Deutschland, das Land der Gründlichkeit. Nirgendwo sonst wird mit solcher Inbrunst darüber gestritten, ob der Aludeckel vom Joghurtbecher zu trennen sei. Der triumphale Glaube an die eigene Recycling-Kompetenz ist unerschütterlich. Die Realität? Ernüchternd. Gerade einmal 13 Prozent unseres Materialverbrauchs fügen sich in einen echten Kreislauf. Der Rest: eine lineare Sackgasse.
„Wir haben uns jahrzehntelang um Müllentsorgung gekümmert, nicht aber um den Materialkreislauf selbst“, bemerkt Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes. Wir trennen, wir sortieren, wir verbieten Deponien – doch das eigentliche Problem bleibt unangetastet. Die Materialströme versiegen nicht, sondern schwillen weiter an.
Die dicksten Brocken liegen ohnehin woanders. Nicht Plastikstrohhalme oder Tüten sind die großen Schuldigen, sondern Beton, Stahl und Asphalt. Der Bau- und Infrastruktursektor verschlingt die Hälfte aller Ressourcen in Deutschland und produziert ebenso viel Abfall. Die Wiederverwertung? Kaum messbar. Von einem alten Gebäude bleibt bestenfalls Schutt, kaum nutzbares Material.
Und selbst wenn das gesamte Plastik perfekt recycelt würde – die Zirkularitätsrate würde nur von 13 auf 14 Prozent steigen. Da geht mehr.
Ein System, das Verschleiß feiert Das eigentliche Problem ist nicht technischer, sondern struktureller Natur. Eine Wirtschaft, die nur dann floriert, wenn sie neue Produkte verkauft, hat kein Interesse an Langlebigkeit. Wozu langlebige, reparierbare und rückholbare Produkte, wenn Umsatzsteigerung bedeutet, immer neue Waren in den Markt zu pressen?
Doch es gibt Alternativen. Sie heißen Service-Modelle, Kreislaufdesign und Produktverantwortung. Nicht mehr Lampen verkaufen, sondern Licht liefern. Nicht mehr Autos absetzen, sondern Mobilität bereitstellen. Unternehmen wie Philips oder Trumpf haben das Prinzip verstanden. Wer an der Effizienz einer Dienstleistung verdient, der hat ein eigenes Interesse daran, dass Produkte haltbar und ressourcenschonend sind. Ein simples Prinzip mit revolutionären Folgen.
Trägheit als größter Gegner Doch die Widerstände sind massiv. Industrieverbände, die mit aller Kraft am Status quo festhalten. Politische Subventionen, die weiterhin umweltschädliches Verhalten belohnen. „Jährlich 65 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen – und dann diskutieren wir über die Kosten der Nachhaltigkeit?“ fragt Messner.
Am Tag nach der Bundestagswahl richtet die Wirtschaft klare Forderungen an die Parteien, die unter Führung der CDU/CSU nun die Rahmenbedingungen für eine starke Wirtschaft verbessern sollen. Der Bundesverband der Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) dringt darauf, bereits in den ersten 100 Tagen nach der Wahl mutig Weichen zu stellen, um den Hochlauf der Kreislaufwirtschaft für mehr Resilienz, Rohstoffsicherheit und den Einsatz moderner Recyclingtechnologien anzupacken.
„Unsere Wirtschaft steht vor riesigen Herausforderungen – aber auch vor enormen Chancen“, erklärt Anja Siegesmund, geschäftsführende Präsidentin des BDE. „Die neue Bundesregierung muss in den ersten 100 Tagen entschlossene Maßnahmen ergreifen, um Investitions- und Planungssicherheit, Digitalisierung und Bürokratieabbau in den Mittelpunkt zu stellen. Nur so kann unsere Branche den dringend benötigten Schub erhalten, um modernste Recyclingtechnologien und eine innovative Kreislaufwirtschaft flächendeckend zu etablieren.“
Die Kreislaufwirtschaftspolitik muss klar verankert werden, fordert der BDE. „Unsere Forderungen für die ersten 100 Tage ergänzen wir aber auch um grundlegende Erwartungen, was bis zum Ende des Jahres 2025 und in der ganzen Legislatur passieren muss. Dazu gehört, dass der Rohstofffonds im Bundeshaushalt untersetzt, die Neuordnung der Ressortzuschnitte bis Ende 2025 umgesetzt und eine Plattform zur Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie eingerichtet wird.“
Die Technik? Vorhanden. Die Lösungen? Bekannt. Was fehlt? Politischer Wille. Und die Bereitschaft, die Spielregeln der Wirtschaft grundlegend zu ändern.
Es gibt zwei Wege: Entweder gestalten wir den Wandel aktiv – oder wir warten, bis uns die nächste Krise dazu zwingt. In beiden Fällen wird sich das System verändern. Die Frage ist nur, wie schmerzhaft dieser Prozess wird.
Siehe dazu auch den Beitrag von Anne M. Schüller auf Smarter-Service.com: XaaS: Abfall war gestern, Müllberge adé.