Ein Kommentar von Gunnar Sohn
Wenn Politik gelingt, dann weil sie Ordnung ins Denken bringt. Der neue Koalitionsvertrag tut genau das: Er beendet die technologische Beliebigkeit der Vergangenheit und schafft erstmals klare Zuständigkeiten in der Regierung – strukturell, strategisch, personell. Forschung, Technologie und Raumfahrt sind jetzt in einem Ministerium gebündelt, ebenso wie Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Was wir auf Smarter-Service.com seit Jahren gefordert haben, wird Realität: Das Silodenken hat ein Ende. Innovation bekommt ein Zuhause.
Dorothee Bär (CSU) übernimmt das neugeschaffene Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt – ein kraftvolles Signal. Bär war nie die Karikatur der Netzpolitik, zu der man sie medial gemacht hat. Sie kennt die Start-up-Szene, denkt transatlantisch und hat sich früh für digitale Infrastruktur und KI stark gemacht. In der Kombination mit Kristina Sinemus (CDU) im Digitalministerium – einer ausgewiesenen Verwaltungsmodernisiererin aus Hessen – ergibt sich eine Struktur, die das Zeug hat, Deutschlands digitale Malaise aufzubrechen.
Der Vertrag selbst ist überraschend konkret. Was früher unter „digital first“ als PR-Formel durchging, wird nun operationalisiert. Von der AI-Gigafactory mit 100.000 GPUs über die Quantenrechner-Offensive bis hin zur SPRIND-Stärkung: Die Ampel hat technologische Leuchttürme gebaut, aber die neue Regierung will daraus ein Netz spannen. Mit dem Ziel, Deutschland nicht nur wettbewerbsfähig, sondern souverän zu machen. Das ist eine politische Kategorie, keine ökonomische.
Statt Gießkanne heißt es: gezielte Marktöffnung. Subventionen werden nicht gestrichen – sie werden strategisch geschärft. Statt nur Geld in Start-ups zu pumpen, wird Transfer organisiert: mit Dachmarken, Transferboostern, klaren Zielvorgaben für den Technologietransfer. So wird aus der SPRIND eine echte Sprunginnovationsagentur, nicht nur ein Debattenobjekt.
Auch die Digitalpolitik wird von der Symbolpolitik entkernt. Die EUDI-Wallet, das Bürgerkonto, antragslose Verfahren und digitale Identitäten sind keine Visionen mehr – sie stehen im Vertrag. Die Registermodernisierung wird verpflichtend, das Prinzip „Digital only“ zum Standard. Und: Deutschland bekommt endlich ein zentrales One-Stop-Shop-Modell für Unternehmensgründungen in 24 Stunden. Ein Schlag ins Gesicht der Papierformulare.
Was ebenso bemerkenswert ist: Die Sicherheitspolitik durchzieht den Vertrag als strukturierende Matrix – ohne das Silicon Valley zu imitieren. Dual-Use-Technologien, Cybersicherheit, Verteidigungsinnovation: Das ist nicht nur NATO-kompatibel, sondern erkennt die geopolitische Realität an. Es geht um Resilienz, nicht um reines Wachstum.
Kurzum: Der Vertrag bringt eine technologische Wende – aber keine blinde Technikgläubigkeit. Er vereint industrielle Tiefe mit digitaler Breite, ordnet Zuständigkeiten neu, rückt Technologiepolitik in die Mitte des Regierungshandelns. So geht Neuanfang. Und das längst überfällige Ende der Digitalprovinz.