Die deutsche Wirtschaftspolitik gleicht einem grandiosen Irrtum: Sie klammert sich an einen Industriebegriff, der längst museal ist. Während die Welt sich in Echtzeit vernetzt, Märkte sich autonom organisieren und Unternehmen zu Plattformen werden, beschwören politische Führungskräfte die Re-Industrialisierung, als könne man eine alte Lokomotive mit frischem Kohlenstaub zu neuer Geschwindigkeit antreiben. Die CDU/CSU stellt sich mit ihrem wirtschaftspolitischen Programm für die 21. Legislaturperiode an die Spitze dieser Bewegung – ein Schutzwall gegen die digitale Zukunft, errichtet aus den Trümmern der Vergangenheit.
Re-Industrialisierung: Die romantische Illusion der Maschinenwelt
Die Union setzt auf Steuererleichterungen, Bürokratieabbau und den Schutz der industriellen Basis. Ihr Credo: Deutschland muss wieder zum Standort der Produktion werden, mit günstigeren Energiepreisen, besseren Rahmenbedingungen für traditionelle Industrien und einer gezielten Förderung von Rohstoff- und Halbleiterproduktion. Doch diese Vorstellungen haben etwas Gestriges, einen Hauch von wirtschaftspolitischer Nostalgie.
Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Während der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt seit den 1960er Jahren kontinuierlich sinkt, wächst die Bedeutung der digitalen Ökonomie exponentiell. Über 75 Prozent der Wertschöpfung entstehen heute im Dienstleistungssektor, in datenbasierten Geschäftsmodellen, in der Plattformökonomie. Doch die CDU/CSU plant, das Vergaberecht so zu reformieren, dass es mittelständischen Industrieunternehmen erleichtert wird, an Aufträge zu kommen – eine Maßnahme, die symptomatisch für das Denken in alten Strukturen ist.
Plattformen statt Produktionshallen
In der globalisierten Wirtschaft von heute gewinnt nicht derjenige, der Waren am günstigsten herstellt, sondern derjenige, der Märkte orchestriert. Der Erfolg von Apple, Amazon oder Tesla basiert nicht auf dem Besitz von Fabriken, sondern auf der Fähigkeit, Daten und Netzwerke zu kontrollieren. Deutschlands Maschinenbauer sind nach wie vor Weltmarktführer – doch ihr größtes Problem ist, dass sie häufig nur Maschinen verkaufen und nicht die darauf laufenden Geschäftsmodelle.
Ein Blick auf das wirtschaftspolitische Programm der Union zeigt: Plattform-Ökonomie wird kaum als zukunftsweisendes Modell anerkannt. Stattdessen dominieren Begriffe wie „Erhalt der industriellen Basis“, „Sicherung der Rohstoffversorgung“ und „Investitionsanreize für klassische Produktionsprozesse“. Es fehlt eine Vision für ein Deutschland, das nicht nur in der Hardwareproduktion, sondern in der Software-Wertschöpfung führend ist.
Effizienzfalle statt Innovationsmotor
Die Union spricht von Bürokratieabbau und Steuererleichterungen für Unternehmen, um sie wettbewerbsfähiger zu machen. Doch der wahre Engpass liegt nicht in administrativen Hürden, sondern in der Innovationskraft. Effizienzsteigerung ist der Fetisch der deutschen Wirtschaft: Kosten senken, Prozesse optimieren, Verschwendung eliminieren. Doch während Deutschland an der Perfektionierung des Alten arbeitet, erschaffen andere das Neue.
Ein gutes Beispiel ist der Umgang mit Künstlicher Intelligenz: Während die CDU/CSU eine innovationsfreundliche Umsetzung des EU AI Acts fordert, bleibt ihre Strategie vage. Es fehlt eine konsequente Förderung von KI-Startups, eine strategische Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft oder eine Initiative zur Schaffung europäischer Datenplattformen, die mit den USA oder China konkurrieren könnten. Stattdessen wird auf Steuererleichterungen für klassische Mittelständler gesetzt – als könne man den Wandel zur digitalen Ökonomie mit Werkzeugen aus dem 20. Jahrhundert gestalten.
Die Zukunft gehört den Netzwerken
Die CDU/CSU versucht, ein wirtschaftspolitisches Konzept zu verteidigen, das die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Eine Steuerentlastung für Unternehmen mag kurzfristig Investitionen erleichtern, doch ohne eine klare Strategie für die digitale Transformation bleibt Deutschland ein Hochleistungs-Zulieferer, der die Märkte der Zukunft anderen überlässt.
Die Wirtschaft der nächsten Dekade wird nicht von produzierenden Unternehmen dominiert, sondern von denen, die Märkte schaffen und vernetzen. Deutschland hat das Potenzial, in dieser vernetzten Ökonomie führend zu sein – doch dazu muss es sich von der Industriepolitik der Vergangenheit lösen. Wer heute noch von Re-Industrialisierung träumt, argumentiert, als könne man das Internet verbessern, indem man mehr Telefonleitungen verlegt. Die nächste Bundesregierung muss sich entscheiden: Setzt sie auf eine Wirtschaft, die sich selbst erneuert, vernetzt und skaliert – oder bleibt sie im Maschinenraum der Vergangenheit stehen?