Trendradar für die Multikrise und neue Geoökonomie

von Bernhard Steimel
31. Januar 2023

Zum Jahreswechsel stellen sich viele Führungskräfte die Frage „Was kommt, was geht, was bleibt und wie müssen wir uns als Unternehmen wandeln, um zukunftssicher zu bleiben?“ Das ist meist eine unübersichtliche Gemengelage aus vielen verschiedenen Trends, die einen Trendradar erfordern. Wichtig für die Unternehmen ist es, sich einen systematischen Zugang zu verschaffen. Die Unternehmen müssen unterscheiden,

  • was wichtig und unwichtig ist,
  • was sofort kommt und unmittelbare Wirkung erzielt und was erst in den nächsten Jahren wichtig wird,
  • was ein Hype ist und was nachhaltig wirkt!

Dieser Beitrag stellt unseren neuen Trendradar vor. Er ist der erste Teil einer zweiteiligen Serie über die aktuelle Multikrise und den damit verbundenen Trends. In diesem Teil beschäftigen wir uns mit den Hintergründen und Folgen der Multikrise, im zweiten Teil mit Digitalisierung als Maßnahme zur Stärkung der Resilienz.

Diese Frage nach den Trends in der Multikrise betrifft vor allem die Digitalisierung. Wir arbeiten bereits seit Jahren mit dem Framework des Digitalisierungshauses. Dort findet sich alles, was das Thema Digitalisierung anbelangt. Aber ein wichtiger Aspekt hat bisher immer gefehlt: die externen Effekte oder Externalitäten.

In Gesprächen mit Unternehmern ist mir klar geworden, dass die Geschäfte nach wie vor besser laufen als erwartet, aber viele leben in der ständigen Erwartung, dass jederzeit der Aufwind abreißt. Ein Befragungsteilnehmer: Wir sind permanent mit dem Management von Externalitäten beschäftigt. Der Schaeffler-CEO Klaus Rosenfeld bringt es in einem Interview auf Youtube auf den Punkt: “Es gibt immer wieder Momente, wo man denkt, es reißt jetzt ab. Aber es reißt nicht ab. Wir sind gefordert, das richtige zu tun. Die Interdependenzen zwischen den Problemen und ihre Vernetzung ist sehr komplex.“

Das Richtige tun: Das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden

Um auf diese Entwicklung einzugehen, haben wir als neues Framework den Customer Insights Radar entwickelt. Dieser Trendradar gibt einen Orientierungsrahmen, um systematisch über Trends nachzudenken, mit denen der Mittelstand in Deutschland in 2023 beschäftigen wird.

Die Zeitskala am unteren Rand des Trendradars steht für kurz-, mittel- und langfristig wirksame Trends. Um nicht zu unsichere Aussagen zu treffen, sind langfristige Trends alles, was bis etwa 2030 wirkt. Der Halbkreis des Radars ist von links nach rechts in vier Segmente aufgeteilt. Sie stehen für unterschiedliche Themenbereiche, die auf Unternehmen Einfluss haben.

External Effects – Trends von außen

Das erste Segment ganz links im Trendradar heißt External Effects und steht für alle Trends, die von außen auf das Unternehmen einwirken. Besonders wichtig sind drei Externalitäten, die auf das Unternehmen einwirken. Sie kommen aus der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Politik. Letzteres erscheint vor allem als Form von neuen Regulierungen in das Blickfeld der Unternehmen.

New Horizons – In die Zukunft aufbrechen

Das zweite Segment New Horizons widmet sich Trends, die eine strategische Bedeutung für das Geschäftsmodell eines Unternehmens haben. Ganz generell geht es um die Frage: Wofür wird das Unternehmen in Zukunft bezahlt? Die Antwort auf diese Frage erfordert Anpassungen in drei Bereichen, nämlich der Strategie, dem Management (Leadership) und der Unternehmensführung (Governance).

Value Drivers – Wertschöpfung verbessern

Das dritte Segment Value Drivers nennt die wichtigsten Handlungsfelder für Wertschöpfung in einem Unternehmen. Customer Experience, Produkte und die Geschäftsprozesse (Operations) sind die drei hauptsächlichen Handlungsfelder, in denen sich Unternehmen an die Digitalisierung anpassen müssen.

