Die Sprache der Wirtschaft: Psychologie, Narrativ und der SAFE-Index

von Gunnar Sohn
13. Januar 2025

In einer Welt, die von wirtschaftlicher Unsicherheit und geopolitischen Spannungen geprägt ist, erscheint die deutsche Wirtschaft oft wie ein Schiff im Sturm. Die öffentliche Debatte zeichnet ein Bild des Niedergangs, während die Fakten manchmal eine ganz andere Sprache sprechen. Gerade der Mittelstand – lange Zeit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – zeigt erstaunliche Resilienz. Doch warum gibt es eine so deutliche Diskrepanz zwischen gefühlter und realer Wirtschaftslage?

Der SAFE-Index zur Manager-Stimmung: Ein wertvolles Marktbarometer

Das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE hat mit dem SAFE-Index zur Manager-Stimmung ein innovatives Instrument geschaffen, das die wirtschaftliche Lage aus einer neuen Perspektive beleuchtet. Entwickelt von Alexander Hillert, Professor für Finanzen und Data Science, analysiert der Index die Sprache in Jahres- und Quartalsberichten sowie Analystenkonferenzen von Unternehmen in den DAX-Indizes. Mithilfe moderner Textanalysemethoden werden positive und negative Aussagen ausgewertet, um den aktuellen „Netto-Optimismus“ in den Führungsetagen sichtbar zu machen.

Anfang 2025 liefert der SAFE-Index ein vielschichtiges Bild. Die Ergebnisse zeigen eine verhalten pessimistische Stimmung, die jedoch weniger negativ ausfällt, als die allgemeine wirtschaftliche Lage erwarten ließe. Florian Heider, Wissenschaftlicher Direktor von SAFE, betont: „Die Exportorientierung der deutschen DAX-Unternehmen spielt hier eine zentrale Rolle.“ Tatsächlich verdeutlicht der Index, wie stark die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Lage von globalen Marktdynamiken und individuellen Einschätzungen abhängt.

Die zentralen Erkenntnisse des SAFE-Index:

Leichte Negativeinträge in der Stimmung:
Der SAFE-Index zeigt einen leicht negativen Wert zu Beginn des Jahres 2025. Dies deutet darauf hin, dass in den Führungsetagen der Unternehmen die Skepsis leicht überwiegt. Begriffe wie „Abbau“ oder „schwerwiegend“ tauchen häufiger auf als positive Formulierungen wie „profitabel“ oder „Wachstum“. Dieser Befund passt zu einer Phase wirtschaftlicher Unsicherheit, in der Investitionen mit Vorsicht getätigt werden.

Exportorientierte Zuversicht:
Trotz verhaltener Stimmung zeigt der Index, dass Unternehmen mit starker Exportausrichtung optimistischer bleiben. Insbesondere Branchen wie Maschinenbau und Automobilindustrie, die von internationalen Märkten abhängig sind, äußern sich positiver. Hier zeigt sich der Einfluss globaler Nachfrage auf die Unternehmenskommunikation.

Branchenspezifische Unterschiede:
Der SAFE-Index offenbart deutliche Unterschiede zwischen Branchen. Während Technologieunternehmen und Gesundheitswesen häufig eine neutrale bis positive Sprache verwenden, dominiert in energieintensiven Branchen wie Chemie und Stahl eine vorsichtig pessimistische Wortwahl. Diese Branchen kämpfen besonders mit steigenden Kosten und regulatorischen Unsicherheiten.

Langfristige Signalwirkung:
Eine interessante Erkenntnis aus früheren Studien, auf denen der SAFE-Index basiert, ist die Korrelation zwischen optimistischer Manager-Sprache und langfristig geringeren Aktienrenditen. Dies deutet darauf hin, dass übertriebener Optimismus zu risikoreichen Investitionen führen kann, während eine vorsichtige Haltung mit stabileren Entscheidungen einhergeht.

