Die neue Verpackungsverordnung der EU ist seit dem 11. Februar 2025 geltendes Recht – unmittelbar wirksam in allen Mitgliedstaaten, ohne Umweg über nationale Gesetzgebung. Dieser Schritt markiert einen tiefgreifenden Wandel in der europäischen Umweltpolitik: weg von der weich gezeichneten Richtlinienlogik, hin zu einer verbindlichen Verordnungspraxis. Das ist kein bloßer technokratischer Kurswechsel. Es ist ein politisches Bekenntnis zu Handlungsfähigkeit, Verbindlichkeit und ökologischer Realpolitik.
Im Zentrum dieser neuen Ordnung steht die Kreislaufwirtschaft – als Idee, als Regelsystem und als industrieller Transformationsauftrag. Doch wie viel Substanz steckt hinter dem Versprechen? Und wie geht Deutschland mit der neuen Realität um?
Der Koalitionsvertrag – ein Rückschritt im Vorwärtsgang?
Die schwarz-rote Bundesregierung will die Kreislaufwirtschaft stärken – so steht es im Koalitionsvertrag. Doch ein genauerer Blick zeigt eine Schieflage: Die stoffliche Verwertung, jahrzehntelang der zentrale Pfeiler nachhaltiger Abfallwirtschaft, droht politisch entwertet zu werden. Die geplante Aufnahme des sogenannten chemischen Recyclings in die Abfallhierarchie bedeutet eine Verschiebung mit tiefgreifenden Folgen.
Schon heute wird ein erheblicher Teil der Leichtverpackungen nicht stofflich recycelt, sondern geht direkt in die thermische Verwertung – also in die Müllverbrennung. Grund: unzureichende Sortierfähigkeit, mangelhafte Materialtransparenz, wirtschaftlich uninteressante Rezyklate. Wenn nun auch das chemische Recycling – das faktisch vielfach auf Pyrolyse oder Ölproduktion hinausläuft – als gleichwertiger Entsorgungsweg legitimiert wird, könnte das stoffliche Recycling endgültig marginalisiert werden.
Das wäre nicht nur ein ökologischer Rückschritt, sondern auch ein industriepolitischer Fehler. Denn nur das stoffliche Recycling ermöglicht geschlossene Materialkreisläufe, die Ressourcen schonen und Innovationen im Verpackungsdesign auslösen.
Roundtable in Bonn: Praxis trifft Verordnung
In einem von mir moderierten Roundtable in Bonn diskutierten führende Köpfe aus Industrie und Technologie – Stefan Scheibel (Multivac), Thomas Morgenstern (Tomra) und Heino Claussen (R-Cycle) – über die Umsetzung der neuen Verpackungsverordnung. Ihre Beiträge machten deutlich: Die Reform trifft auf eine Realität, in der Systembrüche, Zielkonflikte und Investitionslücken noch ungelöst sind.
Scheibel zeigte auf, wie schwer sich recyclinggerechtes Verpackungsdesign mit den Anforderungen des Lebensmittelschutzes vereinbaren lässt. Monomaterialien, so das klare Signal, sind wünschenswert, aber in der Praxis oft noch nicht umsetzbar.
Morgenstern betonte die Notwendigkeit funktionierender Rücknahmesysteme. Der angestrebte 90-%-Erfassungsgrad bei PET sei technisch machbar, werde aber bislang kaum erreicht. Entscheidend sei, die Infrastruktur auszubauen und die Verbraucher mitzunehmen.
Claussen schließlich machte die Bedeutung digitaler Standards deutlich. Ohne maschinenlesbare Informationen über Materialzusammensetzungen bleibt jede Sortierung im Ungefähren. Die Kreislaufwirtschaft braucht Daten – präzise, verlässlich, maschinenfähig.
Von der Rechtsnorm zur Kulturtechnik
Die neue EU-Verordnung ist mehr als ein Gesetz. Sie ist Ausdruck eines Kulturwandels. Der ökologische Umbau der Wirtschaft wird nicht mehr auf später verschoben oder auf weiche Ziele verteilt. Er wird zur unmittelbaren Handlungsmaxime, mit Auswirkungen auf jedes Produktdesign, jede Sortieranlage, jeden Verwertungsprozess.
Doch dieser Wandel gelingt nur, wenn er gemeinsam gedacht und getragen wird: von Politik, Industrie, mittelständischen Betrieben und Verbrauchern. Was es braucht, ist eine Allianz für eine echte Kreislaufwirtschaft – nicht als Feigenblatt, sondern als Strukturprinzip einer zukunftsfähigen Wirtschaftsordnung.
Aufgaben und Zumutungen
Für die Politik heißt das: Keine Hintertüren für die thermische Entsorgung unter neuem Etikett. Keine Aufweichung des Abfallrechts durch die Hintertür des chemischen Recyclings. Stattdessen:
- Verbindliche Ökodesign-Regeln, die recyclinggerechtes Verpacken zur Norm machen.
- Transparente Lizenzentgelte, die ökologische Innovation belohnen.
- Förderprogramme für Sortiertechnologie und digitale Rückverfolgbarkeit.
- Rechtssicherheit für Rezyklateinsatz – gerade im sensiblen Lebensmittelbereich.
- Pfand- und Rücknahmesysteme, flächendeckend und digital gestützt.
Für die Wirtschaft heißt das: Verantwortung übernehmen. Investieren, umstellen, mitgestalten.
Für die Gesellschaft heißt das: Konsumgewohnheiten überdenken, Verpackungen als Teil eines Systems begreifen.
Verantwortung beginnt bei der Definition von Erfolg
Wenn die Kreislaufwirtschaft ein Erfolg werden soll, darf ihr Erfolg nicht allein in Tonnen und Quoten gemessen werden, sondern in der Fähigkeit, Ressourcen zu schonen, Innovation zu fördern und unsere ökologische Intelligenz zu kultivieren.
Wir setzen die Debatte fort – beim Green Monday Update am 9. Juni um 17:00 Uhr via Zoom. Mit Expertinnen und Experten aus Industrie, Politik und Wissenschaft. Denn Kreislaufwirtschaft ist kein Schaubild. Sie ist die politische Ökonomie der Zukunft.
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