Von der Waschküche zur Plattform: Wie Dr. Martin Hünten mit AppWash das Maschinenbau-Gen von Miele neu codiert

von Bernhard Steimel
13. Mai 2025

„Wir sind losgezogen mit der Idee, den Münzkassierer zu ersetzen – und zurückgekommen mit dem Impuls: Das Geschäftsmodell selbst wird in Frage gestellt.“
So bringt Dr. Martin Hünten im Gespräch mit Bernhard Steimel die wohl radikalste Erkenntnis seines Corporate-Startups AppWash auf den Punkt. Und man merkt sofort: Hier spricht keiner, der Innovation predigt – sondern einer, der sie gewaschen hat. Wörtlich.

Denn AppWash, eine Tochtergesellschaft der Miele Gruppe, macht genau das, was man von einem Hidden Champion des deutschen Maschinenbaus nicht unbedingt erwartet hätte: Sie denken nicht in Geräten, sondern in Services. Nicht in Verkäufen, sondern in Plattformmetriken.

Waschsalon war gestern – Betreiberplattform ist heute

Dass der Münzkassierer irgendwann gehen musste, ist keine neue Idee. Neu ist, dass Miele ihn nicht einfach durch eine App ersetzt hat, sondern das gesamte Geschäftsmodell umgedreht hat. „Wir betreiben die Waschküchen selbst“, erklärt Hünten. In Studentenwohnheimen, auf Campingplätzen, in Rehakliniken – kostenlos für den Betreiber. Die Erlöse kommen durch die Nutzung: digital, bargeldlos, automatisiert.

Was früher Produkt war, ist heute Infrastruktur.

Design Thinking mit Waschmittel und Gummihandschuh

Die Reise begann, wie Hünten erzählt, nicht im Labor, sondern im Waschsalon. „Wir sind in zehn Länder gereist, haben mit Leuten gewaschen – in Norwegen, Berlin, Schweden“, sagt er. Dabei sei schnell klar geworden: Die Kunden wollten gar keine App. Sie wollten Verantwortung abgeben. „Ein Studentenwohnheimleiter hat uns gesagt: Meine Kernkompetenz ist vermieten – ich will mit Waschmaschinen nichts zu tun haben.“

Ein klassischer User Insight, wie ihn Design Thinking verspricht – nur selten so wirksam umgesetzt. Der Satz „Ich will keine Waschküche betreiben“ wurde zur Initialzündung für ein Plattformmodell.

Corporate Startup mit langer Leine – und viel Vertrauen

Die Transformation war nur möglich, weil die Konzernmutter Miele das Wagnis unterstützte: „Wir haben direkt bei der Geschäftsleitung gepitcht und erstaunlich schnell ein Go bekommen“, erzählt Hünten. Die AppWash GmbH wurde als eigenständige Betreibergesellschaft gegründet – mit einer klaren Mission, einer schlanken Struktur und Freiraum für Experimente.

Und diese Haltung prägte auch den Vertrieb: „Fred und ich sind in den ersten Monaten selbst rausgefahren, haben Kaltakquise gemacht, Waschboxen installiert, Deals abgeschlossen.“ Erst als die ersten drei Kunden pro Land selbst gewonnen waren, folgte der Rollout via Miele-Niederlassungen.

19 Wohnheime, 6 Länder, 1 Ansprechpartner

Der Skalierungspfad war klar: Key Accounts. Internationale Betreiber von Studentenwohnheimen, die europaweit wachsen – und einen verlässlichen Partner für ein oft unterschätztes Thema suchen: Wäsche. „Ein kanadischer Rentenfonds baut gerade 19 Wohnheime in sechs Ländern – und wir liefern die komplette Waschinfrastruktur“, so Hünten.

Einmal installieren, digital betreiben, Daten auswerten, Nutzerbindung schaffen. So skaliert man Plattformgeschäft – auch aus der Waschküche heraus.

Daten, die niemand vermutet – und viele nicht nutzen

Die Plattform liefert Miele völlig neue Einblicke: „Der Norweger nutzt immer das Wollprogramm. Der Brite trocknet weniger als er wäscht. Die meisten nutzen nur drei Programme – der Rest wird ignoriert.“ Was daraus folgt? UX-Optimierung, Kapazitätsplanung, Loyalty-Angebote.

Und: Die Möglichkeit, Waschmittel-Dosierung zu automatisieren. „Jeder Dritte dosiert zu viel“, sagt Hünten. Künftig könnten Dosiergeräte direkt angebunden werden – Nachhaltigkeit inklusive.

KI für nasse Socken: Der nächste Schritt heißt Chatbot

Die größte offene Baustelle? Der Support. „Wenn um 23 Uhr im Studentenwohnheim der Trockner piept, hilft kein Callcenter. Da brauchen wir einen smarten Chatbot, der auf Basis unseres Wissens automatisch hilft.“ AppWash arbeitet an einem eigenen System auf Basis von Sprachmodellen – mit dem Ziel, User Experience rund um die Uhr sicherzustellen.

Hüntens Tipp für Gründer im Konzern: Excel first. Fehler erlaubt. Dann skalieren.

„Wir haben mit Excel angefangen – und erst als es nicht mehr ging, Software gebaut“, sagt Hünten. Sein Rat an alle Corporate Innovatoren ist entwaffnend simpel: „Macht’s klein, macht’s selbst, macht’s fehlerfreundlich. Dann wird’s auch was.“


🎧 Jetzt hören – und teilen, teilen, teilen!

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von smarter-service-talk.podigee.io zu laden.

Inhalt laden

Dr. Martin Hünten im Smarter Service Talk:
„Von der Waschküche zur Plattform – Wie Miele mit AppWash das Waschen digitalisiert“

Und weitere Anwendungsbeispieler in unserer Studie nachlesen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ähnliche Beiträge

Studienband Twin Transformation
Zukunftsfähigkeit
mit Nachhaltigkeit
und Digitalisierung

 

24 Fallstudien zeigen den Weg!