Entscheiderintelligenz in Echtzeit: Wenn Dokumente sprechen lernen #AFCEA #AlterBundestag #Bonn

von Gunnar Sohn
28. Mai 2025

Was bedeutet Intelligenz, wenn sich der militärische Einsatzraum in Sekunden entscheidet? Wenn ein Befehl nicht mehr durch menschliche Bürokratie, sondern durch maschinelle Exaktheit verifiziert werden muss? Dr. Christine Priplata und Dr. Colin Stahlke von CONET stellten auf dem Anwenderforum AFCEA im World Conference Center Bonn eine paradigmatische Neuordnung der Entscheidungssysteme vor: Dokumente, die in agentischen Kontexten agieren. Systeme, die nicht mehr nur Daten speichern, sondern Bedeutung operativ verarbeiten.

Im Zentrum steht die Vision eines „sprechenden Dokuments“ – gemeint ist damit nicht ein anthropomorpher Assistent mit freundlicher Stimme, sondern ein semantisch und kontextuell intelligentes System, das Entscheidungen aktiv vorbereitet und auslöst. Die klassische Trennung von „Information“ und „Interpretation“ wird damit aufgehoben. Das Dokument selbst wird zum Akteur – in einem Netz von agentischen Systemen, das sich durch Interoperabilität, Echtzeitfähigkeit und Kontextbewusstsein definiert.

Der vorgestellte Demonstrator veranschaulichte, wie Entscheidungsdokumente aus unterschiedlichen Quellen (z. B. Excel, Word, strukturierte XML-Formate) automatisch integriert, durch semantische Markierungen vernetzt und in einer semantisch verständlichen Umgebung prozessorientiert verfügbar gemacht werden. Dabei zeigte sich: Semantik ist hier nicht bloß Annotation, sondern Operationalisierung. Aus „Text“ wird „Tätigkeit“.

In militärischen Kontexten, in denen Entscheidungszyklen immer kürzer, Datenströme komplexer und Handlungsoptionen risikobehafteter werden, eröffnet dieser Ansatz eine neue Kategorie der „Entscheiderintelligenz“. Der Mensch bleibt im Loop – aber in einem neuen Verhältnis: als Supervision, nicht als Verarbeitungsinstanz.

Besonders spannend war eine Zwischenfrage aus dem Auditorium zur praktischen Umsetzung agentischer Systeme. Was bedeutet es, wenn mehrere agentische Einheiten miteinander interagieren, sich gegenseitig Entscheidungen abnehmen oder korrigieren? Die Antwort: Ein solches System muss Vertrauen operationalisieren können – etwa durch zertifizierte Vertrauensanker (Trust Anchors) oder durch transparente Protokollierung aller Entscheidungen. Der Weg von einer funktionalen KI zur vertrauenswürdigen KI ist dabei kein rein technischer, sondern auch ein normativer.

Es geht nicht nur um technologische Exzellenz, sondern um strategische Souveränität. Nicht mehr nur Menschen treffen Entscheidungen auf Basis von Dokumenten – die Dokumente selbst führen Handlungen aus. In der Sprache der Computerlogik gesprochen: Die Wahrheit einer Aussage liegt nicht mehr nur in ihrer Syntax oder Semantik, sondern in ihrer Performanz.

CONET zeigt mit dieser Session, dass Entscheidungsprozesse durch KI nicht ersetzt, sondern augmentiert werden können – wenn man Maschinen mit Bedeutung füttert. Es ist eine stille, aber radikale Verschiebung in der Architektur der Entscheidungsräume. Und es ist eine Vision, die mehr ist als eine Machbarkeitsstudie: Es ist der algorithmische Beginn einer neuen Intelligenzordnung.

Exkurs: Wenn militärische Entscheidungsintelligenz auf industrielle Plattformlogik trifft

Die Telekom-Studie zu digitalen Ökosystemen legt dar, wie Produkte durch ihre Vernetzung, Sensorik und kontextuelle Intelligenz zu „sprechenden Dingen“ werden. Diese Produkte sind nicht länger bloße Objekte, sondern Teilnehmer einer kommunikativen Infrastruktur, die Informationen in Echtzeit weitergeben, analysieren und sogar antizipieren können.

Im Vortrag von CONET wird eine vergleichbare Logik auf sicherheitskritische Szenarien angewendet. Auch hier stehen Datenpunkte nicht für sich, sondern entfalten erst durch Kontextualisierung – etwa mittels Natural Language Processing und agentischer Logik – ihren operativen Wert. Dokumente werden zu Dialogpartnern, KI-Systeme übernehmen strukturierende und vorausschauende Aufgaben innerhalb taktischer Entscheidungsabläufe.

Beide Ansätze münden in derselben Schlussfolgerung: Nur durch die Transformation von Daten in kontextbasierte Entscheidungsintelligenz entsteht ein echter Fähigkeitsgewinn – sei es im industriellen Wettbewerb oder im sicherheitspolitischen Handlungsraum. Was in der Studie als Plattformökonomie beschrieben wird, zeigt sich im militärischen Sektor als interoperables, agentisches System mit präziser Aufgabenorientierung. Die Schnittmenge liegt in der Vision: Systeme, die nicht nur reagieren, sondern mitdenken.

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