Im Zentrum des Vortrags von Dr. Stephan Ursuleac, Oberstleutnant der Reserve und Verantwortlicher für Defence & Public Sector bei Materna, stand eine klare These: Wer in der vernetzten Operationsführung bestehen will, muss IT als strategisches Waffensystem begreifen. Auf der AFCEA-Fachausstellung im Plenarsaal des ehemaligen Bundestages skizzierte Ursuleac eine digitale Architektur, die nicht mehr von der Plattform aus denkt, sondern von der Funktion – flexibel, skalierbar, interoperabel.
Von der Plattform zur Funktion
Die klassischen Systeme der Führungsunterstützung stoßen in einer Welt, die von Datenströmen, Sensorfusion und Echtzeitkoordination geprägt ist, an strukturelle Grenzen. Materna verfolgt daher mit seiner Vision einer „Software Defined Defence“ den Ansatz, IT-Komponenten zu entkoppeln, zu virtualisieren und als applikationsoffene Dienste bereitzustellen – mit klarer Trennung von Datenhaltung, Verarbeitung und Darstellung.
Die Plattformen werden so zu Trägern eines intelligenten Betriebssystems, das taktische Entscheidungen auf allen Ebenen unterstützt – vom Einsatzverband bis zur höchsten Führung. Das Ziel: einheitliche Datenräume für lagebildgebende Systeme, Logistik, Kommunikation und Cyberabwehr.
Interoperabilität als Sollbruchstelle
Ein zentraler Aspekt des Vortrags war die Betonung semantischer und technischer Interoperabilität. Nicht nur müssen Systeme Daten austauschen können, sie müssen sie auch in identischer Bedeutung verstehen. Hier setzt Materna auf modulare Standardschnittstellen, föderierte Plattformansätze und verteilte Datenhaltung – mit Blick auf die Multinationalität heutiger Operationen, insbesondere innerhalb der NATO-Architektur.
Insbesondere bei der logistischen Unterstützung und der digitalen Truppenführung ergeben sich durch offene APIs und standardisierte Datenformate enorme Effizienzgewinne. Der Fokus liegt auf einem adaptiven Software-Ökosystem, das nicht nur mission-ready ist, sondern auch zukunftssicher.
Taktisch neu verortet
„Der Mensch wird nicht ersetzt – er wird taktisch neu verortet“, so der Leitsatz Ursuleacs. Gemeint ist: Die Rolle des Menschen verändert sich im digitalisierten Gefechtsfeld grundlegend. Er ist nicht mehr zentraler Sensor und Entscheider, sondern orchestriert – gestützt durch KI und automatisierte Vorverarbeitung – komplexe Entscheidungsprozesse.
Gerade in multinationalen Einsätzen mit kurzen Reaktionszeiten und hoher Komplexität braucht es digitale Souveränität, um Entscheidungsvorsprünge zu sichern. Hier will Materna mit einer offenen, plattformunabhängigen Architektur punkten, die durch Virtualisierung, Edge-Computing und Zero-Trust-Security ergänzt wird.
Vom Projekt zum Betrieb
Ursuleac betonte, dass es nicht um „Leuchtturmprojekte“ oder IT-Pilotstudien geht, sondern um den operativen Betrieb. Die Lösungen müssen sich in der Fläche bewähren – robust, wartbar, anpassbar. Damit steht auch der Staat vor einer neuen Rolle: als Betreiber komplexer, digitaler Plattformökosysteme im sicherheitskritischen Raum.
Was Ursuleac in Bonn skizzierte, war keine Zukunftsmusik, sondern eine realistische Systemskizze dessen, was technisch heute bereits möglich – und sicherheitspolitisch notwendig – ist. Die Diskussion um digitale Souveränität wird erst dann Substanz gewinnen, wenn Plattformstrategien nicht nur gedacht, sondern umgesetzt werden.