Es beginnt immer mit einem leisen Rückzug. Erst werden Meetings abgesagt, dann Budgets eingefroren. Die Innovationsabteilung wird „restrukturiert“, Forschungslabore „fokussiert“, Investitionen „nachjustiert“. In Wirklichkeit ist es die alte Angst: die Angst vor der Zukunft, wenn sie plötzlich nicht mehr kalkulierbar scheint.
Die Krisen unserer Zeit sind ein exzellenter Vorwand für diesen Reflex. Wenn die Welt wackelt, klammert man sich ans Vertraute. So ziehen sich Unternehmen auf ihr Kerngeschäft zurück, als könnte man sich in einen Bunker der Vergangenheit retten, während draußen die Zukunft neue Industrien baut.
Julian Kawohl und Peter Borchers haben in t3n ein düsteres Bild gezeichnet: Unternehmen, die jetzt aufhören zu innovieren, könnten nicht einfach nur zurückfallen – sie könnten verschwinden. Denn während sie sich abducken, wächst um sie herum eine neue Realität heran, die sich nicht an ihre alten Regeln hält.
Die Drohung der Unsichtbarkeit
Es ist ein Muster, das sich durch die Wirtschaftsgeschichte zieht: Wer in der Krise verstummt, bleibt auch dann stumm, wenn die Krise vorbei ist. Die Innovationsopfer der letzten großen Umbrüche – Kodak, Nokia, General Motors – sie alle hatten ihre Gründe. Und doch gibt es sie heute nur noch als Schatten ihrer selbst, Relikte in Fußnoten der Unternehmensgeschichte.
„Konzentration aufs Kerngeschäft“, sagt der Vorstand und sieht dabei aus, als spräche er einen Zauberspruch gegen die Unsicherheiten der Welt. Doch es ist kein Zauber, sondern ein Opferritual. Es opfert nicht nur Ideen, sondern auch Menschen: Hochqualifizierte Entwickler, die jahrelang an Technologien gearbeitet haben, die nie das Licht der Welt erblicken werden. Die besten Köpfe gehen dann zu denen, die noch Träume haben.
Der Krieg der Zukunft gegen die Vergangenheit
In ihrem Beitrag schreiben Kawohl und Borchers über „Winning Topics“ – jene Themen, die nicht nur in Krisenzeiten überlebenswichtig sind, sondern die bestimmen, wer in der nächsten Epoche überhaupt noch existiert. Die Lehre der Vergangenheit ist klar: Die Krise ist nie das Ende, sondern immer der Anfang von etwas Neuem. Wer jetzt innehält, gibt anderen die Gelegenheit, das Neue zu definieren.
Lego tat das Gegenteil und erfand sich in der eigenen Krise neu. Siemens investierte nach der Finanzkrise 2008 in Automatisierung und wurde zum Giganten der digitalen Industrie. Wer in diesen Momenten aufhörte zu bauen, hörte auf zu existieren.
Es ist also kein ökonomisches Problem, sondern ein kulturelles. Krisenzeiten sind kein Moment der Sparsamkeit, sondern der Radikalität. Nur wer jetzt investiert, wer sich mit voller Kraft in das Unbekannte wirft, wer die noch schwachen Signale der Zukunft empfängt und verstärkt – nur der wird mitsprechen können, wenn die neue Ordnung entsteht.
Die Zeit der Spieler ist vorbei
Was jetzt geschieht, ist eine große Trennung. Auf der einen Seite stehen jene, die Innovation als Marketingbegriff benutzt haben, als etwas, das man „fördern“ oder „priorisieren“ kann – wenn es gerade in die Bilanz passt. Sie werden stiller, ihre Namen verschwinden aus den Schlagzeilen. Auf der anderen Seite stehen jene, die verstehen, dass Innovation keine Abteilung ist, sondern eine Existenzfrage.
„Es reicht nicht, Innovation zu verteidigen – sie muss aktiv als Motor für den Unternehmenserfolg genutzt werden“, schreiben Kawohl und Borchers. Doch Erfolg ist das falsche Wort. Es geht nicht um ein weiteres Quartal mit guten Zahlen, sondern um die brutale Realität der Zukunft: Wer jetzt verstummt, den wird man nicht mehr hören.
Denn die Zukunft wartet nicht. Sie spricht längst – und sie spricht zu denen, die noch zuhören.