Der lernende Acker – Notizen aus der Datenfurche

von Bernhard Steimel
21. Mai 2025

Es war einmal der Landwirt, der morgens mit dem Blick zum Himmel entschied, ob er pflügt oder pausiert. Heute schaut er in eine App. Nicht, weil er faul geworden wäre, sondern weil ihm das Wetter von übermorgen, der Stickstoffgehalt im Unterboden und der erwartbare Marktpreis für Soja schon jetzt zur Verfügung stehen – in Echtzeit, versteht sich. Doch wer denkt, das sei Fortschritt, hat das Missverständnis schon inhaliert: Es geht nicht um Geschwindigkeit. Es geht um eine neue Grammatik der Wirklichkeit.

Babak Zeini, ein Mann mit einem analytischen Blick für das Rauschen im System, beschreibt in unserem Gespräch keine Digitalisierung im technokratischen Sinne. Was er entwirft, ist ein Protokoll der Selbstentmächtigung – und ihrer paradoxen Fruchtbarkeit. Die Maschine denkt nicht besser, sie denkt anders. Und das Feld antwortet.

Das Feld als Speicher, das Gerät als Erzähler

Ein Hackroboter, der Unkraut zupft, ist noch kein Philosoph. Aber er sammelt Geschichten. Er weiß, wie oft ein Stein im Weg lag, wann das letzte Mal gedüngt wurde, welcher Schattenwurf den Pilzbefall ankündigt. Er erstellt, was Zeini „digitale Zwillinge“ nennt – ein Begriff, der klingt wie ein Start-up-Sprech, aber in Wahrheit die metaphysische Frage stellt: Was ist ein Ort, der sich selbst beobachtet?

Die Landwirtschaft war immer ein Ort des langsamen Wandels. Nun ist sie Testfeld einer neuen Ontologie. Denn die Maschinen beginnen, nicht nur zu tun, sondern zu lernen. Nicht aus Neugier, sondern aus Kalkül. Sie schreiben Logbücher der Gegenwart, die in die Zukunft hineinragen – algorithmisch, probabilistisch, unerbittlich.

Vom Maschinenbauer zum Datenpriester

Zeini ist kein Technokrat, sondern ein leiser Ketzer. Er stellt in Frage, was viele Maschinenbauer sich als Identität auf die Stirn tätowiert haben: das Produkt als Fetisch. Der Traktor, die Melkmaschine, das Hackgerät – sie sind nicht länger das Zentrum. Was zählt, ist der Zusammenhang. Die Interaktion. Die Transformation vom Ding zur Beziehung. Eine Organisation, die das nicht versteht, bleibt das, was sie schon immer war: ein Lagerhaus vergangener Ideen.

Der eigentliche Bruch findet nicht auf dem Feld statt, sondern im Organigramm. Die Hierarchie, das Abteilungsdenken, das Besitzdenken von Informationen – all das wird obsolet in einem System, das sich selbst analysiert, verbessert und fortschreibt. Man könnte sagen: Die Landwirtschaft wird poetisch – weil sie beginnt, sich selbst zu interpretieren.

Der Mythos der Faulheit

„Die dümmsten Bauern…“ – Sie kennen den Satz. Er ist das Relikt einer Welt, in der Intelligenz und Handwerk noch getrennte Kategorien waren. Heute beobachten Maschinen nicht nur das Wetter, sie lernen Sozialverhalten. Sie antizipieren Bedürfnisse. Das ist kein Komfortgewinn. Es ist ein Angriff auf die Idee, dass Erfahrung immer an Menschen gebunden sei.

Doch Maschinen brauchen, wie Zeini nüchtern bemerkt, Anlauf. Sie stolpern, tasten sich heran, scheitern. So wie einst der Mensch. Der Unterschied: Sie vergessen nichts. Und wenn sie einmal gelernt haben, kann jeder Landwirt auf dieses Wissen zugreifen, ohne selbst zu lernen. Das ist keine Erleichterung – das ist eine tektonische Verschiebung im Verhältnis von Wissen, Macht und Verantwortung.

Der stille Lärm der Zukunft

Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass diese Entwicklungen auf die Landwirtschaft beschränkt seien. Was sich im Acker abzeichnet, ist ein Prolog. Der Servicegedanke – ein Wort, das so banal klingt wie Zahnpasta – wird zum Paradigma. Alles wird zur Dienstleistung, auch das Denken. Die Maschine wird zum Vorschlaggeber, zum Partner, zum Prognostiker.

Und doch bleibt eine Reststörung. Ein Moment der Irritation. Was passiert, wenn das System sich selbst vorschlägt? Wenn die Entscheidung längst gefallen ist, bevor sie getroffen wird? Zeini deutet das nur an – vielleicht, weil er weiß, dass man diesen Teil der Geschichte nicht modellieren kann.

Die Landwirtschaft, so könnte man sagen, wird zur Denkfigur einer Epoche, die sich ihrer eigenen Mittel bedient, um sich selbst zu überholen. Sie ist nicht romantisch, sie ist nicht revolutionär – sie ist radikal in ihrer Banalität.

Was bleibt, ist ein Satz, den man auf jedes Messgerät drucken könnte: „Die Realität ist jetzt lernfähig.“

Und wir? Wir haben die Aufgabe, damit umgehen zu lernen – oder uns von den Maschinen den Acker erklären zu lassen.

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