Defence‑Tech Monitoring – Ausgabe 1

von Team Redaktion
6. Oktober 2025

Von der Redaktion des Themen‑Radars für Smarter‑Service.com

Kriegsschauplatz Ukraine: Drohnenkrieg eskaliert weiter

Die russische Luftoffensive Anfang Oktober brachte eine neue Eskalationsstufe: In der Nacht zum 5. Oktober beschoss Moskau die Ukraine mit 140 Drohnen und 23 Marschflugkörpern. Es war der größte Angriff auf die Region Lwiw seit Beginn des Krieges; mindestens fünf Menschen wurden getötet, ein Industriepark und Energieanlagen brannten aus. 
Neben Lwiw trafen auch Zaporizhzhia, Chernihiv und weitere Regionen Energiestrukturen; über 73 000 Haushalte waren zeitweise ohne Strom. 
Polen brachte daraufhin Kampfflugzeuge in höchste Alarmbereitschaft und meldete zeitgleich verstärkte russische Luftaufklärung entlang der NATO‑Ostflanke. Der Angriff unterstreicht, dass Russland seine Strategie zunehmend auf Drohnenschwärme und Infrastrukturangriffe verlegt, um die ukrainische Wirtschaft zu zermürben.

EU‑„Drohnenwall“: Vision trifft politische Realität

EU‑Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach Anfang Oktober erneut über einen europäischen Drohnenwall: ein Netz aus Sensoren, Datenfusion und Abwehrsystemen, das den gesamten Kontinent gegen unbemannte Bedrohungen schützen soll.

Start‑ups wie Quantum Systems präsentieren mit ihren günstigen „Hunter“‑Abfangdrohnen bereits konkrete Vorschläge für solche Netze; viele Komponenten werden im 3D‑Druck hergestellt, sodass ein „Luftabwehrbatterie im Kofferformat“ möglich wird.

Allerdings zeigten sich auf dem EU‑Gipfel in Kopenhagen (6. Oktober) deutliche Gräben: Staaten an der Frontlinie (Polen, Baltikum, Rumänien) fordern schnelle Investitionen und konkrete Zeitpläne, während westliche Staaten auf Haushaltsdisziplin und technische Machbarkeit pochen. Die politischen Diskussionen um Verantwortlichkeiten (Militär vs. Polizei) und Finanzierung laufen weiter.

NATO‑Beschlüsse: 5‑%‑BIP‑Ziel und „Drohnenwall“

Auf dem NATO‑Gipfel in Den Haag im Juni 2025 haben sich die Alliierten verpflichtet, bis 2035 jährlich 5 % des BIP für Verteidigung und sicherheitsbezogene Ausgaben zu investieren. Davon sollen 3,5 % in Kernverteidigung und 1,5 % in den Schutz kritischer Infrastruktur, Cyber‑Sicherheit und Innovation fließen. Eine erste Fortschrittsbilanz wird 2029 gezogen. Der Think‑Tank IISS warnt, dass ein Großteil der europäischen Länder derzeit erst bei 2 % liegt; der Weg zum 5‑%‑Ziel erfordert also erhebliche Anstrengungen und jährliche Umsetzungspläne.

Deutsche Rüstungsprojekte und Innovationen

  • Skyranger 30: Rheinmetall rechnet mit einem Auftrag über 500–600 mobile Flugabwehrsysteme (Auftragsvolumen 6–8 Mrd. €). Der Turm kann mit 30‑mm‑Air‑Burst‑Munition, Mistral‑ oder Stinger‑Raketen sowie künftig einem 100‑kW‑Laser ausgerüstet werden Erste Auslieferungen sind ab 2027 geplant.
  • IRIS‑T SLM/SLS: Deutschland hat seit 2022 sieben Systeme an die Ukraine übergeben und einen neuen Vertrag über 2,2 Mrd. € für vier zusätzliche Systeme geschlossen. Jedes System umfasst drei Startgeräte für Mittelstrecken (SLM) und zwei für kurze Distanzen (SLS).
  • Patriot: Im August vereinbarten Berlin und Washington die Lieferung von zwei weiteren Patriot‑Systemen an die Ukraine. Deutschland liefert Startgeräte, erhält jedoch schnell Ersatz aus US‑Produktion.
  • P‑8A Poseidon: Die Deutsche Marine übernahm Anfang Oktober ihr erstes Seefernaufklärungsflugzeug vom Typ P‑8A Poseidon – ein „Quantensprung“ gegenüber den alten P‑3C Orion. Acht Maschinen wurden bestelltt.
  • Helsing und AI‑Drohnen: Das Münchner Start‑up Helsing präsentierte die CA‑1 Europa, einen KI‑gesteuerten unbemannten Kampfjet mit modularer Elektronik, der ab 2027 fliegen sollt Die Bundeswehr testet zudem KI‑gesteuerte Schwärme (Projekt KITU 2), die auch ohne GPS und bei Funkstörungen koordiniert operieren.

