure im System einen Benefit haben.

"Beim Business-Ökosystem-Design geht es um komplett neue Bedürfnisse, die bislang noch unbekannt sind und erst im Verlauf der Gestaltung eines solchen Ökosystems deutlich werden.“

Liegt darin nicht eine Chance für deutsche Unternehmen, die den Plattformzug verpasst haben? Wie ist das Vorgehen?

Ein sehr wichtiger erster Schritt ist es, den Kunden zu verstehen – mit allen heutigen und zukünftigen Bedürfnissen. Daraus können Unternehmen ein gutes Wertversprechen entwickeln und das Ökosystem-Design aufbauen. Ohne ein Verständnis des Zwecks und der Ziele eines Ökosystems ist es sehr schwer, Wertströme und die Konfiguration des Ökosystems zu gestalten.

In einem zweiten Schritt sollten Unternehmen das MVP (Minimum Viable Product) bauen, das grundlegende Bedürfnisse erfüllt und die Basis für ein komplexer werdendes Wertversprechen ist. Wichtig ist ein iteratives Vorgehen: Die kundenzentrierte Entwicklung beginnt bei der Ökosystem-Strategie und darauf bauen sich dann Fragen der Konfiguration, der Märkte und der Erfolgsstrategien auf.

Der eigentliche Erfolgsfaktor ist die Konfiguration des Ökosystems die im Rahmen eines MVE (Minumum Viable Ecosytems) ebenfalls schrittweise getestet wird: Wie spielen die einzelnen Akteure zusammen? Welche Wertströme gibt es zwischen ihnen? Welches Kundenerlebnis haben die Nutzer? Über welche Kanäle werden sie bedient und welche Daten sind dafür nötig? Über die Antwort auf diese Fragen können Unternehmen ein Ökosystem schrittweise weiterentwickeln.

Wichtig ist dabei, dass anfängliche Ökosystem als echtes MVE zu planen, mit einer begrenzten Anzahl an Akteuren.

Ich habe Kunden aus dem Gesundheitsbereich empfohlen, zunächst nur maximal zehn einzelne Akteure an Bord zu nehmen. In diesem Fall waren es eine Krankenkasse, eine Handvoll Ärzte und ein paar Apotheken. Mit diesem minimalen Ökosystem können Nutzenversprechen, Wertströme und alle Abläufe getestet werden. Das ist das MVE, das anhand der gemachten Erfahrungen dann verbessert und skaliert werden kann.

Ich sehe über alle Branchen Unternehmen, die diesen Pfad für neue Geschäftsmodelle und Wachstum nehmen. Es sind vor allem Unternehmen, die sich heute aktiv die Frage
stellen „Was wäre, wenn…“. Hierzu gehören Autobauer wie auch Industrieunternehmen. Banken und Versicherungen bauen ihre Fähigkeiten aus in Ökosysteme zu denken, während aktuell das größte Potential im Gesundheitswesen liegt.

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