Schluss mit dem Angsthasenmanagement – Den wahren Gründen für Innovationsaversion auf der Spur

von Anne M. Schüller
20. Mai 2025

Die Dinge werden immer schneller anders. Innovationsgeist ist auf dem Weg in die Zukunft ein Muss. Doch in zahlreichen traditionellen Unternehmen hemmen überkommene Mindsets, starre Strukturen, eingeschliffene Routinen und behäbiges Sicherheitsdenken den Fortschritt. Warum das so ist und wie sich das überwinden lässt, zeigt die Bestsellerautorin Anne M. Schüller in diesem Beitrag.

Schon mal vom „Self-Herding“ gehört? Das Phänomen des gruppendynamischen Herdentriebs gibt es auch geistig. Dabei folgen wir der „Herde“ solcher Entscheidungen, die sich früher als angemessen und richtig erwiesen haben. Sprich: Wir wiederholen gern Aktivitäten, in denen wir schon einmal siegreich waren. Sie werden für uns zu Glaubenssätzen, von denen wir kaum mehr abrücken wollen.

Das Top-Management, meist isoliert im Elfenbeinturm, wird davon besonders häufig befallen. „Kacheln im Handy? Die Leute wollen telefonieren“, war sich etwa ein Nokia-Oberster sicher. Beispiele wie dieses sind legendär. Doch niemand scheint von ihnen zu lernen. Die meisten Unternehmer glauben, ihnen könne das nicht passieren. Sie lachen über Nokia und merken nicht, dass sie selbst das nächste „Nokia“ werden.

Die Muster des Niedergangs ähneln sich oft. So hatte seinerzeit Earl Tupper die Küchenwelt mit seinen „Wunderschüsseln“ verzaubert. Jahrzehntelang waren die legendären Tupperpartys mit Schnittchen und Sekt der Renner schlechthin. Selbst 2017, als der Online-Handel längst boomte, gab sich der damalige Konzernchef Rick Goings unbeirrt: „Partys sind noch immer unser Verkaufsmodell.“ 2020 kam das Unternehmen ernsthaft ins Trudeln, nach mehreren Auffangversuchen ging es 2024 in Insolvenz.

Wer den Rückwärtsgang einlegt, kommt nicht voran

Während Zukunftsversteher mit Volldampf vorausmarschiere, suchen derzeit vielerlei traditionelle Unternehmen und eine interessenfehlgeleitete Politik ihr Heil in einem Vorgehen, das die Rückkehr zu einstmals erfolgreichen Vorgehensweisen favorisiert. Neue Technologien kommen nicht in Gang, weil man die alten Industrien retten will. „Die Zukunft macht leicht Narren aus den Unbelehrbaren, die sich zu lange an alte Gewissheiten klammern“, ruft der große Managementdenker Gary Hamel denen zu.

Was uns die gesamte Menschheitsgeschichte zeigt: Fortschritt lässt sich nicht am Fortschreiten hindern, denn das Leben wird vorwärts gelebt. Wer nur am Bestehenden herumschraubt und letztlich weitermacht wie bisher, schafft es nicht, zu einem Überflieger der Wirtschaft zu werden. Und wer, schlimmer noch, den Rückwärtsgang einlegt, verliert nur Zeit, und andere ziehen umso schneller an ihnen vorbei.

Fortschritt lässt sich nicht am Fortschreiten hindern

Jedes Unternehmen begann mal als Startup und brachte etwas Neuartiges in die Welt. Voller Ehrgeiz und Enthusiasmus, mit Hingabe und wilder Entschlossenheit packte die Startcrew ihre Aufgaben an. Doch mit zunehmender Größe ändert sich das. Man wird zu einer Firma, die sich primär mit sich selbst beschäftigt. Der Innovationsgeist geht verloren. Die Lebendigkeit stirbt. Man bleibt an Geschäftsmodellen hängen, die in der Vergangenheit funktionierten, doch deren „weiter so“ nun in die roten Zahlen führt.

„Überholte Fakten sind geistige Fossilien, von denen man sich am besten trennt“, schreibt Adam Grant, Professor für Organisationspsychologie an der Wharton Business School, in seinem Weltbestseller Think Again. Und ich ergänze: Die guten alten Zeiten zu betrauern und sich an die Heldentaten von gestern zu klammern, das bringt gar nichts, das hält nur auf. Statt sich also auf die Kunden der Vergangenheit zu konzentrieren, sollten wir besser für die Kunden der Zukunft bedeutungsvoll werden.

Die wahren Gründe für mangelnden Innovationsgeist

Die Suche nach Ursachen für mangelnden Innovationsgeist sollte bei unseren Reflexen beginnen. Wird ein Anbieter von einem Innovator angegriffen, verstärkt der Attackierte seine Anstrengungen in seiner Kernkompetenz, wird also mehr vom Alten noch besser machen, weil es das Einzige ist, was er kann. Zugleich wird er die Stärken des Neuen herunterspielen, weil er sie selbst nicht hat – oder, schlimmer noch, weil er sie nicht als disruptive Alternativen erkennt. So werden die alten Gewinner zu den neuen Verlierern.

Ein zweiter Grund ist zwar menschlich, doch im Wirtschaftsleben oft fatal. Es ist ein Automatismus unserer Gehirnarchitektur. Wird es brenzlich, ziehen wir uns auf gewohnte Verhaltensmuster und erprobte Routinen zurück. Bedrohung fabriziert den berüchtigten Tunnelblick. Dabei wird der Aufmerksamkeitsfokus verengt, Peripheres gerät außer Sicht, wir bleiben lieber auf vertrautem Terrain. So mancher verteidigt sein einstiges Tun auch nur deshalb, damit sein Selbstbild keine Risse bekommt.