Digital Foundation – die Basis stärken

Das vierte Trendradar-Segment Digital Foundation beschreibt die digitalen Kompetenzen, die in einem Unternehmen vorhanden sein müssen, um die digitale Realität der nächsten zehn Jahre zu bewältigen. Die größten Herausforderungen für die Anpassung der digitalen Basis eines Unternehmens liegen in der Kultur, dem Personal (People) und der technischen Infrastruktur.

Weitere Informationen zur Multikrise

Wer sich für geoökonomische Fragen und die makroökonomische Einschätzung der Multikrise interessiert, sollte sich die folgenden drei Vorträge des ifo Instituts anschauen:

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Prof. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, erklärt Gründe für die Wirtschaftskrise. So verweist er auf die starke Außenhandelsorientierung, den hohen Industrieanteil mit Fokus auf das Auto sowie auf die Abhängigkeit von Energieimporten. Anschließend erläutert er die Folgen der Krise und schlägt Maßnahmen vor, die unsere Politik ergreifen sollte.

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Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Gabriel Felbermayr, PhD, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, stellt seine Überlegungen zur neuen Geoökonomie vor. Ihm geht es hier zum einen um die Externalitäten, denen sich Unternehmen im Moment gegenübersehen. Zum anderen erläutert er die möglichen Effekte von Deglobalisierung und Decoupling.

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Prof. em. Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des ifo Instituts, beschreibt in seinem Vortrag die beiden wirtschaftlichen Krisenphänomene Inflation (Stagflation) und Energiekrise. Er nennt mögliche Ursachen für beide „Schwarzen Schwäne“ – Ereignisse, die man vor kurzem noch für undenkbar hielt.

Die neue Geoökonomie rückt das Management von Externalitäten in den Fokus

Bei einem Rundblick über die aktuellen Trends im Trendradar wird deutlich, dass seit einigen Monaten Themen wie Demographie, Decoupling und Dekarbonisierung intensiv in den Unternehmen diskutiert werden.

Bei der Demographie geht es um den Arbeitnehmermangel auf allen Ebenen. Unternehmen müssen damit umgehen können. Hintergrund des Decoupling ist die Konfrontation zwischen dem durch die USA dominierten Westen und auf der anderen Seite China und seinen Partnern. Sie führt zu einer stärkeren Abkoppelung (Decoupling) der Lieferketten von China führen wird. Dadurch gibt es konkrete Handlungsanforderungen an das Management von exportorientierten deutschen Mittelständlern, insbesondere hinsichtlich ihrer Direktinvestitionen. Letztlich geht es um die Frage, wie global agierende Mittelständler ihre Netzwerke gestalten.

Eine weitere Externalität ist die Dekarbonisierung, die große Menschheits- und Zukunftsaufgabe. Hier zeigt sich ein sehr konkreter, neuer Handlungsdruck durch die Regulierung. Die Unternehmen müssen neue Anforderungen an die Compliance erfüllen. Ein Beispiel dafür ist die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU, die jetzt in Kraft getreten ist. Sie besagt im Wesentlichen, dass ein Unternehmen zukünftig neben der finanziellen Berichterstattung auch einen Nachhaltigkeitsbericht anfertigen muss.

Das erzeugt völlig neue Fragestellungen, zum Beispiel im Bereich der Governance. Doch die Unternehmen stehen nun auch unter dem Druck, mit ihren Produkten und Services zusätzlich einen Beitrag einen positiven Impact zu erzeugen.

Insgesamt sehen sich die Unternehmen vielen krisenhaften Situationen gegenüber. Das fängt an bei den Nachwirkungen der Pandemie. Angebotsengpässe sind entstanden und Lieferengpässe waren die Konsequenz. Hinzu kommt die geopolitische Konfrontation, bei der es im Kern auch um eine neue Geoökonomie geht. Im Klartext: Die ökonomische Sphäre ist nicht mehr von der politisch-militärischen Sphäre getrennt. Und das sehen wir beispielsweise an den derzeit aktuellen Sanktionsregimes in Sachen Russland.

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