Es ist ja nicht so, dass man es nicht hätte kommen sehen. Ein neues KI-Startup taucht auf, dieses Mal aus China, und plötzlich kriechen die Herren der amerikanischen Digitalimperien unter ihren Schreibtischen hervor, schieben hektisch ihre Kaffeetassen beiseite, zücken die Telefone und bellen irgendwas von „Datenklau!“ ins Pentagon.
Denn Deepseek macht, was sie selbst perfektioniert haben: Es nimmt vorhandene Technologien, presst sie durch die Hochleistungspresse der eigenen Innovationskraft, optimiert, skaliert – und dann knallt es an der Börse. 100 Milliarden Marktkapitalisierung futsch in den USA. Und das alles, weil in Peking ein paar Mathematiker ausgerechnet haben, dass sich neuronale Netze auch ohne zehn Milliarden Serverfarmen in der Wüste von Arizona rechnen lassen.
Was tun? Wie immer: Moral auspacken. Die Guten gegen die Bösen, Recht gegen Unrecht, Demokratie gegen Diktatur. Natürlich, wenn ein amerikanisches Unternehmen mit fragwürdigen Methoden KI trainiert, ist das „disruptive Innovation“. Wenn China das tut, ist es „Diebstahl geistigen Eigentums“. Und während eine Akteure von US-Konzernen öffentlich die Stirn in Falten legen, wird hinter den Kulissen längst der politische Hebel in Gang gesetzt.
David Sacks, ein treuer Vasall der nationalistischen Wirtschaftskrieger, gibt sich im Fernsehen empört. „Stichhaltige Beweise“, sagt er, dass Deepseek „Informationen aus den KI-Modellen von OpenAI destilliert hat“. Beweise? Ach was, das Wort allein reicht, um Narrative zu setzen. Stichhaltige Beweise, stichhaltige Verdachtsmomente, stichhaltige Sorgen. Es ist ein Ritual: Wenn Amerika den Markt verliert, kommt der große Appell an den Schutz der westlichen Werte, an die Einigkeit gegen den Feind, an die Unverzichtbarkeit amerikanischer Führungsstärke.
Und während sie jetzt eilfertig nach Sanktionen rufen, sollte man nicht vergessen, dass fast die gesamte Tech-Elite dem Macho-Präsidenten den goldenen Ring geküsst hat – ob aus Überzeugung oder Opportunismus sei dahingestellt. Die Küsse waren echt. Die Deals auch. Und jetzt, wo die Dominanz ins Wanken gerät, sind es genau diese Wirtschaftsfürsten, die nach staatlichem Schutz schreien. Die früher lauthals „freier Markt“ brüllten, wenn es darum ging, europäische Datenschutzregeln zu umgehen, wimmern jetzt um Eingriffe, weil plötzlich eine chinesische Firma schneller, billiger, besser ist.
Erinnert sei an die vorschnellen Überlegungen des früheren Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber, ChatGPT kurz nach dem Marktstart den Hahn abzudrehen. Eine Sperrung? Denkbar, theoretisch, irgendwann, falls ein Rechtsverstoß vorliegt. Vielleicht. Irgendwie. Aber erst mal italienische Kollegen um Informationen bitten.
Natürlich wird es nicht bei Drohungen bleiben. Die Lobbyisten der Tech-Konzerne werden ihre Kontakte ins Weiße Haus geschickt ausspielen, OpenAI wird die Märtyrer-Karte ziehen, und irgendwann wird ein Kongressausschuss auf die Idee kommen, dass Deepseek ein „nationale Sicherheitsbedrohung“ ist. Der Klassiker. Und wir alle dürfen dabei zusehen, wie aus einer technologischen Überlegenheit ein geopolitischer Skandal konstruiert wird.
Es ist die pure Angst, die da regiert. Angst, dass das Monopol wackelt. Angst, dass der Markt sich verschiebt. Angst, dass die digitale Zukunft nicht mehr ausschließlich in Kalifornien geschrieben wird. Und deshalb werden wir in den nächsten Wochen sehen, wie sich die Angriffe auf Deepseek verschärfen. Neue Vorwürfe, neue Horrorszenarien. Und am Ende, wenn sich der Staub gelegt hat, wird sich herausstellen: Die Revolution war gar kein Diebstahl – sondern nur besserer Code.