Die Maschine als Übersetzer: Wie KI die Sprache der Sicherheit neu erfindet

von Gunnar Sohn
10. Januar 2025

Dr. Niels Syassen, CTO des Sensorherstellers Sick, wird im Podcast von Robert Weber und Peter Seeberg zur Stimme einer Industrie, die zwischen Tradition und Transformation taumelt. Die Episode ist mehr als ein technisches Gespräch – sie gleicht einer intellektuellen Expedition, die auf den Pfaden von Wahrscheinlichkeit, Sicherheit und moralischer Verantwortung wandelt.

Syassen beschreibt, dass die Sicherheitsanforderungen in der Industrie noch immer von deterministischen Paradigmen geprägt seien – ein Bollwerk aus Normen, V-Modellen und akribischer Dokumentation. Doch diese Festung stehe unter Druck, denn die Welt der künstlichen Intelligenz sei probabilistisch, voller Unschärfen und Ambivalenzen. Hier zeichne sich ein Konflikt ab, der nicht weniger als die DNA der industriellen Prozesse selbst betreffe: Wie lasse sich die Zuverlässigkeit der Sicherheit mit der Flexibilität und Innovationskraft der KI vereinen?

Ein Beispiel verdeutlicht diese Ambivalenz: Der „Safe Brake Assist“, ein intelligenter Laserscanner, sei in der Lage, zwischen Menschen und Objekten zu unterscheiden, selbst wenn Nebel und Dampf die Sicht verschleiern. Dieses Produkt, so Syassen, zeige, wie Maschinen nicht nur beobachten, sondern begreifen könnten. Doch es sei nicht die Technologie allein, die zähle. Die letzte Meile – jene entscheidenden zehn Prozent zur Perfektion – werde durch den Anspruch an industrielle Robustheit geprägt, durch den Willen, das Unwahrscheinliche zuverlässig zu machen.

Syassen wird zitiert, die Generative KI sei ein Werkzeug, das man mit Bedacht einsetzen müsse. Ihre Stärke liege nicht in der universellen Anwendung, sondern in der gezielten Anpassung an spezifische Probleme. Die Zukunft der KI, so meint er, werde nicht durch immer größere Modelle bestimmt, sondern durch spezialisierte, effizientere Ansätze, die weniger Ressourcen verbrauchen und sich nahtlos in industrielle Prozesse integrieren ließen.

Die Episode verwehrt sich jedoch einem einfachen Optimismus. Syassen beklagt, dass Europa im Wettlauf um KI-Innovationen ins Hintertreffen geraten sei. Die USA investierten massiv, Asien kombiniere Geschwindigkeit mit wachsender Regulierung. Europa hingegen drohe, durch übermäßige Vorsicht und mangelnde Investitionen den Anschluss zu verlieren. Dennoch verteidigt er die europäischen Werte – Ethik, Datenschutz, Qualität – als einen Kompass, der Orientierung in einer Welt der algorithmischen Unsicherheit biete.

Im Hintergrund der Diskussion lauert eine Frage, die nicht explizit gestellt, aber stets präsent ist: Wer kontrolliert die Maschinen, wenn diese beginnen, unsere Welt aktiv zu gestalten? Syassen deutet an, dass die Industrie lernen müsse, nicht nur Prozesse, sondern auch Moral zu skalieren – eine Aufgabe, die weit über die Technokratie hinausreiche.

Was bleibt, ist eine Episode, die wie ein Essay anmutet: reich an Metaphern, voller Ambiguitäten, getrieben von einer Dringlichkeit, die sich der linearen Logik verweigert. Syassen zeichnet kein Bild der industriellen Zukunft, sondern eine Landkarte ihrer Möglichkeiten. Es ist eine Einladung zur Reflexion – und zugleich ein Weckruf. Denn, wie die Episode zwischen den Zeilen vermittelt: Die Zukunft wird nicht gebaut, sie wird interpretiert.

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