XaaS: Abfall war gestern, Müllberge adé

von Anne M. Schüller
6. Februar 2025

Was wir Wertschöpfung nennen, ist in Wirklichkeit eine systematische Wertevernichtung, weil wir eine Ab-in-die-Tonne-Wirtschaft betreiben. Die Konsumenten werden gezwungen, Dinge zu erwerben, die häufig ökologisch und/oder sozial sehr bedenklich sind – nur um diese schon bald zugunsten von etwas Neuem, gleichfalls bedenklichem, wieder loszuwerden. Nur durch Boykott oder Nichtkonsum können wir uns dem entziehen. Oder doch nicht? Es gibt eine dritte Lösung: vom Produkt zu Service, sprich vom Eigentum zum Gebrauch.

Die globale Zirkularität, so der Circularity Gap Report 2024, ist entgegen allen Ankündigungsfanfaren der Wirtschaft und trotz aller Hiobsbotschaften der Klimaforscher in den letzten fünf Jahren nicht besser, sondern schlechter geworden. Sie sank von 9,1 auf 7,2 Prozent. Das bedeutet: 92,8 Prozent aller weltweit verbrauchten Rohstoffe werden derzeit zu Abfall gemacht und größtenteils umweltschädlich entsorgt.

Was nicht im Meer landet, verrottet an Land. Unschätzbare Reichtümer, die einst in der Erde lagerten oder auf ihr wuchsen, werden unwiederbringlich in Verbrennungsanlagen vernichtet, vergammeln auf Giftmülldeponien, kontaminieren Gewässer und schweben, in tödliche Treibhausgase verwandelt, um unsere Köpfe herum. Angesichts solchen Irrsinns kann daran kein Zweifel sein: Neue Formen des Wirtschaftens sind überfällig.

Ein wegweisendes Beispiel: das Architektenbüro Rau

Das Architektenbüro Rau aus Amsterdam wollte seine Büroeinrichtung neu gestalten. Dazu gehörte auch ein Beleuchtungskonzept. „Wir wollen diese Leuchten aber nicht besitzen, wir wollen nur das Licht“, erklärte man dem Vertriebsleiter von Philips, der den Auftrag erhalten sollte. „Uns geht es nur um die Leistung und den Service, nicht um das Produkt.“ Das war neu. Doch der Vertriebsleiter war, wie die Stararchitekten Sabine Oberhuber und Thomas Rau in ihrem Buch „Material Matters“ berichten, angetan von der Idee und präsentierte ein erstes Konzept.

„Ist die Stromrechnung schon integriert“, fragten sie. „Die geht natürlich auch auf Kosten von Philips. Wir haben nur Licht bestellt, sonst nichts.“ Der ganze Plan wurde erneut durchgerechnet, und Philips kam nun (!) zu dem Schluss, dass gar nicht so viele Leuchten notwendig waren wie ursprünglich eingeplant. In Kombination mit einem ausgetüftelten Energiesparkonzept sank der Stromverbrauch um mehr als 44 Prozent. Und das Geschäftsmodell „Light as a Service“ (LaaS) war geboren.

Die Vorteile von XaaS-Konzepten sind umfassend

Beim Geschäftsmodell „Verkauf“ ist ein Hersteller darauf erpicht, wie symptomatisch am Beispiel gezeigt, so viele Lampen wie möglich mit kurzer Brenndauer zu verkaufen. Beim Geschäftsmodell „Service“ hingegen liegt es in seinem Interesse, dass die Lampen so lange wie möglich gut funktionieren, und zwar bei geringen Kosten und möglichst wartungsfrei. Im Fall von „Eigentum“ hätte der Käufer funktionsunfähige Lampen einfach in den Müll geworfen, im Fall von „Gebrauch“ nimmt der Anbieter seine Produkte wieder zurück und nutzt sie als Rohstoffdepot für neue Lichtanlagen.

Mit dem Product-as-a-Service-Konzept (PaaS) bleibt der Hersteller Eigentümer seiner Produkte und trägt damit auch die Folgen seines Handelns selbst. Der Konsument erwirbt kein Produkt, sondern zahlt für eine Leistung, nämlich das Recht, ein Produkt für eine festgelegte Zeitdauer oder Anzahl von Vorgängen nutzen zu dürfen. Danach geht es an den Produzenten zurück. Zwangsläufig ist es nun von Vorteil, materialschonend und energieeffizient zu agieren, die Erzeugnisse möglichst mehrfach einzusetzen und brauchbare Komponenten für die Weiterverwendung zu retten.

