Die Chinesen haben fünf Jahre lang Schlamm geschickt in ihren Prozessen, ja, und am Ende kamen sie raus und waren Weltmarktführer. Deutschland hingegen hat in der Mitte aufgehört. Ersoffen. Maximilian Fichtner, Batterieforscher, erklärt es mit einem Blick auf die Weltmärkte, auf den technologischen Fortschritt, auf das, was in den vergangenen Jahren passiert ist und was in den nächsten Jahren geschehen wird. Man kann es auf wenige Sätze herunterbrechen. China hat das Experimentieren institutionalisiert, Europa die Risikoanalyse. In China wird in Produktionsprozessen gelernt, in Deutschland in Innovationslabors simuliert. Der entscheidende Unterschied liegt nicht im Know-how, nicht in der Kapitalausstattung, nicht in der Qualität der Köpfe. Der Unterschied liegt im Mut zur Unvollkommenheit.
Professor Lutz Becker sieht das Grundproblem nicht in fehlenden technologischen Kompetenzen, sondern in einer Innovationskultur, die Fortschritt nur zulässt, wenn er von vornherein perfekt ist. Der Gedanke, dass eine Idee reifen muss, dass sie über Umwege und Fehler besser wird, dass die Marktreife nicht auf PowerPoint, sondern im Feld bewiesen wird, widerspricht der deutschen Logik der Absicherung. „Wir haben eine Fehlervermeidungsstrategie perfektioniert, die nur eines sichert: Dass nichts Neues entsteht“, sagt Becker. In diesem Satz liegt das Dilemma der deutschen Innovationspolitik, die keine ist.
Fichtner beschreibt die Entwicklung in der Batterietechnik, die exemplarisch für das strukturelle Problem steht. Die Chinesen haben nicht gezögert. Sie haben entwickelt, produziert, skaliert. Sie haben Fehler gemacht und korrigiert, haben sich nicht von Unzulänglichkeiten bremsen lassen. Sie haben gelernt, indem sie gemacht haben. Die Deutschen hingegen haben optimiert, reguliert, zertifiziert. Sie haben geprüft, ob die Technologie den Standards genügt, haben Fördergelder verteilt und zurückgefordert, wenn nicht alles auf Anhieb funktionierte. Als die Fehlerquote zu hoch war, haben sie das Projekt eingestellt. Heute ist CATL Weltmarktführer und die europäische Industrie kämpft darum, nicht völlig den Anschluss zu verlieren.
Becker sieht das tiefere Problem in der Struktur der Entscheidungsprozesse. „Wir sind in Deutschland großartig darin, Fehler zu vermeiden – aber genau das verhindert Fortschritt.“ Während in China ein Prototyp gebaut wird, geht hier eine Task-Force ins Rennen. Während dort in iterativen Schleifen nachjustiert wird, prüfen hier Kommissionen, ob das Projekt den richtigen Regularien entspricht. In Deutschland gewinnt nicht die beste Idee, sondern die mit den geringsten Risiken.
Fichtner nennt es die deutsche Ungeduld, die mit Innovation nicht vereinbar ist. Man will den schnellen Erfolg oder gar keinen. Man traut sich nicht, etwas Unfertiges auf den Markt zu bringen. Man wartet, bis alles geprüft ist, bis alle Fragen geklärt sind, bis jeder Prozess dokumentiert und zertifiziert ist. Aber in dem Moment, in dem man endlich bereit wäre, hat sich das Zeitfenster geschlossen. Die asiatische Konkurrenz hat das Produkt längst verkauft. Während hier noch eine Risikobewertung läuft, ist dort die zweite Generation in der Massenfertigung.
Es ist keine Frage der Wissenschaft. Fichtner macht deutlich, dass Deutschland nach wie vor herausragende Grundlagenforschung betreibt. Die Erkenntnisse sind da, das Know-how ist vorhanden, die Universitäten sind exzellent. Es fehlt nicht an Patenten, sondern an der Fähigkeit, sie zur Marktreife zu bringen. Man könnte Batterien in Deutschland bauen, so wie man Solarzellen hätte bauen können. Man könnte technologische Führungsrollen übernehmen, wenn man es nur wollte. Aber das System ist nicht auf Wollen ausgelegt, sondern auf Abwarten.
Becker erkennt den Kern des Problems im Sicherheitsdenken, das sich in allen Bereichen durchgesetzt hat. Unternehmen sollen effizient sein, aber bitte ohne Risiko. Start-ups sollen innovativ sein, aber bitte mit abgesicherten Geschäftsmodellen. Technologien sollen entwickelt werden, aber bitte erst nach einem positiven Wirtschaftsprüfungsgutachten. China hingegen denkt in Produktzyklen, nicht in Compliance-Richtlinien. Während dort in der Realität getestet wird, bleibt man hier in der Theorie stecken.
Fichtner sagt, dass es nicht an der Finanzierung liegt. Geld ist genug da. Aber es wird nicht dort investiert, wo es gebraucht wird, sondern dort, wo es am wenigsten wehtut. Fördermittel werden verteilt, doch nicht für radikale Innovationen, sondern für kontrollierbare Fortschritte. Projekte werden angeschoben, aber nur unter der Bedingung, dass sie scheitern dürfen, ohne Schaden anzurichten. Der Schaden entsteht woanders: in der Unbeweglichkeit der Strukturen, in der Angst vor Veränderung, in der Sorge, dass etwas schiefgehen könnte.
Die entscheidende Frage lautet nicht mehr, wie Deutschland den Vorsprung Chinas aufholen kann. Die Frage ist, ob es das überhaupt noch will. Fichtner hat darauf keine Antwort. Becker auch nicht. Aber eigentlich ist die Antwort längst gefallen. Sie steht in den Produktionszahlen chinesischer Unternehmen. Sie steht in den Investitionssummen der asiatischen Industriepolitik. Sie steht in den Marktanteilen, die sich jedes Jahr weiter verschieben. Es ist keine Frage mehr, ob China aufholt. China ist längst vorne. Europa wartet. Deutschland wartet. Und irgendwann wird es niemanden mehr geben, der noch fragt, warum.
1 Kommentar
Kurze kritische Anmerkung. Einerseits ist es immer schwieriger geworden, fremd zu finanzieren (Bankkredite), folglich ist man eher genötigt, sich Eigenkapital vom „grauen Finanzmarkt“ (Beteiligungsgesellschaften) zu holen. Hinzu kommen Übernahmen, deren Erfolg darauf basiert, dass die kurzfristig realisierbaren „inneren Werte“ höher sind, als der Kaufpreis. Der wiederum wird gerne mit Krediten vom Übernahmekandidaten finanziert (die damit die Unternehmen belasten). Das geht oft einher mit einer Ergebnisorientierten Steuerung, die dann alle Geschäftsprozesse an einem (a) schnellen ROI und (b) hohem EBIT ausrichtet. Extraaktives Vorgehen führt auch dazu, dass weder Zeit noch Geld für Innovationen übrig bleibt. An allem, was den angestrebten EBIT (in der Regel gut zweistellig) oder einen kurzfristigen ROIC gefährdet, wird folglich der Rotstift angesetzt. Zudem ist erfahrenes Personal bekanntlich teuer, so dass man da auch gerne mit Minimalbesetzung und auf Verschleiß fährt. Das ist alles legal und sicher legitim sowie (graduell) sinnvoll. Aber es gibt auch keine belastbaren Regeln, die die Unternehmen vor extraaktiven Maßnahmen und damit deren nachhaltigen Bestand wirklich schützen.