In Zeiten strategischer Unsicherheit wird IT zur Rüstung. Auf der AFCEA-Fachausstellung 2025 im World Conference Center Bonn zeigte sich das so klar wie selten zuvor. Die Bundeswehr bezieht künftig wesentliche Teile ihrer Cloud-Infrastruktur über Google – unter technischer Leitung der BWI, dem zentralen IT-Dienstleister der Streitkräfte. Was technokratisch klingt, ist in Wahrheit eine hochpolitische Entscheidung.
Frank Leidenberger, Vorstandschef der BWI, und Manuel Greisinger, Director Global Strategic Initiatives bei Google Cloud, präsentierten das Projekt als Meilenstein. Es geht um eine sogenannte AirGap-Cloud, vollständig abgeschottet vom öffentlichen Netz, betrieben in deutschen Rechenzentren, unter Aufsicht deutscher Stellen. Die Bundeswehr erhält damit erstmals eine skalierbare, containerisierte Cloud-Plattform, auf der moderne Anwendungen sicher betrieben werden können – von logistischen Prozessen bis hin zu taktischer Einsatzunterstützung.
Keine Wahl – oder kluge Abwägung?
Leidenberger sprach offen über die Motive: Es sei schlicht keine Zeit mehr, um auf rein europäische Alternativen zu hoffen, die weder marktreif noch skalierbar verfügbar sind. Zudem habe sich durch den Strategiewechsel von SAP – die ihre Business Technology Platform ausschließlich auf diesem Architekturmodell ausrichtet – die Entscheidungsfreiheit faktisch reduziert. Die Cloud-Infrastruktur musste also kompatibel sein – nicht nur zur politischen Lage, sondern auch zur industriellen Realität.
Der Deal ist Ausdruck pragmatischer Beschleunigung: Technologische Souveränität wird nicht als statische Autarkie verstanden, sondern als Fähigkeit, kritische Systeme auch unter widrigen Bedingungen selbst zu betreiben. Die Architektur zählt – nicht der Pass des Herstellers.
Die Trump-Frage
In einer Zwischenfrage aus dem Auditorium stellte sich dennoch die strategische Kernfrage: Was passiert, wenn der politische Druck auf amerikanische Tech-Konzerne zunimmt – etwa durch Interventionen der US-Regierung unter Donald Trump, der bereits in seiner ersten Amtszeit vorgeführt hat, wie exterritoriale Interessen durchgesetzt werden können?
Greisinger verwies auf die logische Trennung der Systeme, auf Open-Source-Elemente, lokale Kontrolle und Betrieb unter deutschem Recht. Die Plattform sei so gestaltet, dass sie selbst im Extremfall – etwa bei Lizenzentzug oder politisch motivierten Eingriffen – weiterlaufen könne. Das ist technisch nachvollziehbar. Aber reicht das strategisch?
Zwischen Kontrolle und Abhängigkeit
Leidenberger verwies zu Recht darauf, dass auch europäische Anbieter auf US-Komponenten basieren – Chips, Software, Firmware. Rein europäische IT-Souveränität existiert bislang nur als Entwurf. Die Realität zwingt zur Hybridlösung: Kontrolle durch Architektur, nicht durch Nationalität.
Das Argument ist stichhaltig – und zugleich ein Eingeständnis. Europas digitale Infrastruktur befindet sich in einer Zwischenphase. Die Forderung nach Souveränität kollidiert mit den Realitäten eines fragmentierten Markts, langsamer Vergabeverfahren und chronischer Entwicklungsverzögerung. Die Entscheidung für Google ist deshalb nicht Kapitulation, sondern Ausdruck taktischer Anpassungsfähigkeit.
Strategisch gedacht, operativ umgesetzt
Dass dieses Modell in Bonn so offen diskutiert wurde, ist ein Fortschritt. Es zeigt: Souveränität wird nicht mehr symbolisch verhandelt, sondern architektonisch durchgeplant. Die AirGap-Cloud ist keine Lösung für alles, aber ein Modell für das Machbare. Und sie ist ein Fingerzeig: Wer digitale Wehrfähigkeit will, muss Systeme aufbauen, die auch ohne permanente Rückkopplung mit internationalen Konzernen betrieben werden können.
Gleichzeitig bleibt der strukturelle Befund bestehen: Europa braucht eigene Plattformen, eigene Standards, eigene Rechenzentren in operativer Tiefe. Nicht als Rückzug in die Autarkie, sondern als strategische Reserve für den Fall, dass geopolitische Verhältnisse umschlagen.
Die Digitalisierung der Bundeswehr wird an ihrer Resilienz gemessen werden. Nicht an Versprechungen, sondern an Betriebsfähigkeit im Ernstfall. Der Auftritt von BWI und Google auf der AFCEA 2025 markiert einen Wendepunkt: Es geht nicht mehr um politische Absichtserklärungen. Es geht um operative Verantwortung.