Der deutsche Einzelhandel steht an einem Wendepunkt, der weit über die Jahresbilanzen hinausreicht. Während Aldi und Lidl international expandieren, steckt der Non-Food-Sektor in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten. Innerhalb nur eines Jahres hat sich der Marktanteil asiatischer Plattformen wie TemuShein oder TikTok Shop fast verdreifacht – auf sechs Prozent. „Ein dramatischer Strukturbruch“, sagt Handelsexperte Prof. Gerrit Heinemann im Sohn@Sohn-Adhoc-Talk: Der deutsche Non-Food-Handel verliere „real richtig fett“.

Besonders deutlich zeigt sich der Strukturverfall im Mittelstand. Familienunternehmen – einst Symbol für Solidität und Langfristigkeit – leiden unter Kapitalmangel, Nachfolgeproblemen und einer erstaunlichen Innovationsangst. „Familienunternehmen heißt Mangel an Kapital – immer schon“, so Heinemann. Die Scheu vor der Börse, die Abschottung gegenüber Kooperationen, das Festhalten an patriarchalischen Strukturen – all das bremst den Wandel. Das alte Wirtschaftsmodell nach Ludwig Erhard – Export, Stabilität, Sozialpartnerschaft – funktioniert in der global vernetzten Plattformökonomie nicht mehr.

Heinemann beschreibt den Angriff von allen Seiten: aus China durch Temu und Shein, aus den USA durch Amazon mit dem KI-Assistenten Rufus und OpenAI mit Atlas. Während dort Milliarden in neue Geschäftsmodelle fließen, schmelzen in Deutschland die Margen. Der deutsche Handel verliert im Online-Geschäft fast acht Prozent Umsatz, Hermes arbeitet inzwischen für die asiatische Konkurrenz. „Wenn das Tafelsilber verkauft ist, bleibt nur noch Stillstand“, warnt Heinemann.

Auch politisch sieht der Experte ein Land ohne Kurs. „Wir haben kein Erkenntnisproblem – wir haben ein Umsetzungsproblem.“ Seit Jahrzehnten fehlten Mut und Führung. Der Reformstau bei Bürokratie, Föderalismus und Wirtschaftspolitik lähme das Land. Heinemann fordert, „die Bürger nicht für dumm zu verkaufen – die Wahrheit gehört auf den Tisch“.

Deutlich wird das auch in den Innenstädten: Leerstände, fehlende Mittel, überforderte Verwaltungen. „Die Städte sind schlicht vergessen worden“, sagt Heinemann. Die Abschaffung des Oberstadtdirektors habe den Kompetenzabbau verstärkt. Ratsmitglieder und Bürgermeister seien oft überfordert, kommunale Aufgaben würden von Bund und Ländern nach unten durchgereicht – ohne Finanzierung. Seine Forderung: eine Grundgesetzänderung, um Kommunen zu stärken.

Doch es gibt Gegenbeispiele: Thalia und dm beweisen, dass Innovation, Datenintelligenz und Kooperation Wachstum schaffen können. Thalia rettete mit dem Tolino-Projekt den Buchhandel, dm experimentiert mit Gesundheitsservices in den Filialen – und zeigt, dass Zukunftsstrategien auch im stationären Handel möglich sind.

Am Ende des Gesprächs zieht Heinemann ein hartes, aber hoffnungsvolles Fazit:

„Künstliche Intelligenz ist Chefsache. Wer sie nicht versteht, hat bald keine Zukunft. Aber: Es ist nie zu spät – nur jetzt ist allerhöchste Zeit.“

📺 Sohn@Sohn-Adhoc-Talk mit Prof. Gerrit Heinemann

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