Der simulierte Wettbewerb – Wie die KI-Agenda der USA den Markt zerstört

von Gunnar Sohn
13. Februar 2025

Paris, großes Gipfeltreffen, erwartungsvolle Gesichter. Dann die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten. Optimismus statt Angst, sagte er. KI sei eine Chance, kein Risiko. Deregulierung sei der Schlüssel zu Wachstum. Eine Hymne auf die Macht der Märkte, die Fantasie des amerikanischen Unternehmertums, das sich ohne staatliche Eingriffe entfalten solle.

Und doch war es ein Bluff.

Denn wer genau hinhörte, verstand: Es ging nicht um einen offenen, wettbewerbsgesteuerten Markt. Es ging um Kontrolle. Nicht um Innovation durch Konkurrenz, sondern um eine neue Struktur, in der sich Macht und Kapital noch weiter verfestigen. Eine Ordnung, in der KI nicht für alle zugänglich ist, sondern von wenigen geopolitisch nutzbar gemacht wird.

Die neue Form des Protektionismus: „Wettbewerb“, aber nur für die Richtigen

Vance sprach in Paris viel über Wettbewerb. Doch er meinte damit nicht das Prinzip eines freien Marktes. Er meinte nicht den dynamischen Austausch, bei dem neue Akteure mit besseren Ideen die etablierten verdrängen. Er meinte eine geordnete Form von Marktmacht, eine Konzentration von Ressourcen in den Händen weniger – der Richtigen.

Er sagte, amerikanische KI müsse weiterhin der globale Standard bleiben und die USA seien der bevorzugte Partner für alle, die ihre KI-Infrastrukturen ausbauen wollten. Übermäßige Regulierung, so argumentierte er, könne eine transformative Branche im Keim ersticken. Deshalb müsse ein „pro-Wachstums“-Ansatz verfolgt werden, und er freue sich, dass dieser „deregulatorische Geist“ in viele Diskussionen des Gipfels Eingang gefunden habe.

Das klang nach Markt. In Wahrheit war es das Gegenteil. Ein Markt kann nur funktionieren, wenn es Wettbewerb gibt – und genau den will die US-Regierung unterbinden.

Big Tech als verlängerter Arm der Politik

Schon lange sind die großen amerikanischen Technologieunternehmen keine neutralen Akteure mehr. Sie sind Teil der geopolitischen Architektur der USA. Wer KI dominieren will, muss nicht innovativer sein – er muss Washingtons Spiel mitspielen.

Vance machte das in Paris unmissverständlich klar. Amerika wolle mit allen zusammenarbeiten, sagte er, aber dafür brauche es internationale Regulierungen, die nicht strangulieren, sondern Innovation ermöglichen. Eine klare Warnung an Europa: Zu strenge Vorgaben für US-Tech-Unternehmen würden nicht akzeptiert.

Es war die Ankündigung einer wirtschaftspolitischen Linie, die nur eine Richtung kennt: Druck auf ausländische Märkte, Freiheit für die eigenen Konzerne.

Vance erwähnte die 700 Milliarden Dollar, die bis 2028 in KI investiert würden, die Hälfte davon in den USA. Das sei kein Zufall, sagte er, sondern das Resultat einer klugen, unternehmerfreundlichen Politik.

Doch das Argument war hohl. Amerikanische Unternehmen haben ihren Vorsprung nicht wegen eines offenen Marktes, sondern weil sie in einem geschützten System operieren. Nationale Sicherheitsinteressen rechtfertigen Zugangsbeschränkungen, Chip-Embargos und Infrastrukturkontrolle. Gleichzeitig sollen andere Länder ihre Märkte öffnen – ohne dieselben Schutzmechanismen.

Die wahre Gefahr: Monopolisierung statt Innovation

Vance skizzierte in Paris eine Welt, in der der freie Markt weiterlebt. Doch dieser Markt existiert nicht mehr.

Er ist längst ersetzt worden durch ein Netz aus privaten Unternehmen, die sich in politische und wirtschaftliche Interessen integrieren. Es gibt keine „Garage-Start-ups“ mehr, die gegen die Tech-Giganten bestehen könnten. Wer heute eine neue KI-Idee hat, wird entweder von einem Monopolisten gekauft oder aus dem Markt gedrängt.

Vance sprach von einem „Level Playing Field“, das alle Entwickler gleichbehandle. Doch in Wirklichkeit gibt es eine unsichtbare Grenze: Wer sich in das politische Gefüge einfügt, erhält Zugang zu Kapital und Infrastruktur. Wer eigene Wege gehen will, bleibt draußen.

Europa steht vor einer Entscheidung

Die amerikanische Strategie ist offensichtlich: Regulierung für den Rest der Welt, Deregulierung für die eigenen Unternehmen. Europa hat jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder es akzeptiert die Spielregeln der USA und gibt seine eigene digitale Souveränität auf.Oder es baut eine alternative Struktur auf, ein Modell, das sich nicht auf Big-Tech-Abhängigkeit verlässt, sondern eigene KI-Kapazitäten entwickelt – von der Chipproduktion bis zur Cloud-Infrastruktur.

Vance will, dass Europa den neuen amerikanischen Protektionismus hinnimmt, ohne ihn Protektionismus zu nennen. Die Frage ist: Wird Europa wieder einmal höflich nicken – oder endlich eigene Regeln schreiben?

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1 Kommentar

FHW 13. Februar 2025 - 12:13

Scheint so dass Macht und Kontrolle über Ressourcen und Menschen im politischen und im Wirtschaftssystem das Ziel sind. Ganz öffentlich und ohne Scham. Hatten wir schon mal, damals hat Athen die Melier überfallen, die Männer getötet und Frauen sowie Kinder in die Sklaverei verkauft. Ist das der Deal für den Fortbestand des neuen attischen Seebundes, der Nato, den der neue Hegemon für den Fortbestand des Schutzes der Vasallenstaaten vor anderen, den Spartanern (Russen) und Chinesen (Persern) fordert? Diese Sichtweise heißt in der Politikwissenschaft mit Bezug auf Thukydides: Realismus und ist wohl näher and der Wirklichkeit ….

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