Wunschdenken, Eigennutz, Angst oder Verlustaversion?

Der Erfolg von gestern ist immer eine große Gefahr. Er macht die einstigen Erneuerer zu Bewahrern ihrer eigenen Innovationen und hindert sie daran, sich rechtzeitig um Fortschritt zu kümmern. Sie werden behäbig und verwenden ihre Energie darauf, ihre Erfolge zu schützen. Was nicht in ihr Weltbild passt, wird ignoriert – oder, schlimmer noch, tabuisiert. Selbstherrlichkeit, ein verstellter Blick auf die Wirklichkeit und die Illusion der Unbesiegbarkeit sind Signale, die den Niedergang bereits in sich tragen.

Hinzu kommt die panische Managerangst, dass die Karriere und der Ruf beschädigt oder der Arbeitsplatz gefährdet werden könnten, wenn Innovationsprojekte misslingen. Und niemand sägt gern an dem Ast, auf dem er (oder sie) es sich, mit reichlich Pfründen bedacht, gerade gemütlich gemacht hat. Wunschdenken, Eigennutz, Verlustaversion und Risikoscheue spielen im Management eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn es darum geht, Etabliertes auf den Prüfstand zu stellen und sich ins Neuland zu wagen.

Menschen neigen dazu, zu schützen, was sie besitzen

Auch Manager neigen dazu, zu schützen, was sie besitzen. Zudem favorisieren sie beachtenswerte Sofortresultate, weil das Boni bringt und für die berufliche Weiterentwicklung förderlich ist. Deshalb unterstützen sie vorrangig solche Projekte und präsentieren auch nur diese dem Vorstand, die zeitnahe Erfolge versprechen. Dabei setzen sie auf das sicher erscheinende Pferd – und nicht auf eine zunächst noch ungewisse, erst in weiterer Ferne wirksame Innovation, die für Zukunftsfähigkeit sorgt.

Im Tauziehen um Ressourcen für Innovationen werden zudem nur solche Projekte gewinnen, mit denen man zügig bei bestehenden Kunden landen kann. Innovationen hingegen, für die es nicht sogleich einen lukrativen Markt gibt, sind nicht von Belang. Der Vertrieb, an kurzfristige Umsatzziele gebunden, hat an der mühsamen Suche nach neuen Zielgruppen gar kein Interesse. Deshalb fällt etablierten Anbietern die Selbstdisruption auch so schwer. Stärkstes Hindernis ist die Größe des Unternehmens.

Mit Innovatiönchen kommt man nicht länger voran

Viele Managern hangeln sich höchstens mit Innovatiönchen voran. Ihnen hapert es an Fantasie, wie eine disruptive Technologie in ihrer Branche überhaupt aussehen könnte. Zudem haben tradierte Anbieter für radikale Innovationen kein Knowhow an Bord. Schließlich fehlt ihnen zugleich der Mut und die Vorstellungskraft, an den Erfolg einer disruptiven Technologie zu glauben, die sie selbst nicht einmal wirklich verstehen.

„Stay hungry. Stay foolish.“ Dieser Steve-Jobs-Appell zeigt uns den Weg. Denn mit konventionellen Denkmustern und vergilbten Managementmoden kommt man in Zukunft nicht weit. Antiquierte Glaubenssätze, Geschäftsmodelle von Gestern, überkommene Organisationstrukturen, Führungskräfte, die jegliche Transformation blockieren und Ablaufroutinen, die man nicht ändern will, verhindern den Einlass des jungen, wilden, radikal Neuen. Wie bekommt man den alten Kram also weg?

Ursachen erforschen mit dem „Elefanten im Raum“

In nahezu jedem Unternehmen gibt es Blockaden, die daran hindern, sich rasch auf den Weg in die Zukunft zu machen. Doch man spricht darüber nur hinter vorgehaltener Hand. „Elephant in the Room“ ist eine gute Workshop-Methode, um Tabuthemen und „heilige Kühe“ jeder Couleur in Angriff zu nehmen.

Warum Elefant? Weil es um etwas wirklich Großes geht: ein offensichtliches Problem, das dick und breit im Raum steht und den Zugang zu einer besseren Zukunft versperrt. Es ist unübersehbar, doch alle tun so, als wäre es gar nicht da.

Im Mittelpunkt eines solchen Workshops steht folgende Frage:

„Wenn es um unsere unternehmerische Zukunft geht,

was sind die wahren Hemmnisse und Blockaden,

über die zwar offiziell niemand spricht,

worüber wir aber unbedingt reden sollten?“

Zunächst werden die „heiligen Kühe“ gesammelt, gelistet, diskutiert und priorisiert. Rasch wird dann damit begonnen, eine Kuh nach der anderen bei den Hörner zu packen und tatsächlich vom Eis zu holen. Maximalziel ist, dass es am Ende keine Tabuthemen mehr gibt – und dass Blockaden von da an thematisiert werden, sobald sie entstehen.

Das neue Buch der Autorin

Zukunft meistern ist eine Entdeckungsreise zu den wichtigsten Zukunftstrends der nächsten Dekade, zu Pionieren, Innovatoren und Übermorgengestaltern. Unterhaltsam geschrieben zeigt es anhand inspirierender Beispiele, in welche Richtung sich Leben und Arbeit, Gesellschaft, Geschäftsmodelle und Kundenbeziehungen fortan entwickeln. Verbunden damit bietet es praxiserprobte Lösungen und nützliche Vorgehensweisen zu den Themen Nachhaltigkeit, Transformation und Innovation. Zudem verrät die Autorin ihre Top-30- Erfolgstipps, um sich fit für die Zukunft zu machen.

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