Zwischen Schaltkreis, Touchscreen und Tarnkappe – Eine Fortschreibung des Gesprächs mit Christian Hummert #Cyberagentur

von Gunnar Sohn
16. April 2025

Im Schatten globaler Konflikte hat sich die Debatte um den „Dual Use“ von Technologien vom akademischen Feuilleton in die Dringlichkeitszone der Sicherheitspolitik verschoben. Vor drei Jahren sprachen wir mit Dr. Christian Hummert, dem Forschungsdirektor der Cyberagentur, über Sinn und Zweck einer deutschen DARPA, über digitale Resilienz und die Frage, ob militärische Forschung einen zivilen Nutzen entfalten dürfe, ja müsse. Heute, mit der Zeitverzögerung eines Siliziumimpulses, wirkt dieses Gespräch wie eine frühe Blaupause für die gegenwärtige Konvergenz zwischen Verteidigung, Gesellschaftsschutz und technologischer Innovationsdynamik.

Damals noch vorsichtig formuliert, steht heute fest: Der „Dual Use“ ist keine Anomalie, sondern die Bedingung der Möglichkeit technologischen Fortschritts in einer vernetzten Welt. Zwischen Tarnkappe und Touchscreen, zwischen Angriff und App, klafft kein Abgrund mehr – sondern eine Zone der Überlagerung. Die Cyberagentur – gegründet im Jahr 2020 in Halle an der Saale, von BMI und BMVg gemeinsam finanziert – steht exemplarisch für diesen Grenzgang.

Das Unbehagen an der Trennung

Christian Hummert beschrieb die Cyberagentur als Institution mit einem „anderen Fokus“: nicht Wirtschaftsförderung, sondern Schutzauftrag. Ihre Aufgabe sei nicht die Ausgründung, sondern die Auftragsforschung; nicht der Shareholder-Value, sondern die Resilienz des Gemeinwesens. Es ging und geht um Systeme, nicht um Produkte. Und es ging und geht um die Überwindung jener absurden Trennung zwischen ziviler und militärischer Sphäre, die aus einem anderen Jahrhundert zu stammen scheint. Die „Zivilklausel“, einst als moralischer Schutzschild gedacht, wirkt im Angesicht hybrider Bedrohungen wie ein rostiger Sperrriegel vor dem Notausgang.

Warum Dual Use nicht der Feind ist

Hummert brachte es auf den Punkt: Dual Use bedeutet nicht, dass der Krieg in das Wohnzimmer einzieht. Es bedeutet, dass Erkenntnisse aus der Wehrtechnik der Zivilgesellschaft zugutekommen – und umgekehrt. Wer das Internet nutzt, wer sich auf GPS verlässt, wer Impfstoffe oder Verschlüsselungstechnologien verwendet, bewegt sich längst in jenem Zwischenbereich, in dem zivile und militärische Logiken einander durchdringen. Die Vorstellung, man könne saubere Trennlinien ziehen, ist ein Trugbild. Und ein gefährliches obendrein. Denn was heute als zivil gilt, kann morgen zur strategischen Ressource werden.

Von der Komplexität zur Paralyse

Die größte Bedrohung, so Hummert, liegt nicht im Code selbst, sondern im Unverständnis für das, was der Code tut. Komplexität wird zur Paralyse. Systeme wachsen, Funktionen multiplizieren sich, doch das Wissen um ihre Grundlagen verdunstet. Der Verlust technischer Souveränität beginnt nicht mit fehlenden Chips – sondern mit dem Ende der Neugier auf das, was sich hinter einer Benutzeroberfläche verbirgt. Wenn wir aufhören, Assembler zu lehren, weil es „weltfremd“ sei, dann überlassen wir das Feld jenen, die keine Skrupel kennen – und keine Zivilklausel brauchen.

Eine echte DARPA? Ja, aber mit Verstand

Die deutsche Sehnsucht nach einer DARPA ist fast rührend – und gleichzeitig naiv. Man will amerikanische Wucht mit deutscher Gründlichkeit paaren, risikofreudige Forschung in einem Land, das seine Innovationspolitik nach Vergaberecht ordnet. Hummert weiß: Es braucht nicht nur Geld, sondern Regeln, die Neugier ermöglichen statt sie zu sanktionieren. Nicht die Milliarden fehlen – sondern die Möglichkeitsräume.

Dual Use als demokratische Pflicht

Die Zeit, in der militärische Forschung im Schatten stattfand, ist vorbei. Nicht weil sie unauffälliger geworden wäre, sondern weil sich der Schatten selbst verschoben hat. Bedrohungen sind diffus, asymmetrisch, viral – und mit ihnen auch die Antworten. Dual Use ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Eine Lösung, die weder blind auf Sicherheit noch naiv auf Technikgläubigkeit setzt, sondern auf die mühsame Arbeit des Verstehens, Verbindens, Verwertens. Und auf die Bereitschaft, den Begriff „Verteidigung“ neu zu definieren – als Schutz dessen, was Gesellschaft zusammenhält: Vertrauen, Wissen, Offenheit.

Oder, um es ohne Pathos zu sagen: Die Zukunft ist ein Betriebssystem. Und wer nicht weiß, wie man es installiert, wird es nicht verteidigen können.

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