Wenn man das Vorhabenpapier des BMWK ernst nimmt – und das sollte man –, dann steht Deutschland nicht vor einem industriepolitischen Umbruch, sondern vor einer gigantischen Wartungsoperation. Unter der Überschrift „Industriepolitik“ ab Seite 347 versammelt sich ein beeindruckendes Arsenal an Maßnahmen, Dialogformaten, Programmen und Strategien. Doch wer genau hinschaut, erkennt: Es ist nicht die Zukunft, die hier formuliert wird, sondern die Verlängerung eines Status quo mit Mitteln der Beruhigung.
Industriepolitik als Reaktion – nicht als Vision
Ziel ist es, Industriearbeitsplätze zu sichern, Souveränität zu wahren, Wettbewerbsfähigkeit zu stabilisieren. Das ist verständlich – aber es ist nicht zukunftsgerichtet. Denn es fehlt die eine große Frage: Was ist die Industrie der Zukunft überhaupt?
Wo in der Strategie ist die Transformation der industriellen Logik selbst angelegt? Wo ist das Denken in Plattformen, Services, datengetriebenen Geschäftsmodellen? Wo ist die Antwort auf die Auflösung der Grenze zwischen Produktion, Dienstleistung, Nutzererfahrung und digitalem Zwilling?
Die Industriepolitik des BMWK will die Gegenwart fit machen – aber sie fragt nicht, ob diese Gegenwart überhaupt noch trägt.
Vom industriellen Produkt zum intelligenten Service
Gerade für eine Plattform wie Smarter-Service.com ist entscheidend: Die Trennung zwischen Industrie und Dienstleistung ist historisch – nicht systemisch. Die Weltwirtschaft bewegt sich längst in Richtung hybrider Wertschöpfung, in der Produkte ohne Services wertlos, und Services ohne Daten blind sind.
Doch das BMWK dokumentiert in seinem Vorhabenpapier überwiegend ein Denken in industriellen Kategorien: Standort, Energiepreise, Produktionstiefe, Lieferketten. Die digitale Serviceökonomie wird erwähnt – aber nicht als Transformationsmotor, sondern als Begleitmusik.
Was fehlt, ist die strategische Erkenntnis, dass „Industriepolitik“ nicht mehr bedeutet, Stahlwerke zu fördern – sondern Plattformen, Schnittstellen und offene Datenräume zu bauen.
Resilienz, ja – aber nicht um den Preis der Erstarrung
Natürlich ist Resilienz wichtig – gerade angesichts geopolitischer Krisen, fragiler Lieferketten und wachsender Abhängigkeiten. Aber wenn Resilienz zur Rhetorik des Rückzugs wird, zur Rechtfertigung nationaler Subventionierungsregime und zur Erhaltung überholter Strukturen, dann verpufft ihr Innovationswert.
Stattdessen müsste Industriepolitik als Experimentierraum für neue industrielle Subjekte gedacht werden: für klimaneutrale Netzwerke, für KI-gestützte Kreislaufwirtschaft, für servicebasierte Maschinenparks, für algorithmische Produktionsökosysteme.
Was wir brauchen, ist nicht nur eine industriepolitische Stärkung der Gegenwart – sondern ein radikales Öffnen für andere industrielle Zukunftsmodelle.
Von der Versorgung zur Verflüssigung: Energie, Daten, Arbeit
Ein zukunftsgerichteter smarter Service denkt nicht nur in Produkten und Märkten – sondern in Infrastrukturen. Die Industriepolitik des BMWK betont – zu Recht – den Umbau der Energieversorgung, die Bedeutung des Netzausbaus, die Rolle der Rohstoffsicherung. Doch diese stoffliche Basis muss digital erweitert werden: durch Echtzeitdaten, semantische Interoperabilität, maschinenlesbare Normen, digitale Zwillinge. Kurz: durch Verflüssigung statt bloßer Versorgung.
Service bedeutet in dieser Logik: Nicht mehr Dinge bereitstellen, sondern Möglichkeitsräume organisieren. Nicht mehr Maschinen verkaufen, sondern Nutzungsversprechen einlösen. Nicht mehr Menschen in Funktionen einsetzen, sondern in Lernzyklen befähigen.
Die Industriepolitik von morgen ist vernetzt – oder sie ist gar nicht
Wenn man die industriepolitischen Passagen des BMWK ernst nimmt, dann erkennt man: Die Industrie ist da – aber ihre Zukunft ist noch nicht angekommen. Es fehlt die Durchdringung mit der digitalen Serviceökonomie. Es fehlt die Mutprobe, alte Industriestrukturen nicht nur zu „transformieren“, sondern neu zu erfinden. Es fehlt ein Verständnis von Innovation, das nicht nur auf Technologie, sondern auf neue Beziehungen zwischen Mensch, Maschine und Markt zielt.
Eine wirklich smarte Industriepolitik müsste also nicht nur Subventionen verteilen, sondern ein neues Betriebssystem schreiben – für eine vernetzte, offene, datengetriebene Ökonomie. Nur dann wird sie zu einer Industriepolitik, in der mehr Zukunft steckt als Vergangenheit.