Die vergangenen Tage standen im Zeichen großer geopolitischer und wirtschaftlicher Weichenstellungen. In Paris trafen sich führende Köpfe der Technologiewelt zum KI-Gipfel, während auf der Sicherheitskonferenz in München die globalen Konfliktlinien verhandelt wurden. Und Deutschland? Die politische Debatte bleibt erstaunlich rückwärtsgewandt. Während andere Nationen strategisch ihre wirtschaftlichen Zukunftssektoren ausbauen, dominiert hierzulande der innenpolitische Diskurs um Migration. Dabei bräuchte das Land dringend eine Wachstumswende. Anstatt sich in der Diskussion um Verteidigungsbudgets zu verlieren, sollten gezielte Anreize geschaffen werden, um private Investitionen in dynamische Zukunftsfelder zu lenken.
Deutschland steht wirtschaftlich an einem Scheideweg. Einerseits hat es in den vergangenen zwanzig Jahren bei der Produktivität nicht mit den USA Schritt halten können. Andererseits stecken viele Unternehmen in einer technologischen Mid-Tech-Falle fest. Wie das Ifo-Institut in einer aktuellen Analyse herausstellt, konzentrieren sich Investitionen in die europäische Forschung zu stark auf traditionelle Industrien wie den Automobilsektor, während Hightech-Branchen immer weiter ins Hintertreffen geraten (siehe: Bocconi-Bericht zur EU-Innovationspolitik). Ifo-Präsident Clemens Fuest bringt es auf den Punkt: „Die Investitionen in die EU-Forschung konzentrieren sich auf die Automobilindustrie und ähnliche Sektoren, während Europa in wachsenden Hightech-Branchen wie der digitalen Wirtschaft immer weiter abgehängt wird.“
Doch es gibt keinen Grund für Fatalismus. Deutschland besitzt das Potenzial, seine Wirtschaftsleistung in den kommenden Jahren erheblich zu steigern. Eine aktuelle McKinsey-Studie prognostiziert, dass das Land seine Wirtschaftsleistung bis 2035 verdoppeln könnte – von derzeit 12 Billionen auf 24 Billionen Euro (McKinsey-Studie zur Wachstumswende). Voraussetzung dafür ist jedoch eine strategische Neuordnung des wirtschaftlichen Portfolios. Entscheidend sind zwei Faktoren: Die globale Wachstumsdynamik muss in den Fokus rücken, und es gilt, Stärken mit der heimischen Nachfrage in Einklang zu bringen.
Eines der vielversprechendsten Wachstumsfelder ist der Bereich Deep Tech, der unter anderem Künstliche Intelligenz, Nanotechnologie und Robotik umfasst. Daneben bieten auch die Gesundheitswirtschaft, insbesondere KI-gestützte Diagnostik und Biotechnologie, sowie Feststoffbatterietechnologie und Hochleistungslegierungen enorme Potenziale. All diese Bereiche sind mit den industriellen Gegebenheiten Deutschlands kompatibel und könnten das Fundament für eine zukunftsfähige Wissensökonomie legen.
Die Frage ist jedoch: Kann Deutschland zur Topnation der Wissenswirtschaft aufsteigen? Theoretisch ja. Das Land verfügt über eine ausgeprägte industrielle Basis, einen hochentwickelten Mittelstand und weltweit führende Hidden Champions. Diese Unternehmen haben sich durch Spezialisierung und Nischenkompetenz global etabliert und bieten nicht nur Produkte, sondern zunehmend komplexe digitale Dienstleistungen. Predictive Maintenance im Maschinenbau, smarte Wassermanagementsysteme und industrielle Automatisierungslösungen sind nur einige Beispiele für datengetriebene Innovationen. Deutschland ist zudem einer der weltweit führenden Anbieter von Industrie-4.0-Technologien, was direkte Anknüpfungspunkte für eine datengetriebene Plattformökonomie bietet.
Doch diese Stärken allein reichen nicht aus. Eine grundlegende Transformation scheitert derzeit an vier zentralen Herausforderungen. Erstens leidet Deutschland unter einer kulturellen Trägheit, die den Übergang von einer produktzentrierten zu einer serviceorientierten Wirtschaft erschwert. Zweitens klafft eine Digitalisierungslücke: Obwohl das Land in der Industrie 4.0 führend ist, hinkt es in der Digitalisierung von Dienstleistungen und Plattformökonomien hinterher. Drittens verstärkt der anhaltende Fachkräftemangel den Transformationsstau. Die Umstellung auf eine Wissensökonomie erfordert hochqualifizierte Arbeitskräfte mit digitalen, analytischen und sozialen Kompetenzen, die derzeit nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Viertens fehlt eine klare politische Strategie. Regulierungen und Förderprogramme hinken der technologischen Entwicklung hinterher, sei es in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Datenmanagement oder Plattformregulierung.
Um nicht weiter zurückzufallen, muss Deutschland gezielt in seine digitale Infrastruktur investieren. Glasfaser- und 5G-Ausbau sind essenziell, um datenintensive Dienstleistungen zu ermöglichen. Gleichzeitig sind Anreize für den Aufbau digitaler Ökosysteme notwendig, die Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Start-ups enger vernetzen. Bildungsinitiativen sollten sich auf Datenkompetenz und Künstliche Intelligenz konzentrieren, um künftige Generationen für eine wissensbasierte Wirtschaft vorzubereiten. Auch steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung sind notwendig, um datengetriebene Geschäftsmodelle gezielt zu fördern. Schließlich bietet Nachhaltigkeit eine große Chance: Eine wissensbasierte Wirtschaft, die Ressourcen durch intelligente Steuerung effizient nutzt, kann zum Wettbewerbsvorteil werden.
Die kommende Dekade wird darüber entscheiden, ob Deutschland seine industrielle Vergangenheit mit der digitalen Zukunft verbinden kann. Der Wettbewerb wird nicht mehr allein in Fabrikhallen entschieden, sondern in der Fähigkeit, Wissen als primäre Ressource nutzbar zu machen. Die Relationale Ökonomie – die Verbindung von Technologie, Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit – bietet die Möglichkeit, Deutschland als führende Nation einer neuen Wachstumsära zu positionieren. Doch dafür müssen Politik und Wirtschaft den Mut zur Transformation aufbringen. Denn wer zu lange zögert, findet sich am Ende nur noch am Katzentisch der Geschichte wieder.