Deutschland, dein Innovations-Tempomat ist kaputt: Kommentar zum Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation @EFI_Kommission @CybAgBund @SPRIND @_FriedrichMerz

von Gunnar Sohn
26. Februar 2025

Deutschland taumelt durch die Innovationslandschaft wie ein Marathonläufer mit Schnürsenkeln, die aneinandergeknotet sind. Das EFI-Gutachten 2025 macht unmissverständlich klar: Wir haben keine Zeit mehr für Zaudern, Verzögern und Verwalten.

„Die wirtschaftliche Lage ist besorgniserregend“, stellte EFI-Vorsitzender Uwe Cantner gleich zu Beginn der Pressekonferenz fest. Wichtige Indikatoren? Zeigen nach unten. Wachstumsdynamik? Hinter den globalen Wettbewerbern. Innovationsbereitschaft? Zu zaghaft, zu zersplittert, zu bürokratisch. Deutschland kann inkrementelle Verbesserungen, aber die Zeiten fordern radikale Transformation. Digitalisierung und Dekarbonisierung treiben den Wandel – doch Deutschland bleibt in der Komfortzone.

Die Vorschläge der EFI: Ein Ministerium für Forschung, Innovation und Technologie, eine echte Digitalpolitik, Industriepolitik mit Fokus auf Deep Tech, eine neue Strategie für Dual Use. Das Problem? Die Umsetzung. Oder besser gesagt: Die Abwesenheit derselben.

Industriepolitik: Maßhalten statt Mitreißenlassen

Christoph M. Schmidt bringt es auf den Punkt: „Die Politik sollte sich nicht in Subventionswettläufe hineinziehen lassen.“ Klingt klug. Doch während Deutschland noch überlegt, werfen die USA Milliarden auf den Tisch, China denkt in Dekaden und Europa? Verliert sich in Verfahren.

Schmidt warnt: Industriepolitik ist voller Risiken. Was, wenn Förderungen nur bestehende Strukturen zementieren? Wenn statt echter Innovation politische Lieblingsprojekte gefüttert werden? „Gute Industriepolitik muss unternehmerisches Handeln fördern, nicht verhindern“, ergänzt Cantner. „Wir brauchen Anreize für die nächste Generation von Unternehmen, nicht Dauersubventionen für die alte.“

Tatsächlich ist der Fokus auf Start-ups und junge Technologieunternehmen in Deutschland immer noch ein Randthema. Frankreich forciert massiv die Deep-Tech-Förderung. Die Schweiz hat milliardenschwere Fonds. Deutschland? Hat eine Task Force. EFI-Mitglied Carolin Häußler verweist auf die zentrale Rolle von Quantentechnologien. „Deutschland hat eine hervorragende Ausgangsposition – aber die Skalierung ist das Problem.“

Quantencomputer, Quantenverschlüsselung, Quantensensorik: Wenn Deutschland hier nicht konsequent in Wachstum investiert, werden wir bald nur noch Zuschauer sein. Häußler fordert gezieltes Risikokapital, steuerliche Anreize und vor allem einen strategischen Schulterschluss zwischen Forschung und Industrie. „Zu oft sehen wir bahnbrechende Entwicklungen, die dann anderswo zur Marktreife geführt werden.“

Der Vorschlag der EFI: Investitionsfonds, steuerliche Anreize, Ankerkundenverträge. Oder anders gesagt: Deutschland muss endlich verstehen, dass Innovationsmärkte gemacht werden – oder gar nicht entstehen.

Cyberagentur, SPRIND und Dual Use: Künstliche Abgrenzung aufheben!

Und dann das Thema, das in Deutschland nach wie vor politisch heikel ist: Dual Use. „Wir müssen das strategischer denken“, sagt Cantner. Der Vorschlag: Erst einmal eine Bestandsaufnahme machen. Was ist eigentlich militärische Forschung? Wo gibt es bereits Synergien mit ziviler Forschung?

„Die künstliche Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung hilft uns nicht weiter. Wir brauchen eine klare Strategie, wie wir Innovationen für beide Bereiche nutzbar machen.“

Ein Blick auf andere Länder zeigt, wie es gehen kann: Die DARPA in den USA entwickelt militärische Schlüsseltechnologien, die später in zivile Anwendungen übergehen. Israel nutzt seine Cybersicherheitsforschung für zivile und militärische Zwecke zugleich.

Und Deutschland? Hat eine Cyberagentur, die kaum jemand kennt, und eine Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND), die zwar großartige Ideen hat, aber mit angezogener Handbremse agiert.

Dabei ist SPRIND genau der richtige Ansatz: Mutige Wetten auf die Zukunft, nicht nur das Verwalten von Innovationsbudgets. Cantner betont: „Ob bei Cybersecurity, KI oder Quanten – wir brauchen radikale Innovationen, keine Kompromisse.“

Desaster des digitalen Staates: Ein Drama in 10.000 PDF-Formularen

Und dann die bittere Realität: Deutschlands Verwaltung ist ein Innovationshemmer. „Vom Deutschland-Tempo in der Forschungs- und Innovationspolitik sind wir weit entfernt“, resümierte Cantner. Statt agiler, digitaler Prozesse: Bürokratie, die Innovation erstickt.

Die öffentliche Verwaltung? Hält nicht Schritt. Die Digitalisierung? Bleibt stecken zwischen Datenschutz-Debatten und Zuständigkeitswirrwarr.

Während Estland seit Jahren eine digitale Verwaltung hat, während Singapur KI-gestützte Behördenprozesse einführt, während Dänemark sämtliche Verwaltungsakte online abwickelt – kämpfen deutsche Unternehmen weiter mit Behördengängen, Stempeln und Aktenbergen.

Cantner fordert eine radikale Wende: „Deutschland braucht eine digitale Verwaltung, die mit Wissenschaft und Wirtschaft kompatibel ist. Fachkräfteanwerbung, Förderanträge, Unternehmensgründungen – das muss endlich digital funktionieren.“

Doch statt Digitalisierung gibt es: Prozessoptimierung. Statt Online-Lösungen gibt es: Noch mehr Papier.

Was jetzt passieren muss

Die EFI ist sich einig: Ohne eine konsequente Neuausrichtung bleibt Deutschland im Mittelmaß stecken.

  1. Neustrukturierung der Ministerien: Forschung, Innovation und Technologie gehören in eine Hand.
  2. Industriepolitik mit echtem Fokus: Keine Dauersubventionen, sondern gezielte Marktöffnungen.
  3. Deep-Tech-Offensive: Milliarden in Quantencomputing, KI, Halbleiter – mit klarer Strategie.
  4. SPRIND und Cyberagentur stärken: Synergien nutzen, institutionelle Trennung abbauen.
  5. Digitale Verwaltung endlich umsetzen: Schluss mit PDF-Wahnsinn und endlosen Formularen.

Tempo, Deutschland – oder wir verlieren den Anschluss

Deutschland hat alles, was es braucht, um an der Spitze mitzuspielen. Exzellente Forschung, kluge Köpfe, eine starke Industrie.

Aber mit Kommissionen, Berichten und langsamen Prozessen wird kein Zukunftsmarkt gewonnen.

Cantner hat es am Ende der Pressekonferenz auf den Punkt gebracht: „Wenn Deutschland global relevant bleiben will, müssen wir jetzt handeln.“ Kein weiteres Zaudern. Kein weiteres Verwalten.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Schreiben Sie einen Kommentar

Ähnliche Beiträge

Studienband Twin Transformation
Zukunftsfähigkeit
mit Nachhaltigkeit
und Digitalisierung

 

24 Fallstudien zeigen den Weg!