Der neue alte Führungsstil
Die Helden sind wieder da. Nicht die stillen, die zuhören, zweifeln, abwägen – nein, die trommelnden, stampfenden, die das Wort „Führung“ so aussprechen, als sei es ein Faustschlag. Die neuen Vorbilder heißen Trump, Orban, Putin und werden von manch einem Vorstandsvorsitzenden offenbar nicht als politische Warnsignale, sondern als Management-Lichtgestalten gelesen. Die Illusion der Machos feiert fröhliche Urständ.
Führung als Faustregel
Eine aktuelle Studie liefert die passende Ouvertüre: In ungewissen Zeiten: Zuversicht und die veränderte Rolle von Führung im Unternehmenskontext (Next Work Innovation & Netzwert Partner 2024). 62 Prozent der Befragten finden, dass es in der Krise „mehr autoritäre Führung“ brauche. Das klingt nach dem Motto: Wenn der Nebel dichter wird, sollte man lauter hupen.
Doch jenseits dieser martialischen Grundhaltung driften die Bedürfnisse auseinander. Während Mitarbeitende nach Klarheit, Regeln und Strukturen verlangen – also einer Art kultureller Dichtheit –, sehnen sich Führungskräfte nach dem starken Führungsstil, den man aus Business-Büchern mit Titeln wie „Lead like a Lion“ kennt. Ein merkwürdiger Schulterschluss zwischen Kontrollbedürfnis und Machtdemonstration.
Zuversicht als Betriebsanweisung
Auch wenn das eigentliche Problem längst nicht mehr im Chefbüro liegt, sondern im Narrativ dahinter: Zuversicht – das andere große Wort der Studie – lässt sich nicht verordnen. Sie lebt nicht vom Befehlston, sondern vom Kontext, von Vertrauen, von Zeit. Und Zeit ist in Konzernen inzwischen Mangelware, seit das Business-Modell vielerorts „agiler Stillstand“ heißt.
Ansteckungsgefahr aus Übersee
Der autoritäre Virus kommt nicht aus Wuhan, sondern aus Washington. Und während sich viele gegen die eine Pandemie impfen ließen, rollt die andere ungehindert durch die Führungsetagen. Was früher als Managementstil vergangener Jahrzehnte galt – martialisch, dominanzbetont, maskulin aufgeladen –, kehrt im Zeichen von Trump & Co. in neuer Verpackung zurück.
Diversität? Wird in Teilen der USA inzwischen als Sicherheitsrisiko gehandelt. Hochschulen, Unternehmen, selbst Tech-Giganten beugen sich dem politischen Druck – und deutsche Konzernchefs, die in Übersee große Umsätze machen, rudern bereits mit. „Das Autoritäre schwappt wieder ins Management“, so bringt es Joachim Gutmann auf den Punkt, HR-Kommunikator und Mitbegründer des Jahrbuchs Personalentwicklung.
Gutmanns Perspektive reicht weit über die Unternehmensgrenze hinaus. Er spricht von einem gefährlichen Trend, der nicht nur Fachkräftepolitik und Diversity gefährdet, sondern auch das ordnungspolitische Fundament der Wirtschaft untergräbt. „Die großen Konzerne spielen noch eine Rolle, ja – aber die Post geht im Mittelstand ab.“ Und dort, wo Generationswechsel stattgefunden haben, herrscht oft eine andere Tonlage: offener, weniger machtorientiert, sensibler für soziale Brüche.
Konsultanten statt Kommandeure
Was also tun? Man sollte intern wie extern eher nach Konsultanten suchen, die das Ungewisse zu kultivieren wissen – nicht als Schwäche, sondern als produktive Irritation. So etwa, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk in der Revue für postheroisches Management formulierte: Beratung sei vor allem eines – ein Sprung ins Diskontinuum. Handeln bedeute eben nicht, reif zu entscheiden, sondern unreife Früchte zu pflücken.
„Die richtige Entscheidung fällt immer zugleich überstürzt und rechtzeitig – weil sie zu früh kommt, kommt sie richtig, und wenn sie rechtzeitig kommt, kommt sie zu früh.“
(Sloterdijk, Lesung auf YouTube: https://youtu.be/KIBFmg6XLcg)
Schon die alten chinesischen Klugheitslehren empfahlen, den Entscheidungszwang auszuschalten und sich vom Fluss der Umstände tragen zu lassen. Handeln durch Nichthandeln. So entgeht man dem Reflex des Aktionismus, der in deutschen Führungsetagen oft nur ins Leere zielt.
Renaissance als Modell
In den Ideenlaboren der Renaissance – jenen Netzwerken aus Künstlern, Naturphilosophen, Mechanikern und Hofgelehrten – verstand man die Kunst der Unsicherheit. Leonardo da Vinci, Giulio Camillo oder Marsilio Ficino bewegten sich zwischen Werkbank, Weltdeutung und Wunderkammer. Ihre Stärke war nicht die Regel, sondern der Regelbruch. Sie arbeiteten nicht mit Templates, sondern mit Versuchsanordnungen. Beratung war dort keine Best-Practice-Rezitation, sondern eine intellektuelle Laborarbeit am offenen Problem.
Der Hofnarr als Coach
Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Hofnarr in dieser Welt als klügster Berater galt – nicht trotz, sondern wegen seiner Fähigkeit zur Störung. Er unterbrach Routinen, spiegelte Macht, stellte Fragen statt Antworten zu liefern. In ihm lebte die Tradition eines Beratertyps fort, der sich von Macho-Steuerungslehren ebenso fernhielt wie vom Change-Master-Getrommel der PowerPoint-Generation.
Wer heute auf Beratung setzt, sollte weniger auf autoritäre Entschlossenheit hoffen – und mehr auf die Kunst, Gelegenheiten zu erkennen. Fortuna, diese sprunghafte Göttin, hat schließlich selten auf Zuruf funktioniert. Aber sie liebt diejenigen, die zur rechten Zeit bereit sind, das Ungewisse zu umarmen.