Methodik des SAFE-Index

Der Index basiert auf dem Verhältnis von positiven und negativen Begriffen in Texten. Wissenschaftlich etablierte Wortlisten, wie sie bereits in Studien von Loughran und McDonald verwendet wurden, bilden die Grundlage. Diese wurden für die deutsche Sprache angepasst. Begriffe wie „Zuwachs“ oder „Erfolg“ stehen dabei für Optimismus, während Wörter wie „Rückgang“ oder „Unsicherheit“ Pessimismus signalisieren.

Die Analyse umfasst ein rollierendes Drei-Monats-Fenster, das aktuelle Stimmungen abbildet, ohne kurzfristige Ausschläge zu überbewerten. Dies schafft eine belastbare Grundlage für die Interpretation wirtschaftlicher Trends.

Wilhelm Röpke und die Psychologie der Wirtschaft

Bereits 1932 wies Wilhelm Röpke in seinem Werk „Krise und Konjunktur“ darauf hin, dass nicht die Tatsachen allein das Verhalten der Menschen bestimmen, sondern ihre Meinungen über diese Tatsachen. Röpke prägte den Begriff der „mentalen Epidemien“, um die Dynamik zu beschreiben, wie Stimmungen ganze Wirtschaftssysteme beeinflussen können. Seine Beobachtung, dass Ökonomien oft auf Spekulation und Überreaktionen bauen, ist heute so relevant wie damals.

In Zeiten von Unsicherheiten und globalen Krisen ist diese Perspektive entscheidend. Der SAFE-Index liefert ein Werkzeug, um genau diese Stimmungen messbar zu machen. Er ist ein moderner Ansatz, der auf Röpkes Einsichten aufbaut und sie mit datenbasierten Methoden in die Gegenwart überträgt. Die Ergebnisse des Index zeigen, wie sich Ängste und Erwartungen der Manager in konkreten Zahlen und Begriffen ausdrücken lassen.

Bernhard Steimel und die Perspektive des Mittelstands

Während der SAFE-Index einen Fokus auf die großen Unternehmen der DAX-Familie legt, liefert die Arbeit von Bernhard Steimel wertvolle Einblicke in den deutschen Mittelstand. Steimel untersuchte die Stimmung in Familienunternehmen, Hidden Champions und kleinen bis mittleren Betrieben. Seine Studien zeigen, dass die wirtschaftliche Ampel bei sechs von zehn Unternehmen auf Grün steht, obwohl die allgemeine Lage oft kritisch gesehen wird.

Steimel beschreibt dieses Phänomen als „Paralleluniversum“, in dem die Realität der Unternehmen deutlich optimistischer ist als die allgemeine Wahrnehmung. Er knüpft damit an das Konzept des „doppelten Meinungsklimas“ an, das Professorin Elisabeth Noelle-Neumann prägte: Die eigene Situation wird positiv eingeschätzt, während das Umfeld kritisch bewertet wird. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, zwischen medial geprägter Wahrnehmung und realen Erfahrungen zu unterscheiden.

Nachzulesen in der Twin-Transformation-Studie.

Ein Kommentar zur Lage: Was der SAFE-Index uns lehrt

Der Index zeigt, dass die Unsicherheiten auf globaler Ebene – von geopolitischen Spannungen bis hin zu Energiekrisen – ihren Tribut fordern. Dennoch ist die vorsichtige Zuversicht in exportorientierten Branchen ein Hoffnungsschimmer.

Die SAFE-Ergebnisse , kombiniert mit den Beobachtungen von Steimel und den Einsichten Röpkes, verdeutlichen, dass wirtschaftliche Stimmung kein monolithischer Block ist. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Geflecht aus Fakten, Meinungen und Erwartungen, das sich nur durch differenzierte Analysen erfassen lässt.

Wie Röpke sagte: Es sind nicht die Tatsachen allein, die zählen, sondern die Meinungen über diese Tatsachen. Der SAFE-Index gibt uns die Möglichkeit, diese Meinungen sichtbar zu machen – ein wertvolles Werkzeug für Unternehmen, Politik und Gesellschaft.

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