Start‑up‑Boom und Finanzierungsschub

Der deutsche und europäische Defence‑Tech‑Sektor erlebt einen regelrechten Goldrausch. Im ersten Halbjahr 2025 investierten Risikokapitalgeber rund 4,6 Mrd. € in deutsche Defence‑Start‑ups.
Neben Helsing und Quantum Systems ziehen Unternehmen wie Arx Robotics (autonome Bodenfahrzeuge), Alpine Eagle (modulare Drohnenabwehr) und Stark (Loitering‑Munition) ebenfalls großes Kapital an.
Die Bundeswehr plant, ihre Drohnenflotte von 600 auf über 8 000 unbemannte Systeme zu erweitern und durch flexible Beschaffungsprozesse Innovationen schneller zu integrieren.

Expertenstimmen

  • Nico Lange: Der ehemalige Leiter des BMVg‑Planungsstabs warnt vor einer „kostspieligen Falle“: Teure Abfangraketen gegen billige Kamikazedrohnen seien nicht nachhaltig. Er plädiert für multisensorische Detektion, Jammer, Netzdrohnen und Schnellfeuerkanonen sowie für den Aufbau eines deutschen Kompetenzzentrums für Drohnenabwehr.
  • Carlo Masala: Der Sicherheitsexperte betont, dass Russlands hybride Kriegsführung – Drohnenangriffe, Sabotage, Desinformation – eine gesellschaftliche Resilienz erfordert. Nur wenn Politik und Bevölkerung offen über Bedrohungen sprechen, lassen sich hohe Verteidigungsausgaben politisch durchsetzen.
  • Weitere Analysten wie Fabian Hinz (IISS) heben hervor, dass Laserwaffen allein kein Allheilmittel sind; ein Mix aus Sensorik, Kanonen, Jammern und Raketen sei notwendig.

Blick nach vorne

  • Massenproduktion vs. Boutique‑Lösungen: Die Ukraine hat gezeigt, dass preiswerte FPV‑Drohnen und elektronische Kriegführung den Ausschlag geben können. Europa muss seine Rüstungsindustrie von der „Manufaktur“ hin zu skalierbaren Serienproduktionen transformieren, ohne Qualitätsverluste.
  • Hybridabwehr im Inland: Die steigende Zahl illegaler Drohnenflüge über deutschen Flughäfen und kritischen Infrastrukturen zeigt, dass auch der innere Schutz ausgebaut werden muss. Langfristig braucht es integrierte, zivil‑militärische Drohnenabwehrsysteme.
  • Technologischer Wettlauf: Die Entwicklung von Schwarm‑KI, Mikrodrohnen und autonomen Abfangsystemen wird sich in den nächsten Monaten beschleunigen. Gleichzeitig wird die Frage nach Regulierung und Ethik autonomer Waffensysteme drängender.

Der Oktober 2025 markiert ein neues Kapitel im Drohnenkrieg: massive Angriffe auf die Ukraine, politische Debatten über einen europäischen Drohnenwall und ein nie dagewesener Innovationsschub in der Verteidigungsindustrie. Für politische Entscheidungsträger und Industrievertreter ist klar: Drohnen und KI werden die Zukunft der Kriegsführung bestimmen, und Europa muss schnell handeln, um nicht abgehängt zu werden.
Unsere nächste Monitoring‑Ausgabe erscheint in vier Wochen und wird die weitere Entwicklung des EU‑Drohnenwalls sowie neue technologische Trends beleuchten.

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