Die Zukunft der Bundeswehr: Vom Panzer zum Ironman – Strategische Innovation oder struktureller Reformstau?

von Gunnar Sohn
19. März 2025

Es gibt Momente, in denen sich die Grundannahmen einer Institution als überholt erweisen – Momente, in denen die Erkenntnis reift, dass das Festhalten an alten Konzepten nicht nur ineffizient, sondern auch gefährlich ist. Genau an diesem Punkt steht die Bundeswehr. Während sich die moderne Kriegsführung rapide verändert, hält Deutschland an Rüstungsstrategien fest, die bereits gestern veraltet waren. Patrick Rose, Innovationsmanager der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) und ehemaliger Chief Scientist des Innovationslabors der US Navy und Marines, hat im Smarter-Service-Talk ein beunruhigendes Bild gezeichnet.

Eine Armee aus der Vergangenheit für Kriege der Zukunft?

„Die F-35 ist ein technologisches Meisterwerk, aber genau das ist ihr Problem,“ so Rose. Die komplexe Kampfmaschine sei derart aufwendig, dass ihre Wartungskosten die Betriebskosten in den Schatten stellen. Zudem sei ihre Einsatzfähigkeit in dynamischen Konfliktsituationen, wie sie in der Ukraine und im Nahen Osten zu beobachten sind, fraglich. „Bis ein Panzer oder ein Kampfjet im Gefecht angekommen ist, hat sich die Lage längst verändert“, so Rose. Doch Deutschland setzt weiterhin auf Großsysteme – gepanzerte Dinosaurier einer vergangenen Epoche.

Die Realität auf dem Schlachtfeld sieht anders aus. Kleine, mobile Systeme bestimmen das Geschehen. Drohnen, autonom agierende Waffensysteme und ein digital vernetztes Gefechtsfeld machen klassische Kriegführung obsolet. „Der moderne Soldat ist kein Schütze mehr, der blind auf den Feind zuläuft – er ist ein Operator, der Sensoren, KI und Robotik in einem hochdynamischen Umfeld orchestriert“, erklärt Rose. Die militärischen Innovationen der Zukunft seien leicht, modular und anpassungsfähig – „kein General, der auf einen neuen Panzer wartet, sondern ein Team von Spezialisten, das mit einer Flotte von Drohnen ein Bataillon lahmlegt.“

Vom Panzer zum Ironman: Der Soldat der Zukunft

Rose verweist auf ein Konzept, das bereits in den Innovationslaboren der US-Streitkräfte erprobt wird: der „Ironman-Soldat“. „Statt riesiger, teurer Waffensysteme setzen wir auf hochmobile, vernetzte Soldaten, die mit Exoskeletten, Schutzanzügen und KI-gestützten Drohnen operieren“, so Rose. Diese „Ironmen“ seien mit Sensoren ausgestattet, die Gefahren frühzeitig erkennen, und könnten mit Railguns oder Laserwaffen eine Feuerkraft entwickeln, die bisher nur schweren Waffensystemen vorbehalten war. „Der Panzer als Symbol militärischer Stärke stirbt – an seine Stelle tritt der vernetzte, hochmobile Kämpfer.“

Die strukturelle Trägheit des deutschen Verteidigungssystems

Rose spricht aus Erfahrung. In den Innovationslaboren der US Navy war er direkt an der Entwicklung neuartiger Kampftechnologien beteiligt. Dort werde radikale Innovation gefördert – „try fast, fail fast, learn fast“ sei das Prinzip. Doch in Deutschland stünden Bürokratie und schwerfällige Beschaffungsstrukturen einer vergleichbaren Innovationsgeschwindigkeit im Weg. „Wir haben hier keinen Mangel an Talenten oder Ideen – wir haben einen Mangel an Umsetzung“, betont er.

Die Verzahnung von ziviler und militärischer Innovation ist für Rose ein Schlüsselthema. Technologien, die heute noch als rein militärisch gelten, könnten in wenigen Jahren den zivilen Markt revolutionieren – und umgekehrt. Die Geschichte liefert hierfür genügend Beispiele: GPS, das Internet, moderne Sensorik – alles aus der militärischen Forschung hervorgegangen. „Deutschland hat eine der stärksten Grundlagenforschungen weltweit, aber wir nutzen sie nicht systematisch für unsere strategische Sicherheit“, so Rose.

Neue Allianzen für technologische Souveränität

Besonders brisant sind Roses Aussagen zur Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Innovationsagenturen. „Wenn wir ernsthaft technologische Souveränität anstreben, müssen wir vernetzt denken – und handeln.“ Die bisherigen Strukturen seien zu stark fragmentiert, statt Synergien zu schaffen. Wer sich die jüngsten geopolitischen Spannungen ansieht, erkennt, dass Deutschland mehr denn je eine strategische Innovationsagenda braucht, die sich nicht in Verwaltungsakten verliert.

Wünsche an die neue Bundesregierung: Handeln statt verwalten

Patrick Rose formuliert klare Erwartungen an die neue Bundesregierung. „Wir brauchen eine Regierung, die Mut zur Veränderung zeigt und Innovation nicht als Verwaltungsvorgang, sondern als strategische Priorität begreift.“ Eine seiner zentralen Forderungen: eine bessere Koordination zwischen SPRIND und der Cyberagentur. „Beide Institutionen haben großes Potenzial, aber sie agieren oft zu isoliert voneinander. Dabei könnten gemeinsame Programme und Forschungsvorhaben die Innovationskraft der deutschen Verteidigung erheblich steigern.“

Rose warnt davor, dass Deutschland den Anschluss an die technologische Entwicklung verlieren könnte, wenn es nicht gelingt, Forschung, Entwicklung und militärische Anwendung effizienter miteinander zu verzahnen. „Unsere Gegner hoffen darauf, dass wir weiterhin in Silos denken. Die einzige Antwort darauf ist eine konsequente Zusammenarbeit zwischen den relevanten Akteuren.“

Die Herausforderung für die neue Bundesregierung ist klar: Wird sie den Mut haben, die alten Zöpfe abzuschneiden? Wird sie es wagen, nicht nur in Hardware, sondern vor allem in disruptive Technologien zu investieren? Patrick Rose liefert die Blaupause für eine zukunftsfähige Bundeswehr – die Frage ist, ob die Politik bereit ist, ihr zu folgen.

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