In einer Zeit, in der Digitalisierung und Nachhaltigkeit zur Schicksalsfrage der Wirtschaft werden, bewegen sich Unternehmen wie Hochseilartisten über Abgründe: zwischen technologischer Innovation und ökologischer Verantwortung, zwischen regulatorischem Zwang und wirtschaftlichem Überlebenswillen. Im Smarter-Service-Talk zeigt Frank Hemmers, IT-Leiter und ESG-Verantwortlicher der Hermes Group, wie ein mittelständisches Pharmaunternehmen versucht, das Unsichtbare sichtbar zu machen – Daten, Verantwortung und Zukunft.
Die Daten als Puls der Nachhaltigkei
„Wir müssen die Daten normieren, aufbereiten und zur Grundlage für Entscheidungen machen“, erklärt Hemmers mit der Präzision eines Uhrmachers, der an den Zahnrädern der Zeit dreht. Es ist die IT, die in seiner Doppelrolle die Prozesse miteinander verschränkt: Sie sorgt dafür, dass Nachhaltigkeitsziele nicht im Sumpf des Aktionismus versinken, sondern messbar und verbindlich werden.
Seine Stimme wird nachdenklich, als er über die Herausforderungen spricht, Lieferketten nachhaltiger zu gestalten: „Manchmal haben wir nur zwei oder drei Lieferanten weltweit. Sie für ESG zu sensibilisieren, ist oft ein Tropfen auf den heißen Stein – aber selbst ein Tropfen höhlt den Stein.“ Mit diesem Bild beschreibt er den zähen Kampf um Compliance und Verantwortung, der nicht selten an den Grenzen der Machbarkeit endet.
Serialisierung: Der Code gegen das Chaos
Ein Meilenstein in dieser Choreografie aus Daten und Verantwortung ist die Serialisierung – ein Begriff, der trocken klingt, aber eine Revolution in der Pharmabranche bedeutet. Jedes Medikament trägt eine individuelle Kennung, die seine Authentizität garantiert und Fälschungen unmöglich macht. „Es ist wie ein unsichtbarer Wächter, der über die Qualität unserer Produkte wacht“, sagt Hemmers und macht klar, dass diese Transparenz nicht nur Verbrauchern zugutekommt, sondern auch die gesamte Lieferkette sicherer macht.
Die EU-Verordnung zur Serialisierung wirkt dabei wie ein Sicherheitsnetz unter dem Hochseil. „In Europa haben wir durch die Regulierung schon eine solide Basis“, betont Hemmers. Aber in Ländern ohne diese Standards bleibt die Unsicherheit ein ständiger Begleiter.
Blockchain: Eine Zukunft in Nebel gehüllt
Während die Serialisierung bereits fest verankert ist, bleibt die Blockchain für Hemmers noch ein ferne Vision. „Wir haben uns 2023 intensiv mit Rohstofftracking beschäftigt, aber als mittelständisches Unternehmen fehlen uns oft die Ressourcen, um solche Projekte sofort umzusetzen“, räumt er ein. Dennoch sieht er in der Technologie einen Schlüssel, um Lieferketten transparenter und resilienter zu machen.
„Es ist wie der Blick in ein Kaleidoskop“, sinniert Hemmers. „Man sieht das Potenzial, aber die konkreten Muster entstehen erst, wenn alle Beteiligten ihre Perspektiven einbringen.“
Zwischen Maschinen und Menschen
Die IT-Sicherheit bleibt ein weiteres Spannungsfeld. „In der Produktion treffen Welten aufeinander – 15 Jahre alte Maschinen und moderne Cloud-Systeme“, beschreibt Hemmers die Kluft zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Herausforderung liegt darin, diese Gegensätze zu versöhnen, ohne die Sicherheit zu gefährden.
„Man kann sich das wie eine mittelalterliche Festung vorstellen“, sagt er. „Die Mauern mögen stark sein, aber das Tor ist nur so sicher wie der Wachposten.“ Hier setzt die Cloud an, die Flexibilität und Resilienz in einer immer komplexeren Bedrohungslage ermöglicht.
Das Bienenwaben-Prinzip der Nachhaltigkeit
Doch Hemmers bleibt nicht bei der Technik stehen. Seine Philosophie der Nachhaltigkeit durchdringt alle Bereiche – bis hin zu Bienenprojekten auf den 60.000 Quadratmetern Grünfläche am Hauptsitz der Hermes Group. „Es geht um das Lernen durch Berührung, um das Begreifen im wahrsten Sinne des Wortes“, sagt er und erzählt, wie Mitarbeiter:innen Bienen streicheln und Bäume pflanzen.
Für Hemmers ist das Bienenwaben-Prinzip mehr als eine Metapher: Es symbolisiert die Vernetzung von Einzelteilen, die im Zusammenspiel mehr sind als ihre Summe. „Nur so können wir die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit halten.“
Ein Pragmatismus, der Türen öffnet
Zum Abschluss des Gesprächs spricht Hemmers über seine „Lessons Learned“. Seine Worte hallen wie eine Aufforderung nach: „Einfach machen. Aber es auch einfach machen.“ Der Pragmatismus, den er beschreibt, ist keine Abkehr von Visionen, sondern deren realistische Umsetzung. Es geht um kleine Schritte, um das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren.
Ein Netz aus Daten, Verantwortung und Visionen
Die Hermes Group zeigt, wie IT und ESG zu einem unsichtbaren Netz werden, das Unternehmen sicher durch die Abgründe der Gegenwart trägt. Hemmers’ Ansatz ist ein Lehrstück für den Umgang mit Komplexität: Daten als Puls, Serialisierung als Sicherheitsnetz, Blockchain als Blick in die Zukunft. Es ist eine Erzählung über Mut, Geduld und die Kunst, aus den Fäden der Technologie und Verantwortung einen stabilen Halt für die Zukunft zu knüpfen.
Exkurs: Wirtschafts-NATO – Ein neues Bündnis für eine neue Ordnung
Zum Abschluss wird der Blick noch weiter, hin zu einer globalen Perspektive, die Gabriel Felbermayr und Martin Braml unlängst skizzierten. Sie plädieren für die Gründung einer „Wirtschafts-NATO“, einem transatlantischen Pakt, der sich dem Schutz von Freihandel und Wohlstand widmet, ähnlich wie die NATO den Frieden militärisch absichert.
„Die regelbasierte Phase der Globalisierung ist vorbei“, argumentieren Felbermayr und Braml. Die Welt steht an der Schwelle zu einer neuen Ära, in der nicht mehr kollektive Regeln, sondern das Recht des Stärkeren dominiert. Hier könnte eine Wirtschafts-NATO einen Gegentrend setzen: Ein Verteidigungsbündnis nicht mit Waffen, sondern mit wirtschaftlichen Mitteln.
Das Konzept: Eine kollektive Vergeltung gegen wirtschaftliche Erpressung, wie sie etwa Litauen durch China erlebte, oder die Schaffung eines technologischen Schutzschilds gegen strategische Manipulationen. „Technologie ist die langfristige Quelle von Wohlstand und militärischer Kapazität“, schreiben die beiden Ökonomen und sehen in einer harmonisierten Investitionspolitik und liberalisierten Handelszonen nicht nur Sicherheit, sondern auch einen Motor für Wachstum und Innovation.
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