Es ist ein bemerkenswerter Wandel, der sich derzeit in den Serviceabteilungen vieler Unternehmen vollzieht – und einer der seltenen Fälle, in denen technologische Disruption mit einem emanzipatorischen Versprechen einhergeht. Andreas Klug, Mitbegründer der ThinkOwl-Unternehmensgruppe und „AI-Evangelist“, präsentierte auf der Shift CX nicht weniger als die Skizze eines neuen Arbeitsverständnisses für eine Branche, die allzu lange als Synonym für Routinen, Fluktuation und strukturelle Unterforderung galt.
Was Klug vorschlägt, ist kein radikaler Bruch, sondern eine konsequente Evolution: Die Automatisierung repetitiver Aufgaben, die sich mit mathematischer Präzision in Callcenter-Protokollen niederschlagen, sei nicht das Ende, sondern der Anfang. Der Anfang eines Kundenservice, der diesen Namen verdient.
Denn wo heute noch häufig mit Outlook-Mappen, klassischen Telefonanlagen und menschlichem Copy-Paste hantiert wird, sieht Klug das Feld bestellt für eine neue Werkbank – ausgestattet mit lernenden Systemen, natural language understanding und einer Architektur, die nicht nur Datenströme effizient verarbeitet, sondern auch menschliche Interaktion neu rahmt. Im Zentrum steht dabei die Idee eines kundenzentrierten Arbeitsplatzes, der den Mitarbeiter entlastet, nicht ersetzt.
Automatisierung als kultureller Akt
Auffällig an Klugs Argumentation ist der fast anthropologische Unterton. Für einen Technologen spricht er auffallend oft von Kultur. Die digitale Transformation im Kundenservice, so seine zentrale These, sei zu 80 Prozent kulturell und nur zu 20 Prozent technologisch. Was sich im ersten Moment wie eine rhetorische Volte anhört, offenbart sich bei genauerem Hinhören als präzise Zustandsbeschreibung.
Denn der eigentliche Engpass in der KI-Adoption liegt nicht im Mangel an Tools – ThinkOwl selbst bietet ein vollintegriertes Ökosystem für agent-assistente Systeme, conversational AI und Self-Service-Anwendungen – sondern im Mangel an strategischer Vorstellungskraft. Klug diagnostiziert eine Art digitaler Betriebsblindheit, gespeist aus Gewohnheit, Skepsis und organisatorischer Trägheit. Wer heute noch ausschließlich auf klassische Kommunikationstools setze, gerate zwangsläufig ins Hintertreffen. Nicht, weil die Technik überlegen sei, sondern weil sie schneller lernt.
Der Mythos vom „Bot-Diktat“
Mit Blick auf eine sich abzeichnende Polarisierung – auf der einen Seite die Verheißungen vollautomatisierter Prozesse, auf der anderen Seite die Sorge vor Entfremdung – plädiert Klug für eine differenzierte Sichtweise. Die „Bots“, von denen er spricht, sind keine kalten Vollstrecker der Rationalisierung. Vielmehr sieht er sie als Werkzeuge der Entlastung, die erst jene Räume öffnen, in denen menschliche Kompetenz überhaupt zur Entfaltung kommen kann. Adressänderungen, Kontostandsanfragen, FAQ-Banalitäten – sie sollen maschinell bearbeitet werden, damit im Second und Third Level wieder Zeit für das eigentliche Geschäft bleibt: Zuhören, Verstehen, Vertrauen schaffen.
Dass dies kein utopisches Ziel ist, belegen erste Implementierungen bei deutschen Mittelständlern, bei denen KI-gestützte Assistenzsysteme mittlerweile signifikante Anteile der Anfragen eigenständig bearbeiten – und das mit höherer Geschwindigkeit, Präzision und Konsistenz als der Mensch es könnte. Die Mitarbeiter, so berichten die Unternehmen, fühlen sich nicht degradiert, sondern entlastet. Ihre Tätigkeiten gewinnen an Tiefe, nicht an Oberflächlichkeit.
CX als Geschäftsmodell der Zukunft
Dass Klug trotz aller Automatisierungsrhetorik unbeirrt an die Zukunft des Kundenservice glaubt, mag überraschen – ist bei genauerem Hinsehen aber folgerichtig. Customer Experience (CX) sei kein Auslaufmodell, sondern ein Geschäftsfeld mit wachsender strategischer Bedeutung. In einer Wirtschaft, in der sich Produkte zunehmend ähneln, werde die Servicequalität zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal.
Klug spricht dabei bewusst nicht von „Kundenzufriedenheit“, sondern von einer neuen Form der Kundenbeziehung, die durch Technologie gestützt, aber durch Menschen getragen wird. Das klingt fast wie eine Paraphrase auf die alte Idee der „digitalen Renaissance“: Der Mensch im Mittelpunkt – unterstützt von Maschinen, nicht ersetzt durch sie.
Resümee: Ein Techniker mit kulturkritischem Impuls
Andreas Klug ist mehr als ein Produktentwickler oder Vertriebsstratege. Er ist ein Übersetzer. Ein Brückenbauer zwischen technologischer Machbarkeit und organisationaler Wirklichkeit. Seine Perspektive ist geprägt von der Einsicht, dass die Akzeptanz von KI nicht über Features, sondern über Erzählungen gewonnen wird. Über Bilder einer besseren Arbeitswelt. Einer Arbeitswelt, die – trotz oder gerade wegen der Maschinen – wieder Platz für Menschlichkeit bietet.
Wenn der Servicebereich bislang das Prekariat der Wissensarbeit war, könnte er in Klugs Vision zum Ort der Rehumanisierung werden. Sofern Unternehmen den Mut haben, sich dieser kulturellen Aufgabe zu stellen.
Die Zukunft ist da. Sie wartet nur darauf, eingelassen zu werden.