Es ist ein Dokument, das sich liest wie eine Mischung aus Verteidigungsstrategie und Investment-Pitch. Das Positionspapier „Abhängigkeit oder Selbstbehauptung: Deutschlands und Europas Rolle im 21. Jahrhundert entscheidet sich jetzt“ stellt eine klare Forderung nach einer strategischen Neuausrichtung. „Deutschland muss jetzt Initiator einer ‚SPARTA‘-Allianz sein“, ein Konzept, das für ‚Strategic Protection and Advanced Resilience Technology Alliance‘ steht und eine europäische Verteidigungsinitiative beschreibt, die auf technologische Überlegenheit und resiliente Strukturen setzt. fordern die Autoren um Ex-Telekom-Chef René Obermann und Luftfahrtmanager Tom Enders. Das Papier ist mehr als eine Mahnung zur Zeitenwende in der deutschen Sicherheitspolitik. Es ist ein Weckruf, ja fast ein Ultimatum: Entweder Deutschland wird ein militärischer Technologieführer in Europa, oder es bleibt im Schattendasein der geopolitischen Abhängigkeit gefangen.
Die neue Sprache der Macht
„Zwar befindet sich Europa selbst (noch) nicht im Krieg – aber auch nicht mehr im Frieden.“ Die Sprache des Positionspapiers lässt keinen Zweifel: Die Zeit des Nachdenkens ist vorbei, jetzt geht es um Abschreckung, um technologische Führung, um strategische Autonomie. Es ist eine Kampfansage an die jahrelange sicherheitspolitische Lethargie Deutschlands. „Die Ukraine hält die Verteidigungslinie für uns alle“, schreiben die Autoren. Was sie damit sagen: Deutschland kann sich kein Wegducken mehr leisten.
Milliarden für eine neue Wehrhaftigkeit
„400 Milliarden für die Sicherheit“ – eine Zahl, die in Berlin bisher nur für Sondervermögen zur Krisenbewältigung gedacht war. Jetzt soll dieses Geld in Hyperschallwaffen, Drohnenschwärme, Künstliche Intelligenz (KI), Satelliten und vernetzte Sensornetzwerke fließen. „Technologischer Vorsprung ist kriegsentscheidend“, argumentieren die Autoren und attackieren indirekt das deutsche Beschaffungschaos: „Das erste Sondervermögen floss in die Technologien der 2000er und 2010er Jahre.“ Anders gesagt: Deutschland hat sich Waffen von gestern für die Kriege von morgen gekauft.
Deutschland, der ewige Zauderer?
Es ist diese Radikalität, die das Papier auszeichnet. Es gibt kein „Ja, aber“, keine diplomatischen Umwege. Deutschland soll in die Rolle der militärischen Avantgarde Europas gedrängt werden, nicht als Wunsch, sondern als Notwendigkeit. Wer sich damit unwohl fühlt, dem wird eine unbequeme Wahrheit entgegengehalten: „Die Toleranz gegenüber derartigen Grenzüberschreitungen wächst.“ Gemeint sind Cyberangriffe, Sabotage, hybride Kriegsführung – die unsichtbaren Angriffe auf europäische Infrastruktur. „Das Hinnehmen dieser Vorgänge wird das geeinte Europa auseinander treiben“, warnen die Autoren.
Vernetzte Kriegsführung: Die Revolution auf dem Schlachtfeld
Das Dokument macht deutlich: Die Art, wie Kriege geführt werden, hat sich grundlegend verändert. Es geht nicht mehr um Panzerdivisionen und starre Frontlinien, sondern um Netzwerke aus Drohnen, Sensoren, künstlicher Intelligenz und Echtzeit-Datenverarbeitung. „Die Ukraine demonstriert, dass Kampfkraft heute durch Geschwindigkeit, Automatisierung und vernetzte Sensorik deutlich verbessert wird“, heißt es in dem Papier. Satelliten spielen dabei eine entscheidende Rolle: Hochauflösende Erdbeobachtung in Echtzeit wird zur Grundlage taktischer und strategischer Entscheidungen. Die Forderung nach einer souveränen europäischen Satellitenkonstellation ist daher nur folgerichtig.
KI und Automatisierung: Von der Front bis ins Hauptquartier
Eine zentrale Forderung des Dokuments ist der massive Ausbau von KI-gestützter Entscheidungsfindung. „Daten sind die Munition des 21. Jahrhunderts“, könnte man zuspitzen. Systeme der elektronischen Kampfführung, autonome Drohnen-Schwärme und militärische Cloud-Plattformen sollen in Millisekunden riesige Datenmengen verarbeiten, Bedrohungen identifizieren und Zielkoordinaten berechnen. Hier zeigt sich eine Parallele zur Wirtschaft: Wer schneller rechnet, gewinnt. „Deutschland darf hier technologisch nicht weiter zurückfallen“, warnt das Papier.
Europäische Souveränität oder Abhängigkeit von den USA?
Eine der heikelsten Fragen des Dokuments ist die der strategischen Autonomie. „Europa muss sich aus der militärischen Abhängigkeit von den USA lösen“, lautet eine der Kernaussagen. Besonders deutlich wird das am Beispiel der F-35-Kampfjets: „Diese Flugzeuge verfügen über eine hochgradig verschlossene Softwarearchitektur, was ihre direkte Integration in europäische Systeme erschwert.“ Die Gefahr: Deutschland investiert Milliarden in Systeme, die in der Praxis nur bedingt eigenständig nutzbar sind. Hier setzt das Papier auf alternative europäische Entwicklungen – ein Plädoyer für mehr technologische Eigenständigkeit.
Der Preis der Souveränität
Doch ist das wirklich eine Wahl zwischen Abhängigkeit und Selbstbehauptung? Oder ist es eine technokratische Militarisierung des deutschen Sicherheitsdiskurses, verpackt in den Slogans der Innovationspolitik? „Technologie ist der beste Schutz gegen Aggression“, könnte das Mantra lauten. Es klingt modern, effizient, berechnend. Doch es ignoriert eine alte Wahrheit: Sicherheit ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch der Politik.
Deutschland wird sich entscheiden müssen. Aber es wird auch entscheiden müssen, welche Art von Führungsmacht es sein will. Die Autoren des Papiers lassen daran keinen Zweifel: „Wer die richtigen Technologien skaliert und einsetzt, kann sich vor Aggressoren besser schützen.“ Eine klare Vision. Doch ist sie auch die richtige?