Schneller Verschleiß ist bei XaaS nicht mehr das Ziel

Ein Unternehmer wird nichts entsorgen, mit dem er noch Geld verdienen kann. So sind schneller Verschleiß und geplante Obsoleszenz bei XaaS nicht mehr das Ziel. Vielmehr ist es für den Anbieter nun von Vorteil, möglichst hochwertige Dinge zu produzieren, um eine langjährige Einsatzbereitschaft sicherzustellen. Zudem liegt es in seinem Interesse, die Betriebs-, Wartungs- und Reparaturkosten niedrig zu halten. Von Anfang an, also schon bei der Produktentwicklung, plant er ein, dass alle eingesetzten Rohstoffe bei maximaler Werterhaltung im Wirtschaftssystem zirkulieren können.

Weitere Vorteile kommen hinzu: Durch Serviceverträge schafft er eine langfristige Kundenbindung. Die Margen für Distributoren und Zwischenhändler fallen weg. Außerdem lernt er seine Kunden und ihre Wünsche durch die direkte Zusammenarbeit viel besser kennen. Wiederkehrende, also berechenbare Einnahmen sorgen für mehr Planungssicherheit. Dies alles reduziert sein unternehmerisches Risiko und sorgt für neue Expertisen. Zudem schont dieser Anbieter die Umwelt, dezimiert Abfall, bewahrt wertvolle Rohstoffe im Umlauf und schützt sich selbst vor Lieferproblemen.

XaaS: Nutzen statt kaufen – und teilen statt besitzen

Was etwa im Musikgeschäft (Music as a Service), in der IT (Software as a Service), in der Automatisierung (Robots as a Service), in der Gaming-Industrie (Games as a Service), bei Mobilitätsanbietern (MaaS) und in Forschungslaboren (Science as a Service) längst Usus ist, erfasst nun die komplette Wirtschaft. Everything as a Service (XaaS) heißt das Konzept. Das „X“ kann dabei für jeden beliebigen Service stehen.

XaaS ist für viele Anbieter interessant, weil die Kosten so mit den Umsatzzuwächsen in Einklang gebracht werden können. Zudem kommt verstärkt Druck von der Käuferseite. Vor allem für junge Menschen geht der Trend zum digitalen Besitz. Von physischem Privatbesitz wenden sie sich zunehmend ab. Solchen Besitz, etwa den eines Autos, empfinden sie nicht als Privileg, sondern, zumindest in der Stadt, eher als Belastung. Sie betrachten Eigentum auf eine gemeinschaftliche Weise, indem sie es mit anderen teilen.

Teilen, Mieten und XaaS sind Megatrends

Insgesamt bieten die Megatrends Teilen, Mieten und XaaS reichlich Raum für neue Geschäftsmodelle. Zum Beispiel: Wer will schon wirklich einen Wasserzähler besitzen? Wir benötigen die Verbrauchsdaten, nicht das Gerät. Die Lösung: den Zähler mieten und die Messwerte digital übermitteln. So kann das Produkt mehrfach eingesetzt werden und bleibt im Wirtschaftskreislauf. Das spart Ressourcen, erhöht die Margen und ist preiswerter für die Kunden, da sie nur für den Service zahlen müssen.

Überdies sorgen Produkte per se nur sehr temporär für einen Wettbewerbsvorteil. Denn sie sind ruckzuck kopiert. Zudem sind sie leicht vergleichbar. Hierdurch geraten sie sofort in den Preiswettbewerb. Doch im Preiswettbewerb verliert jedes Produkt sein Charisma. Ein gut gemachter, individualisierter, umweltfreundlicher Service hingegen sorgt für Aufpreisbereitschaft, für Loyalisierung, für Differenzierung, für Emotionalisierung – und ganz besonders für das so wichtige Weiterempfehlen.

So denken immer mehr klassische Hersteller inzwischen um, wie etwa auch Kaeser Kompressoren. Dort verkauft man Druckluft as a Service. Die dazugehörige Datenauswertung ermöglicht unter anderem Predictive Maintenance, die vorausschauende Wartung, bevor etwas ausfällt oder kaputtgeht. Digitale Prognosemodelle sorgen für optimale Wartungszeitpunkte und den rechtzeitigen Teileaustausch zwecks Vermeidung von Schäden und Ausfallkosten.

Das neue Buch der Autorin

Zukunft meistern . Das Trend- und Toolbook für Übermorgengestalter, Gabal Verlag 2024, 232 S., 29,90 €

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. 2024 wurde sie als Unternehmerin der Zukunft ausgezeichnet. www.anneschueller.de

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