Niklas Luhmann, Deepseek, die Angst der Oligarchen und das Märchen vom „unterkomplexen Denken“

von Gunnar Sohn
1. Februar 2025

Lars Vollmer schreibt in Capital, dass man aus Deepseek „nichts lernen könne“. Zu gering seien die Entwicklungskosten, zu zufällig der Erfolg. Die Vorstellung, dass ein schmales Budget Innovation fördert, sei „hochgradig unterkomplex“. Und damit ist das Urteil für ihn klar: Wer glaubt, dass weniger Geld zu besseren Lösungen führt, verwechselt Korrelation mit Kausalität.

Vollmer warnt davor, den Erfolg von Deepseek zum Anlass zu nehmen, um „mal eben die Budgets zu kürzen“. Ein Unternehmen könne sich nicht einfach Innovation verordnen. Kultur entstehe nicht durch Sparmaßnahmen. Und vor allem sei es ein Denkfehler, zu glauben, dass weniger Geld automatisch bessere Lösungen bringe. Entscheidend seien vielmehr die „Entscheidungsprämissen“, wie Niklas Luhmann es nannte.

Also gut, schauen wir uns das an.

Warum Deepseek funktioniert – und warum OpenAI Panik schiebt

Vollmers zentrale These: Wenig Geld macht nicht innovativ. Stimmt. Aber auch viel Geld macht nicht automatisch innovativ. Das ist der eigentliche Punkt. Und genau das zeigt Deepseek.

Was war das Narrativ des Silicon Valley in den vergangenen zehn Jahren? Dass es einen massiven Kapitalaufwand braucht, um KI zu entwickeln. Dass nur mit Milliarden an Forschungsbudget Fortschritt möglich ist. Dass der „Burggraben“ aus proprietären Daten und Hochleistungshardware der einzige Weg zur Technologieführerschaft ist.

Und dann kommt Deepseek, macht es für den Bruchteil der Kosten – und plötzlich passt das nicht mehr ins Weltbild. Plötzlich wird „Wirtschaftsspionage“ gewittert, Microsoft raunt von „unfairen Mitteln“, OpenAI beklagt „gefährliche Wettbewerbsverzerrungen“.

Vollmer aber sagt: Wir können aus Deepseek nichts lernen.

Das ist bemerkenswert. Denn Deepseek zeigt etwas sehr Fundamentales: Kapital ersetzt keine funktionalen Strukturen.

Die blinden Flecken in Vollmers Argumentation

Vollmer zieht Niklas Luhmann heran, um zu erklären, warum Budgethöhe und Innovation nicht in direkter Korrelation stehen. Er unterscheidet zwischen entscheidbaren und unentscheidbaren Entscheidungsprämissen. Unternehmenskultur, Kreativität, Innovationskraft – all das sei unentscheidbar. Man könne es nicht einfach von oben herab diktieren.

Aber genau hier liegt der Denkfehler. Denn was Deepseek demonstriert, ist keine bloße Budgetfrage, sondern ein strukturelles Problem der amerikanischen KI-Monopole.

Schauen wir auf Luhmanns Konzept der Entscheidungsprämissen. Ein Unternehmen organisiert sich über Regeln, Prozesse, Denkmuster. Je größer die Organisation, desto mehr Selbstreferenz. Man entscheidet nicht mehr nach Effizienz oder Problemlösung – man entscheidet innerhalb des Systems, nach dessen eigenen Maßstäben.

Bei OpenAI entscheidet man, welche KI-Modelle entwickelt werden – aber nicht, ob sie wirklich gebraucht werden. Bei Microsoft entscheidet man über Investitionen – aber nicht, ob sie produktiv oder nur marktstabilisierend sind. In Vollmers Logik entscheidet man über Unternehmensführung – aber nicht, ob diese Entscheidungsprämissen überhaupt noch der Realität entsprechen.

Deepseek hat genau diese selbstreferenziellen Strukturen nicht. Es musste eine Lösung finden, die funktioniert – und nicht eine Lösung, die Investoren beeindruckt.

Die große Heuchelei des Silicon Valley

Und hier kommen wir zum eigentlichen Kern: Diejenigen, die sich selbst als die letzte Bastion der Innovation inszenieren, rufen plötzlich nach staatlicher Hilfe.

OpenAI, Microsoft, Nvidia – sie alle haben in der Vergangenheit ein Narrativ aufgebaut, dass KI-Entwicklung ausschließlich mit massiven Investitionen möglich sei. Und jetzt, wo ein kleines Team aus China zeigt, dass es auch anders geht, wird sofort die geopolitische Karte gezogen.

Vollmer argumentiert, dass Deepseek nicht als Blaupause für Unternehmen dienen könne. Und ja, natürlich kann nicht jeder Betrieb plötzlich seine Budgets halbieren und erwarten, dass dadurch Innovation entsteht. Aber das ist nicht der Punkt.

Der Punkt ist, dass ein Unternehmen mit minimalen Mitteln eine effizientere Lösung gefunden hat als die Milliarden-Konzerne – und dass diese Konzerne nun alles tun, um es als illegitim darzustellen.

Luhmann würde sich schütteln

Niklas Luhmann beschreibt in seinen Schriften zur Organisation, dass Systeme sich über ihre eigenen Entscheidungsprämissen stabilisieren. Sie schützen sich selbst vor Veränderungen, indem sie Regeln und Prozesse schaffen, die genau diese Stabilität erhalten.

OpenAI stabilisiert sich über das Narrativ, dass nur mit Milliarden-Investitionen sinnvolle KI entsteht.

Microsoft stabilisiert sich über Marktmechanismen, die es neuen Playern schwer machen, Fuß zu fassen.

Vollmer stabilisiert sich über die Vorstellung, dass Deepseek nur ein Ausreißer ist – und kein Symptom für eine tiefere Veränderung.

Und genau das macht Deepseek zur Stinkbombe gegen das KI-Establishment. Es zeigt, dass all diese Marktmechanismen keine technologischen Notwendigkeiten sind, sondern politische und wirtschaftliche Konstrukte.

Was bleibt?

Deepseek ist kein Zufall. Es ist das Produkt einer neuen Herangehensweise an KI-Entwicklung –pragmatisch, ohne Wunderkerzen und zielorientiert. So wie es der Gründungsdirektor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz immer auch als deutschen Weg bezeichnet. Nur nicht der Leimspur der amerikanischen Marktschreier folgen, sondern schön pragmatisch und kontextorientiert arbeiten, wie im Maschinenbaum mit Small – pardon – Smart Data.

Das Problem ist nicht das Budget. Das Problem ist die strukturelle Erstarrung der amerikanischen Tech-Oligarchien.

Der Markt reagiert. Und genau deshalb versuchen OpenAI & Co. jetzt, die Regeln zu ändern.

Vollmer nennt die Budgetfrage „unterkomplex“. Aber das eigentlich Unterkomplexe ist die Vorstellung, dass Deepseek nur ein statistischer Ausreißer sei – und nicht das Symptom für ein marodes System. Geld allein schießt keine Tore. Und in diesem Fall schützt es auch keine Monopole oder Oligarchen.

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Das die deutschen Datenschützer jetzt auch Deepseek überprüfen wollen, wundert mich nun gar nicht.

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