Erfolgversprechende Ansätze für Gesundheitsökosysteme zeigen sich im Moment eher im Ausland, besonders in der Schweiz, sagt Dr. Michael Sander, Experte für Business Development in der Gesundheitswirtschaft bei msg systems. Das deutsche Gesundheitssystem entwickelt sich nur sehr langsam weiter.
Gesundheitsökosysteme sind inzwischen ein häufig diskutiertes Trendthema. Worum geht es dabei eigentlich?
Ein Ökosystem besteht aus drei Komponenten. Erstens die Value Proposition, dass Wertversprechen. Dabei handelt es sich um den echten Mehrwert, der innerhalb des Systems erzeugt wird. Zweitens benötigt man zur Erzeugung dieses Mehrwerts eine Reihe von Partnern, die zusammenarbeiten. Hierfür ist ein Alignment der einzelnen Services notwendig. Drittens benötigt das Ökosystem einen Orchestrator. Das ist jemand, der das Alignment der Beteiligten auf das Erfüllen des Wertversprechens ausrichtet.
Die Rolle des Orchestrators kann auf zwei verschiedene Arten gefüllt werden. Zunächst einmal gibt es den fachlichen Orchestrator, der etwas von Medizin versteht. Außerdem gibt es noch einen technologischen Orchestrator, der das Alignment aller Beteiligten technologisch sicherstellt. Entscheidend ist die Value Proposition: Nur Kooperationsformen, die im Markt einen entsprechenden Outcome für die Versicherten bringen, haben eine realistische Verwirklichungschance.
Zur Zeit gibt es noch nicht so viele Ökosysteme in dieser Form. Welche Hürden gibt es denn hier in Deutschland dafür?
Wir haben hier eine Art Teufelskreis: Die Finanzsituation vor allem der Krankenversicherungen ist beängstigend schlecht. Mindestens 90 % ihrer Kosten sind Leistungsausgaben. Aus diesem Grund müssten die Kassen auf Kooperationsformen setzen, wofür das Konzept der Ökosysteme sehr gut geeignet ist. Die Kassen eignen sich hervorragend als Orchestrator, sind aber aufgrund der schlechten Finanzierungslage nur eingeschränkt in der Lage, diese Rolle auch auszufüllen.
Das ist einer der Gründe, warum es bisher leider kaum Ökosysteme gibt, die Wirksamkeit erzielen. Zwar sind etwa ab Mitte des letzten Jahrzehnts die ersten Startups zu innovativen GKV und PKV gegangen, haben mit ihnen kooperiert und die ersten Leistungen in den Markt gebracht. Die Marktmacht ist zu niedrig: Startups mit nur ein paar 100 eingeschriebenen Versicherten verändern nicht signifikant die Kostenstruktur.
Wo liegt denn in Deutschland die Marktmacht? Welche großen Player im Gesundheitsmarkt können Ökosysteme aufbauen?
In Deutschland mangelt es an großen Trägern, die Gesundheitsökosysteme aufbauen können. Die Krankenkassen sind unterfinanziert und können nicht ausreichend investieren. Die Ärzte, häufig Einzelkämpfer, besitzen eine zu geringe organisationale Durchschlagskraft am Markt. Die Krankenhäuser und Krankenhausketten haben noch Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Unternehmen aus Pharma und Medizintechnik richteten sich bislang eher an den Leistungserbringern als Kunden aus und steuern erst allmählich auf die Patienten als Kundenschnittstelle (oder point of sale) um. Und die viel zitierten amerikanischen Internetgiganten haben zwar viel Ahnung von Customer Journey und Experience sowie von Data Analytics, besitzen aber noch einen zu geringen Einblick in die Wirkungsweise und Regulatorik des Gesundheitssystems.
Ökosystem-Ansätze können und werden einen Veränderungsdruck im Gesundheitsmarkt erzeugen. Erfolgversprechende Ansätze zeigen sich besonders in der Schweiz mit Well und Compassana. Besonders interessant ist hier das Engagement der Migros als ein möglicher Orchestrator. Hierzulande ist noch etwas Geduld und Marktbeobachtung gefragt, wie etwa neue Marktteilnehmer à la Otto Group agieren werden.
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