Die mittelständischen Transport- und Logistikunternehmen in Deutschland sind ein Bollwerk der Stabilität. 80 Prozent der Unternehmen haben weniger als 20 Mitarbeiter, doch sie bewegen täglich über 800.000 LKW durch das Land. Sie liefern Waren, versorgen Produktionsstätten, halten den Handel am Laufen – und haben sich in der Coronakrise als resilient erwiesen. Doch diese Resilienz wird auf eine unmögliche Probe gestellt. Eine Branche, die sich aus eigener Kraft erneuert, wird von politischer Planlosigkeit und regulatorischem Übereifer in die Knie gezwungen. Wer nach neuen Insolvenzwellen und dem Kollaps von Lieferketten fragt, muss auf die systematische Überforderung dieser Unternehmer blicken.
Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) hat im „100-Tage-Programm“ eine Agenda skizziert, die eine wirtschaftliche Überlebensperspektive für die Transport- und Logistikbranche darstellt. Die Forderungen sind dabei nicht radikal – sie sind schlicht notwendig, um eine planbare Zukunft für eine Industrie zu ermöglichen, die jährlich 294 Milliarden Euro Umsatz generiert und mit rund drei Millionen Beschäftigten den drittgrößten Wirtschaftssektor des Landes bildet.
Die Logistik steht vor einem Kipppunkt: Bleibt der aktuelle Kurs bestehen, werden nicht nur tausende Unternehmen aus dem Markt gedrängt – auch Verbraucher und Industrie werden es zu spüren bekommen.
Branche nicht in den Abgrund transformieren
Das Bild, das sich aktuell bietet, ist paradox: Während die Politik weiterhin von „Transformation“ spricht, erstickt sie die Branche durch immer höhere bürokratische Anforderungen, eine CO₂-Doppelbelastung und eine Maut, die den Mittelstand stranguliert. Von den jährlich rund 15 Milliarden Euro LKW-Mauteinnahmen fließt kaum etwas zurück in die Infrastruktur. Brücken verfallen, Parkplätze fehlen, Staus nehmen zu – und der größte Teil der CO₂-Reduktion bleibt eine rhetorische Schimäre, weil es an technologischen Alternativen und Infrastruktur mangelt.
Dazu kommt ein weiterer struktureller Bruch: Der dramatische Fahrermangel. In Deutschland fehlen aktuell rund 100.000 bis 120.000 Berufskraftfahrer. 40.000 LKW-Stellplätze existieren nur auf dem Papier. Junge Menschen entscheiden sich immer seltener für diesen Beruf, weil er durch überbordende Regulierungen, schwierige Arbeitsbedingungen und zunehmende Unsicherheiten unattraktiv geworden ist. Der BGL fordert daher dringend Anpassungen: Digitalisierung in der Ausbildung, schnellere Anerkennung von Qualifikationen für ausländische Fahrer und eine sofortige Arbeitserlaubnis für Geflüchtete. Doch all das prallt auf eine politische Struktur, die sich vor allem mit dem Erstellen neuer Berichtspflichten und regulatorischer Fesseln beschäftigt.
Besonders perfide zeigt sich das bei der Bürokratie. Die One-in-two-out-Regelung des BGL, die fordert, dass für jede neue Vorschrift zwei alte gestrichen werden, ist kein neoliberales Wunschdenken, sondern überlebensnotwendig. Die Dokumentationspflichten haben ein Ausmaß erreicht, das kleine und mittelständische Betriebe nicht mehr stemmen können. Während große Logistikkonzerne ganze Compliance-Abteilungen unterhalten, ringt der inhabergeführte Betrieb mit fünf LKWs täglich um den Papierkrieg.
Das Märchen vom fairen Wettbewerb
Dass die mittelständische Logistikbranche sich in existenzielle Bedrängnis gedrängt fühlt, liegt nicht nur an nationaler Regulierungswut, sondern auch an einem Wettbewerb, der sich längst in ein Schlachtfeld der ungleichen Bedingungen verwandelt hat. 43 Prozent der Transportdienstleistungen auf deutschen Straßen werden inzwischen von gebietsfremden Unternehmen aus Mittel- und Osteuropa erbracht – unter Bedingungen, die mit dem deutschen Sozial- und Arbeitsrecht nur noch wenig zu tun haben.
Diese Unternehmen profitieren von Lohn- und Abgabenvorteilen, während deutsche Mittelständler die höchsten Lohnnebenkosten und strengsten Umweltauflagen schultern. Sozialdumping ist kein Randproblem, sondern ein systematischer Angriff auf jene Unternehmen, die ihre Fahrer fair bezahlen, ihre Fahrzeuge regelmäßig modernisieren und sich an die Spielregeln halten.
Es ist eine ökonomische Abwärtsspirale: Je stärker der Druck auf heimische Unternehmen, desto mehr verlassen den Markt. Und je weniger deutsche Unternehmen im Wettbewerb bestehen, desto größer wird die Abhängigkeit von Akteuren, die mit Dumpingpreisen operieren – ohne langfristige Investitionen in Infrastruktur oder Nachhaltigkeit.
Der BGL fordert daher ein Ende der regulatorischen Schizophrenie: Die Wettbewerbsbedingungen müssen angeglichen, die Mautharmonisierungsmittel verdoppelt und der systematische Subventionsvorteil gebietsfremder Anbieter abgebaut werden.
Die Politik muss endlich ihre Hausaufgaben machen
Wenn die Politik die Logistikbranche wirklich transformieren will, dann nicht durch weitere Restriktionen, sondern durch mehr unternehmerischen Spielraum. Unsere Analysen „Trendbook Smarter Logistics“ und „Deep Dive Logistics Update“ zeigen, dass digitale Vorreiter in der Branche resiliente Geschäftsmodelle entwickeln, wenn sie nicht durch staatliche Überregulierung ausgebremst werden.
Was wäre, wenn die Branche ihre Innovationskraft entfalten könnte?
- Ein digitalisiertes Supply Chain Management könnte Leerfahrten um bis zu 30 Prozent reduzieren.
- Automatisierte Lager- und Routenplanung durch KI würde Staus und Verzögerungen minimieren.
- Predictive Analytics in der Intralogistik könnte eine präzisere Ressourcenverteilung ermöglichen, CO₂-Ausstoß reduzieren und Kosten senken.
- Plattformökonomien, die tatsächlich für den Mittelstand funktionieren – anstatt ihn durch Venture-Capital-finanzierte Monopole weiter zu schwächen.
Stattdessen droht genau das Gegenteil: Ein regulatorischer Albtraum, in dem Zukunftsprojekte im Bürokratiesumpf ersticken, während Politiker von nachhaltiger Mobilität reden, aber die nötige Infrastruktur weder bereitstellen noch finanzieren.
Die nächsten 100 Tage nach der Bundestagswahl werden zur Weichenstellung: Setzt sich der Kurs fort, dann wird die mittelständische Transportbranche in eine existentielle Krise geraten – mit all den Folgen für die Versorgungssicherheit und die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands.
Der BGL hat eine klare Agenda aufgestellt. Es liegt an der Politik, zu entscheiden, ob sie endlich auf die hört, die dieses Land am Laufen halten – oder ob sie weiter an einem Narrativ festhält, in dem Regulierungswut mit Fortschritt verwechselt wird.
Die Logistikbranche steht an einem Wendepunkt. Die Frage ist nicht mehr, ob es einen Umbruch geben wird. Sondern ob es noch genug mittelständische Unternehmen gibt, die ihn überleben.