Preis ohne Besitz – Wie neue Preismodelle den Markt neu ordnen

von Gunnar Sohn
25. Februar 2025

Preisgestaltung war einst eine nüchterne Angelegenheit. Ein Produkt hatte seinen Preis, der Käufer zahlte oder ließ es bleiben. Doch im Zeitalter vernetzter Dienste, digitaler Plattformen und datengetriebener Geschäftsmodelle ist der Preis längst mehr als eine Zahl auf dem Etikett. Er ist ein strategisches Instrument, eine variable Größe, die in Echtzeit angepasst wird, ein Hebel für Kundenbindung und Markterweiterung. Wer verstehen will, wohin die Reise geht, kommt an Preismanagement, dem Standardwerk von Hermann Simon, Martin Fassnacht und Anna-Karina Schmitz, nicht vorbei. Die nun erschienene fünfte, vollständig überarbeitete Auflage zieht nicht nur eine präzise Bilanz über die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, sondern wagt auch einen analytischen Blick nach vorn.

Das Buch behandelt ein breites Spektrum an Preismodellen – von bewährten Strategien bis hin zu den disruptiven Mechanismen der digitalen Wirtschaft. Besonders spannend wird es dort, wo die Autoren sich jenen Modellen widmen, die den Besitz von Produkten in den Hintergrund rücken und stattdessen die Nutzung als Dreh- und Angelpunkt der Preisgestaltung setzen.

Da ist zum Beispiel das Pay-per-Use-Modell, das sich längst von seinen Ursprüngen in der Software- und Cloud-Wirtschaft gelöst hat. Ob Maschinenbauer oder Mobilitätsanbieter, wer nur für tatsächliche Nutzung abrechnen lässt, senkt die Eintrittshürde für Kunden und schafft langfristige Bindung. Die Autoren konstatieren: „Notwendig sind Technologien wie Scanner oder Messgeräte, die eine kostengünstige Ablesung der Leistung und damit neue Preismetriken ermöglichen.“ In der Tat haben Sensoren, smarte Konnektivität und IoT-Technologien diesem Modell den Weg geebnet – die Waschmaschine, die nur nach verbrauchtem Wasser und Energie abrechnet, könnte bald so selbstverständlich sein wie das minutengenaue Abrechnen eines E-Scooters.

Ein anderes Modell mit hoher Marktdynamik sind die zweiseitigen Preissysteme, bei denen die Zahlung nicht allein vom Endkunden kommt, sondern von mehreren Seiten. Wer eine kostenlose App nutzt und sich über Werbeanzeigen finanziert, erlebt dieses Prinzip tagtäglich. Doch die Autoren weisen darauf hin, dass diese Modelle weit über das Digitale hinausreichen. Einkaufsplattformen, Marktplätze und smarte Service-Ökosysteme setzen zunehmend auf diese Mechanik. „Zweiseitige Preissysteme erhöhen nicht nur die Umsätze, sondern erweitern auch die Spielräume bei den Preisparametern“, schreiben Simon, Fassnacht und Schmitz.

Ein besonders faszinierendes Kapitel widmet sich den negativen Preisen, einer bizarren, aber realen Entwicklung der letzten Jahre. Die Idee: Man zahlt nicht, um etwas zu bekommen, sondern erhält Geld dafür, ein Gut oder eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. In der Energiewirtschaft etwa ist es längst Alltag, dass Stromanbieter Kunden Geld zahlen, wenn sie in Zeiten von Überproduktion Strom abnehmen. Ähnliche Effekte zeigen sich in der Finanzwirtschaft, wo Negativzinsen den Kapitalmarkt verzerren. Die Autoren stellen die provokante Frage: „Theoretisch kann der optimale Preis im Bereich negativer Preise liegen.“ Ist das noch Preispolitik oder schon ein bizarrer Nebeneffekt einer datengetriebenen Welt?

Ein anderes Konzept mit tiefgreifenden Auswirkungen ist die Nutzung von Grenzkosten von Null. Plattformunternehmen wie Netflix oder Spotify nutzen dieses Prinzip perfekt aus: Die einmalige Produktion eines digitalen Gutes verursacht hohe Initialkosten, doch jede weitere Nutzung kostet praktisch nichts. Die langfristige Preisuntergrenze liege dennoch bei den Vollkosten, mahnen die Autoren. Wer sich von der Illusion unendlicher Skalierung ohne wirtschaftliche Basis verführen lässt, riskiert, dass das Modell in sich zusammenfällt.

Nicht zuletzt analysieren Simon, Fassnacht und Schmitz die Rolle der Sharing Economy und anderer innovationsgetriebener Modelle. „Der Einsatz ungenutzter Kapazitäten im Rahmen der Sharing-Economy ist eine wichtige Triebkraft dieser Entwicklung“, heißt es im Buch. Ob Mietmodelle für High-End-Kleidung, Carsharing oder flexible Büroflächen – der Markt verlagert sich zusehends von Eigentum zu temporärem Zugang. Dabei sind die Herausforderungen nicht zu unterschätzen: Wer keinen langfristigen Besitzanspruch schafft, muss umso stärker in Markenbindung, Vertrauen und Servicequalität investieren.

Preismanagement bleibt mit seiner fünften Auflage das Referenzwerk für alle, die sich mit strategischer Preisgestaltung befassen. Die Autoren fügen nicht nur neue Kapitel hinzu, sondern schärfen die theoretische Fundierung und reichern sie mit hochaktuellen Fallstudien an. Die Lektüre lohnt sich für Unternehmer, Manager und Wirtschaftswissenschaftler gleichermaßen – für alle, die verstehen wollen, warum der Preis längst nicht mehr das ist, was er einmal war.

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Smarte Druckluft mit einem Pay-per-Use-Modell ist ein Service von Mader. Dazu gehören neben dem eigentlichen Druckluftsystem, das Mader ohne Investitionskosten beim Kunden installiert, eine Reihe von Zusatzleistungen. So bietet das System eine nachhaltige Wärmerückgewinnung, mit der sich die Energiekosten deutlich senken lassen. Eine Predictive Maintenance-Lösung nutzt Industrial IoT, um Störungen frühzeitig zu erkennen und eine bedarfsgerechte Wartung zu ermöglichen.

Mosca entwickelt neuartige Geschäftsmodelle für seine Branche als digitale Vision. Dazu gehören „Strapping as a Service” als Pay-per-Use-Modell, also ein Abrechnungsmodell, bei dem die nutzenden Unternehmen ausschließlich für die erbrachte Leistung der Maschine bezahlen. Eine andere Vision ist ein Coil-Management-System, das automatisch nachbestellt, wenn das Umreifungsmaterial im Lager zur Neige geht.

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